Poetry Slam im Fußballformat

Bielefeld Bei den diesjährigen Meisterschaften im Poetry Slam herrschte Humorzwang
Ausgabe 46/2013
Performen Pflicht: der Sieger des Einzelwettbewerbs, Jan Philipp Zymny
Performen Pflicht: der Sieger des Einzelwettbewerbs, Jan Philipp Zymny

Foto: Tobias Heyel

Obwohl Poetry Slam in Deutschland immer noch ein treues Publikum hat und die Veranstaltungen in Bielefeld ausgebucht waren, muss man diese Form der Bühnenliteratur kurz erklären: Es treten Poeten nacheinander auf die Bühne und tragen in engstem Zeitrahmen ihre Texte vor. Expressivität wird geschätzt, eine performance geradezu erwartet. Gedichte mit Showeinlagen also, Requisiten sind allerdings nicht erlaubt. Eine Jury entscheidet mit Noten, unterstützt vom Saal-Applaus.

Das fünftägige Programm ist aufgebaut wie ein Fußballturnier: Vorrunde, Halbfinale, Finale. Dazwischen findet, bei grauem Wetter, aber mit buntem Ball, ein Freundschaftsspiel der slammer mit dem Ortsverein auf dem Rasen statt. Es ist eine Kunstgattung, die es dem Laien nicht gerade leicht macht. Man muss sich höllisch konzentrieren, um etwas mitzubekommen.

Dass die Besetzung in einem Fußballformat klar verteilt ist, versteht sich von selbst, es ist eine Männer-Veranstaltung. Geschenkt. Aus DJ- und Pop-Szenen, die sich für Avantgarde halten, ist bekannt, dass dort die Arbeitsteilung konservativ, quasi streng katholisch, geregelt ist. Konsequenterweise bedient die Mehrheit der wenigen Slammerinnen den „Luftgedanken“, das ist mädchenzarte Nachdenklichkeitslyrik. Die Poeten variieren eine Reihe von Themen: Kondom-Komik, Desaster der Tagespolitik, maskuline Trägheits-Komik. Die Teams haben es etwas einfacher als die Einzelkämpfer, da die Formation eine zusätzliche Ebene des Chor- oder Synchron-Gesangs schafft und dem Sprechen unmittelbar eine Melodie verleiht. Manche Teams wie Le Poonie und Bottermelk Fresch beherrschen das gekonnt.

Teil einer Jugendbewegung

Der Slam stammt aus Chicago: Bielefeld schließt an die amerikanischen Wurzeln des Genres mit rustikalem Regionalismus an. Bereits der erste Aufruf an Sponsoren im Internet gab sich derb: „Wir suchen 213 geile Ostwestfalen.“ Dazu kann ich nichts beitragen. Der Poetry Slam will kommunikativ und lebendig sein. Das verstehe ich. Spannend ist auch, dass die jungen Poeten – Slam ist Teil der Jugendbewegung, egal welches Alter die Slammer erreichen – mal was mit Sprache machen statt was mit Medien. Mich interessiert trotzdem auch die Poesie im Titel. Denn: Wortspiele reichen nun mal dafür nicht aus, Sprachspiele ebenso wenig („Ich will nur große Scheine. Kleingeld macht unscheinbar“). Auch Kraftmeierei oder emphatischer Vortrag sind keine poetischen Techniken, dito mechanische Sprachverdrehung oder mutwillige Versprecher. Statt Kommunikation und Leben entsteht Poesie 2.0 einer Generation Lustig. Alle müssen mitmachen, Humor zeigen und kreativ sein. Auf der Bühne wie im Publikum. Dieses soll „Applaus und Tier-Geräusche machen“. Zwischen Poeten und Publikum gibt es noch die Mischgestalten, die man Claqueure nennt. Sie setzen sich an strategisch günstige Stellen in die Menge und springen bei der Schluss-Party rasch zum Feiern mit auf die Bühne.

Der Sängerkrieg der Heidehasen von James Krüss und Ole Könneck erzählt neben einem herkömmlichen Märchen in einer Hasenwelt vom Triumph einer neuen Kunst über die Machenschaften des Kulturbetriebs. Für 100.000 Hasentaler soll der Minister den jungen Lodengrün, der durch seine schöne Stimme auffällt, vom Sängerwettstreit ausschließen, der ausgelobt wird, um die Prinzessin zu verheiraten. Die Intrige gelingt den Drahtziehern des Gesangsministeriums nicht, Direktor und Minister fliehen aus dem Land. An diese Liedgeschicht muss man denken, wenn man neben dem Festival wahrnimmt, wie geschäftig der Slam betrieben wird. In Busse, Bahnen und Schulen wird er getragen und verbreitet. Die Stadt, ob Jung, ob Alt, soll Slam sein und Slam lernen.

Nun ist der Poetry Slam als lebendige Kunst schon vor Jahren zu Grabe getragen worden. Namhafte Vertreter haben in den späten 90ern, als eine Show daraus wurde, die Bühne verlassen. Und bis heute scheint das Genre in dieser uralten Zwickmühle von Kommerz und Kunst festzustecken. Worum handelt es sich bei diesem Festival 2013 dann? Allerletzter Abgesang? Postpopismus reloaded? Weitermachen?

Nichtsdestotrotz suche ich in den alten Poetiken nach Konzepten, die diesem Slam ähneln. Da waren die Romantiker, auch ihre Poesie sollte „lebendig und gesellig“ sein, „die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen und durch die Schwingungen des Humors beseelen“. Marshall McLuhan hat die Kunst auch bereits zeitlich heruntergerechnet, auf fünfzehn Minuten Ruhm. Aber Kants Kritik der Urteilskraft lässt nun mal eine „freie Schönheit“ nur unabhängig von irgendeinem Zwecke zu. Eine poetry, die sich gleichermaßen für Kommunikation wie für Unterhaltung anstrengt, hat ihren Gegenstand auf doppelte Weise aus den Augen verloren.

Manche sagen einfach, wie es ist. Die Finalisten Hazel Brugger und Sulaiman Masomi halten dem Publikum Sexismus und Nationalismus, Elterneitelkeit und Müttergeschwätz, die kleinmütig selbstgeschürte Terrorismus-Angst vor. Diese Sparte wird als schwarzer Humor bezeichnet. Ja, hier könnte man weiterhören. Wahrscheinlich gelänge man dann zu poetischen Sprachen, die noch weit hinter jene feine Grenzlinie der Konterdiskurse und Konterhaken gelangen, welche offenbar für eine Abgrenzung von der Betriebsroutine nötig sind.

Außer Konkurrenz

Lars Ruppel und Volker Strübing bestechen mit ganzen Erzählungen genauester Spracharbeit und neuen Themen: Müdigkeit und einem Waldgeist. Sie alle nehmen es mit der competition so gelassen wie Peter Licht auf seinem Album Ende des Kapitalismus, wenn er das Gewinnen auf die Zukunft verschiebt: „Dann werden wir eben siegen“.

Aktuell siegen wird ein junger Mann, der damit punktet, sich beim Hantieren mit dem Mikro vorbereitet nebenbei als „dummen Menschen“ zu bezeichnen. Gelächter. Hat nicht das Dumm-Image derzeit doch hauptsächlich im Groß-Format-TV Konjunktur? Wie lange noch?

Offenbar war der Auftakt des Briten Disraeli mehr als nur ein Gastauftritt aus dem Ausland, sondern ein Wink mit dem Zaunpfahl an den deutschsprachigen Slam. Er sprach und sang außer Konkurrenz. Armes unpoetisches Deutschland.

Eva Erdmann ist Romanistin

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