Der Bodybuilding-Film ist so alt wie das Kino. Im Jahr 1894 filmte William K. L. Dickson den Kraftsportler Friedrich Wilhelm Müller, der unter dem Namen Eugen Sandow eigene Shows ausrichtete, „Muscle Display“ genannt. Dicksons vierzigsekündiger Film steht am Ende von A Skin so Soft. Der kanadische Filmemacher Denis Côté schreibt sich damit programmatisch in eine filmische Tradition ein – eine, die von Beginn an das Dokumentarische mit der Bühne verband.
A Skin so Soft ist das stilisierte Porträt von sechs in Québec lebenden Kraftsportlern. Côté zeigt die starken, meist in anrührend winzigen Muskelshirts steckenden Männer, darunter ein Hochleistungsbodybuilder, ein als spiritueller Kinesiologe arbeitender Ex-Champion un
e arbeitender Ex-Champion und ein Wrestler, weitgehend außerhalb ihrer „Produktionsstätte“, dem Fitnessstudio. Auch das Feld der Wettkämpfe bleibt im Film nur Randbeobachtung. Stattdessen sieht man Jean-François, Ronald, Alexis, Cédric, Benoit und Maxim zu Hause, bei ihren Aufstehroutinen, beim Trainieren im elterlichen Keller, beim Essen, Geschirrspülen und dem Nickerchen auf der Couch, beim Zusammensein mit der Familie, dem Kind, der ebenfalls bodybuildenden Freundin. Interviews und Off-Kommentare gibt es ebenso wenig wie musikalische Untermalung. Der Sound besteht hauptsächlich aus – erstaunlich verhaltenen – Körperlauten: schweres Atmen, Geächze und Gestöhne. Hinzu kommen Geräusche, die entstehen, wenn extrem schwere Objekte durch einen Raum bewegt werden, Lastwagenreifen etwa.Der in Montreal lebende Filmemacher Côté dreht seit 2005 Spielfilme und dem Dokumentarfilm nahestehende Mischformen, die sich vom Genre Essayfilm gleichwohl deutlich absetzen. Anstatt Informationen und Argumente zu Zusammenhängen oder gar Thesen zu verdichten, reiht er meist sorgfältig komponierte Beobachtungen aneinander. Die Mis-en-scène ist mal mehr, mal weniger klar erkennbar. Que ta joie demeure (2014) zeigt Menschen, die in einer Fabrik an Maschinen arbeiten, ohne dass sich der Film in den Dienst einer Kritik an real existierenden Arbeitsverhältnissen stellt. Bestiaire (2012) ist eine Art „Bilderbuch“ der Tierbetrachtung, wobei Côtés Aufmerksamkeit vor allem dem Raum und seinem Verhältnis zum Tier gilt.Modelliertes FleischAuch A Skin so Soft zeugt von einem ausgeprägten Interesse für die Figur und ihre räumlichen Beziehungen. Unwohnliche Orte mit wenig Tageslicht wie Garagen, Keller- und Souterrainräume sind die wiederkehrenden Schauplätze des Films, wobei die Rahmung durch Fenster und Türstöcke die Protagonisten noch isolierter erscheinen lässt. Einmal sieht man einen der Männer im Keller Gewichte stemmen, dabei geben die mit Jalousien verhängten Fenster den Blick auf einen Streifen Garten frei, in dem die Mutter gerade im Grün herumwerkelt. Ein anderer Bodybuilder, dessen Oberkörper halb vom Türrahmen verdeckt wird, ist in einer Wäschekammer am Stepper zugange. Oft nähert sich die Kamera den Körpern und Gesichtern aber auch wie skulpturalen Objekten. In extremen Close-Ups streift sie über ihre aufgepimpte, solariumgebräunte Hautoberfläche, die sich unter der Kraftanstrengung spannt, während an anderer Stelle neue Formen aus dem Fleisch herausmodelliert werden. Oder sie verharrt auf ihren Gesichtern, in die der Schmerz tiefe Furchen hineingräbt. Eine Leidensgeschichte für sich ist das Essen. Meist wird es in exakt abgewogenen Mengen aus Tupperware geschaufelt. Das im Wechsel mit Pillen heruntergewürgte Frühstück treibt dem tätowierten Hünen Cédric Tränen in die Augen.A Skin so Soft ist eine genuin filmische Erzählung über die Obsession und Disziplin, mit der sechs Männer an der Produktion eines artifiziellen Körperbildes arbeiten, das gemessen an heutigen Männlichkeitsidealen komplett anachronistisch ist. Die Motive und Hintergründe der Figuren bleiben dem Film dabei ebenso äußerlich wie die milieuspezifische Erkundung der Bodybuilding-Szene. Im Spektrum des Dokumentarischen, an dessen – vereinfacht gesagt – gegensätzlichen Polen das analytische Institutionenporträt eines Frederick Wiseman und die exploitativen Inszenierungen Ulrich Seidls stehen, wählt Côté einen Ansatz softer Wirklichkeitsentrückung. Gerade der Verzicht auf Psychologie und Innerlichkeit lässt um die Figuren eine geheimnisvolle Aura entstehen. Côté konstruiert ganz bewusst eine Antithese zur „lauten“ Erzählung einer von grellen Schauwerten und machistischen Codes bestimmten Disziplin, wenn er die Bodybuilder als wortkarge, in sich gekehrte Riesen darstellt. Ihre bedingungslose Hingabe an den eigenen Körper trennt sie von der Gemeinschaft ab, macht sie vergrübelt und einsam. In einer der wenigen Szenen, die einen Einblick in das Sozialleben eröffnen, sieht man Ronald, einen Bodybuilder asiatischer Herkunft, mit seiner Großfamilie. Alle sind zum Essen um einen großen Tisch versammelt, er selbst steht mit seinem Steakteller allein in der Küche.Gegen Ende droht A Skin so Soft sich ein wenig in Redundanzen zu verflüchtigen – Côtés Methode ist immer auch eine der Addition und Wiederholung. Doch dann schenkt der Film seinen Einzelgängern einen Ausbruch aus ihren öden Routinen. Mit dem Bus geht es für drei Tage aufs Land. In Wald und Wiese öffnet sich A Skin so Soft zu einer utopischen Pastorale. Tatsächlich hat der Ausflug etwas von einem Knastfreigang, und in der freien Natur wirken die mächtigen Körper fast noch verletzlicher. Der Druck löst sich. Die Männer liegen in der Sonne, machen Spaziergänge, schwimmen und rudern, abends sitzen sie am Lagerfeuer. Auch wenn Klassenfahrtstimmung und Buddytum ausbleiben, entsteht eine sehr fragile Form der Kollektivität. Die Körper sind keinem Zweck untergeordnet, sie dürfen einfach: sein.Placeholder infobox-1