Doras Haar

Kehrseite II Manchmal werde ich nass vom Speichel, der ihr im Traum aus dem Mundwinkel läuft. Während der Speichel abkühlt und langsam trocknet, dämmere ich ein ...

Manchmal werde ich nass vom Speichel, der ihr im Traum aus dem Mundwinkel läuft. Während der Speichel abkühlt und langsam trocknet, dämmere ich ein wenig vor mich hin, dann wacht sie auf, wäscht, trocknet, kämmt mich und schüttelt den Kopf; zugegeben, nicht nur ich gerate dann in Bewegung, sondern noch neunundneunzigtausend andere. Wir rascheln, denn wir sind kräftig, manche sagen, störrisch, erinnern an Reisig im Herbst und riechen nach Nebel.

Seit sieben Jahren kenne ich Dora. Was soll ich sagen, womit beginnen. Das erste, was ich von ihr sah, war die Kopfhaut, bleich und ein wenig fettig; gut kam ich voran, wuchs einen Millimeter in drei Tagen, sah schon am zweiten Tag, dass wir brünett sind. Ich hatte viel Zeit, um Doras Gesicht zu erkennen, Zug für Zug. Gemächlich seilte ich mich ab an ihrer glatten, bläulich pulsenden Schläfe, liebkoste ihre Wange, die linke, wenn ich Zeit hatte und sie mich nicht mit Schildpattkämmen bändigte, mich und die anderen.

Uns wollen die Menschen sehen riechen streicheln, denn Dora ist schön, und ihr Missmut ist Zierde. Bellen kann sie, beißen auch, ihr Wesen ist wildes Wasser; viel Schwebewelt Schlick Tang und Muscheln von Perlen bewohnt.

Zweimal hat sie geweint. Zweimal in sieben Jahren. Die Salzkruste strangulierte Blutgefäße Pigmentzellen. Man muss zusammen bleiben, sich arrangieren und plötzlich ist man wunschlos glücklich.

Vor zwei Jahren fiel ich beinahe auf dem Felde des Winters. Die Eisfläche krachte, Doras Atem machte uns nass, wir gefroren und einige brachen, gingen zu Boden.

Einmal dachte ich, sie will sich skalpieren, da war ich im Würgegriff ihrer Faust auf der Höhe des Jochbeins. Zähneknirschen am Schreibtisch, das Licht passierte den Tulpenförmigen Lampenschirm und wenn ich nicht halbblind gewesen wäre, ein Großteil von mir in ihrer Faust, hätte ich staunen können über das Grün Grün Grün ihrer zornigen Augen.

Auf dem Terrazzoboden ihrer Küche liegen, bedrängt von federleichten Wollmäusen, ist unangenehm, doch wenn sie mit großem Fuß unbedacht etwas unter den Schrank getreten hat, muss sie es herausfischen, auf den Knien liegend, fluchend. Vierundachtzig Monate mit Dora. Was soll ich erzählen, noch berichten. Warmer Raum, die Fenster Spiegel. Das Haus ein Kreuzer auf nächtlichem Meer; ich möchte bleiben. Kerzen, Blicke, bewundernde, doch Dora geht.

Eva Förster ist 1968 in Berlin geboren. Sie studierte Theaterwissenschaft und Romanistik in Berlin und Paris. Als freie Autorin schreibt sie Texte für Rundfunk, Bühne und Zeitungen.


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