Spur der Steinzeit

"Reich des Guten" Die USA sollten nicht länger unter ihren Möglichkeiten bleiben

Wie kommt es nur, dass man George Bush in seinem "monumentalen Krieg gegen das Böse" nicht widersprechen darf, ohne als "Anti-Amerikaner" gescholten zu werden? Ist gegen God´s own Country, wer Amerika mehr zutraut als Militarismus, Fundamentalismus und Nationalegoismus? Zum Beispiel: Eine Strategie zur Bekämpfung von Krankheit und Elend in der Dritten Welt oder Engagement zugunsten der UN-Flüchtlingshilfe?

Doch die USA geben lieber jeden Tag mehr als 1.000.000.000 Dollar für die "Verbesserung" ihrer "Waffen": ihrer Splitterbomben, ihrer elektronischen Lenkwaffen, neuer Formen von "Mini"-Nukes aus, als sich um irgendein relevantes Problem der real existierenden Menschheit zu kümmern. 80 Millionen Dollar - weniger als ein Zehntel der Tagesausgaben des Pentagon - fehlen derzeit dem UN-Flüchtlingshilfswerk, um dringend benötigte Hilfe in Afrika weiterführen zu können, die in den nächsten Tagen wohl eingestellt werden muss. Derweilen entdecken die USA den afrikanischen Kontinent ("ein Land, das manche Probleme hat" - Originalton Bush) auf ihre Weise: Sie erwägen einen Militärstützpunkt im Golf von Guinea einzurichten, um strategische Ölreserven an der schwarzen Atlantikküste zu sichern. Das wirtschaftliche und ethnische Desaster ihrer bisherigen Favoriten Angola, Nigeria und Kongo stellt für sie keine Warnung beim Billigsteinkauf von Ressourcen dar. "Wir sind die einzig verbliebene Weltmacht, und wir machen, was wir wollen."

Das wird dank all der Entscheidungen bestätigt, die von der Bush-Administration getroffen werden. Kontrolle der Weitergabe von Landminen: abgelehnt von den USA und Israel. Kontrolle der Bio-Waffen, auf dem Tisch der UNO seit 1975: abgelehnt von den USA; Einhaltung des Kyoto-Vertrages: abgelehnt von den USA. Zahlung der weiterhin hohen US-Schulden bei der UNO: abgelehnt.

Der von Cheney und Rumsfeld schon im August ausgerufene "Militäreinsatz" gegen Irak ist nur ein Mosaikstein im Puzzle geostrategischer Ziele. Drei Fünftel der Ölreserven der Welt lagern in irakischer Erde; und die US-Wirtschaft hängt am Öl wie ein Süchtiger an der Nadel. Jeremy Rifkin mag von einem Wandel hin zu einer längst möglichen Energiegewinnung aus Wasserstoff schwärmen, so viel er will: die Bush-Dynastie verhindert jeden noch so dringlichen Fortschritt. Ergebnis ihrer obsoleten Zukunftsverweigerung und zynischen Machtspiele sind immer von neuem Krieg und Gewalt.

Natürlich: Die USA - so sollen wir glauben - machen den Weltfrieden sicherer, wenn sie Saddam Hussein stürzen. Die USA leuchten der Welt mit der Fackel der Freiheit voran, wenn sie allerorten die ihnen genehmen Regimes einsetzen - und sie verteidigen die Menschenrechte. Im Militärgewahrsam von Guantanamo auf Kuba hat man den Häftlingen aus Afghanistan seit ein paar Monaten gestattet, ihre Hand- und Fußfesseln für 15 Minuten abzulegen - 15 Minuten pro Woche, wohlgemerkt; das heißt, dass sie sich immerhin auf der Toilette für zwei Minuten am Tag "frei" fühlen dürfen von der Behandlung durch US-Militärs. Die USA garantieren aktiv das Grundrecht der Meinungsfreiheit, indem sie "schädliche Dissidenten" wie Ex-Justizminister Clark, den Linguistik-Dozenten Noam Chomsky oder den Friedensaktivisten Howard Zinn im Internet an den Pranger stellen und sich per CNN weltweit für die "richtige" Homogenisierung des Bewusstseins einsetzen. Nie feierte Hegels "List der Vernunft" tückischere Triumphe.

Der Irak-Krieg ist unvermeidlich - mit der UNO, wenn sie mitmacht, ohne die UNO, wenn sie sich zu "schwach" zeigt, so Präsident Bush, denn der Irak sei in einem halben Jahr imstande, Atombomben herzustellen. Dieselbe Behauptung half im August 1990 bereits Bush senior, die Welt für einen Krieg am Golf zu motivieren. Bagdads Diktator benötige lediglich eine genügende Menge spaltbaren Materials zur Herstellung von Atomwaffen, heißt es; doch - im Besitz des nötigen Uran-Isotops könnte jedes Entwicklungsland "die" Bombe bauen. Scott Ritter, bis 1998 UN-Inspektor im Irak, versuchte inzwischen Tony Blair als Bushs eifrigstem Alliierten zu erklären, dass es im Irak kein wirksames Rüstungsprogramm mehr geben könne, zuviel an Waffen und Produktionsanlagen habe man bis zum Abzug der Inspektoren zerstört.

Und seither? Die Embargopolitik von Amerikanern und Briten hat nach UN-Schätzungen dahin geführt, dass in jedem Monat etwa 3.000 Kinder und alte Leute im Irak an den Folgen medizinischer und hygienischer Unterversorgung sowie fehlender Ernährung sterben - das macht in elf Jahren mehr als eine Million Menschen! Was bedeutet es, an Krankheiten zu sterben, die nicht behandelt werden können? An epidemischen Krankheiten, am "Genuss" verseuchten Tigris-Wassers? Was ist das für ein Embargo, das zivil derart verheerend wirkt und militärisch so erfolglos sein soll?

Wann wird man begreifen, dass man die Menschheit nicht bessert, indem man in einem neuen Kreuzzug für das "Gute" wieder einmal Hunderttausende von Menschen mit High-Tech-Waffen ermordet? Wann wird man begreifen, dass man mit der Zweiteilung der Welt in Gott und Teufel selber fundamentalistisch denkt? Am Ende hat man Saddam Hussein besiegt - mit Saddam Hussein. Nichts wird dadurch geändert, nur alles verschlimmert. Wir aber warten darauf, dass Amerika sich besinnt und - ähnlich wie beim Apollo-Programm zur ersten Mondlandung - seine enorme Macht für Ziele nutzt, die dem Ausgleich zwischen den Kulturen und zwischen Nord und Süd dienen. Wie wäre es, die USA gäben auch nur ein einziges Mal den 365. Teil ihrer Rüstung - eine Milliarde Dollar - für ein Hilfsprogramm zugunsten der rund 25 Millionen Aids-Kranken allein in Afrika aus? Oder für ein Aufbau-Programm in der West Bank? Eine einzige solche Tat veränderte die Welt. Ein neuer Krieg aber bringt nicht die "Neue Weltordnung", er ist nichts als die Verlängerung der Steinzeit mitten im Atomzeitalter. Darum muss Bush wissen: in unserem Namen handelt er nicht.

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