Kein Fußball, keine Liebe, kein Glück

Debüt „Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin“ von Heinz Helle hält nicht, was der Klappentext verspricht. Schlimm?
Ausgabe 10/2014
Kein Fußball, keine Liebe, kein Glück

Screenshot: Vimeo

Die Kerngeschichte des Romans ist schlicht. Ein Student der Philosophie bricht aus Deutschland zu einem Studienaufenthalt in die USA auf. Seine Freundin wird ihn besuchen und die Arbeit am Schreibtisch gerät ins Stocken, ohne den Ich-Erzähler ganz loszulassen. Der Roman beginnt auf dem Rasen und spielt in München, New York und in den Bergen weiter, aber es sind keine echten Orte, nicht die Isarvorstadt, Greenwich Village oder der Schliersee.

Eher spielt er in der Welt des Sadisten Patrick Bateman und in der Leere von Faserland. Die ältere deutsche Literatur hat junge Männer, die dem Erzähler in ihrer Mischung aus blasierter Unsicherheit und tauber Empfindsamkeit gleichen. Die Umgebung hat sich seitdem verändert, das für sie Abstoßende ist gleich geblieben: Taxifahrer in New York sind von anderer Hautfarbe, Araber im Flugzeug beängstigend, Frauen schlecht rasiert.

Nein, der Protagonist bewegt sich nicht, selbst wenn er reist, erzählt er vom Stillstand, hängt im eigenen Pronomen fest, „ich“ und wieder „ich“. Einmal kommt der Perspektivwechsel hypothetisch in Frage, als er beim Packen für die Rückreise der Freundin zuschaut. Sogar die Selbstbeschreibung fehlt. Der Leser kann sich aber gut vorstellen, wie er zu Hause echten Lapsang Souchong-Tee trinkt und im veganen Restaurant die Gold Card zückt, um für alle zu bezahlen. Tatsächlich sitzt die Akademikerrunde vorerst beim Japaner, und obwohl er dort reichlich durcheinander trinkt, bezahlt er wenig. Als Doktorand ist er noch zu langsam für die Gepflogenheiten urbaner Philosophen. Trägt er Cardigan? Nein, er ist nicht alltagsfremd. Er kann ein „Spannbetttuch“ als solches erkennen, wenn er mit seiner Freundin da-rauf liegt, eine „Packungsbeilage“ lesen, weiß, was „Vollkost“ ist.

Dass der Roman dennoch gelungen und spannend ist, liegt an der sprachlichen Sparsamkeit, den kurzen Kapiteln und dem langsamen, genauen Kippen einer reflektierten Attitüde in die Banalität des Alltags. Er hält sich jede Ironie und jeden Scherz vom Leib und verzichtet doch nicht auf den scharfen Witz. Gewiss ist er auch deshalb gelungen, weil alle Eckdaten stimmen, auf die eine zeitgenössische Leserschaft ihre Aufmerksamkeit richtet: Neurowissenschaft, Fremdheit der Paare, deutscher Geist, Kinderwunsch statt Fortpflanzung, Bomben und das F-Wort. Damit kommt er seinem Publikum schmeichelnd entgegen. Der Autor Heinz Helle ist 1978 in München geboren, er studierte Philosophie in seiner Heimatstadt und in New York, vor seinem Studium am Schweizer Literaturinstitut in Biel arbeitete er als Texter für Agenturen. Man könnte sagen: Er kennt sich und seine Pappenheimer. Aber die Geschichte geht weit hinter das moderne Leben zurück und erinnert an ihre Archaismen.

Sehnsucht

Warum aber passen die Ankündigungen, die sich der Buchmarkt ausdenkt, selten zum Inhalt? Das Versprechen im Klappentext, es gehe um Fußball, Liebe und Glück, wird er enttäuscht. Im ersten Kapitel steht er zwar, unter Aufsicht des Vaters, in einem Tor und diese winzige Szene wächst sich zum Kindheitstrauma aus. (Zunächst ist das schwer vorstellbar. Bis es doch einleuchtet.) Liebt er eine Frau, so sind alle anderen Frauen „die, die nicht sie ist“. Hat das etwas mit Liebe zu tun? Vielleicht. Ebenso aber hätte der Roman mit den Schlagwörtern Trauer, Schuld und Sehnsucht umrissen werden können. Klingt das zu altmodisch?

Was dem jungen Mann fehlt, während er über Bewusstsein und Wahrnehmung grübelt, sind Fantasie und Sprache. Dabei denkt er auch darüber nach, wie das geht, „zu artikulieren“, aber er kann es nicht. Absichtlich fehlen alle Zeichen einer direkten Rede da, wo sie stehen müssten, wenn es mal doch zum unvermeidlichen Dialog kommt, gar in verschiedenen Sprachen oder in der Sprechstunde des berühmten Philosophen, der rät, unter Leute zu gehen.

Klar, man muss nicht jedem Rede und Antwort stehen, der einen so anquatscht. Aber über eine Kopfgeburt hinauszugelangen, wäre doch schön. Dass Sprache ausgesprochen, ja ausgetauscht werden kann, auf diese Idee kommt unser deutscher Doktorand mit seinem neurowissenschaftlichem Ansatz nicht von selbst. Der Autor Heinz Helle dagegen schon.

Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin, Heinz Helle Suhrkamp 2014, 161 S., 15,99 €

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