Eine Begegnung mit dem QuarTIERquartett

Tierschutz 200 Jahre Bremer Stadtmusikanten: Mensch-Tier-Beziehungen fördern Stadtteilentwicklung in Bremen-Huchting

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„Etwas Besseres als den Tod findest du überall.“ Dieser Gewissheit folgten vor 200 Jahren vier vernachlässigte Tiere und traten gemeinsam die berühmte Reise der Bremer Stadtmusikanten an. Statt sich mit Ausgrenzung abzufinden, vertrauten sie ihren Fähigkeiten und kämpften für Selbstbestimmung. Seit 1953 türmt die bekannte Bronzestatue von Gerhard Marcks Esel, Hund, Katze und Hahn hinter dem Bremer Rathaus. Vom Märchen zum Wahrzeichen der Hansestadt verewigen die Tiere eine universale Botschaft.

Die Gebrüder Grimm veröffentlichten die „Bremer Stadtmusikanten“ am 03. Juli 1819 und erst gut ein Jahrhundert später widmete Bremen den Tieren ein zentrales Denkmal. Heute stoßen Passanten überall auf die musizierenden Gefährten - als Malerei, Graffiti und Skulptur. Die oft künstlerisch inszenierte Symbolik geht weit über touristisches Angebot hinaus. Esel, Hund, Katze und Hahn stiften urbane Identität und ihre Geschichte inspiriert Menschen auf der ganzen Welt.

Im Jubiläumsjahr der „Bremer Stadtmusikanten“ stehen die Grimmschen Tiere im Rampenlicht. Bremen ehrte sie im Sommer sogar mit einem Festprogramm. Auch für lebendige Vierbeiner setzt sich die Stadt ein und vergibt seit 2004 eine Auszeichnung an Tierschutzprojekte, die durch herausragendes Engagement auffallen. Unter den bisherigen Preisträgern befindet sich die Stadtteilfarm Huchting, ein drei Hektar großes Anwesen am südlichen Rand Bremens, das 50 Heim- und Nutztieren ein Zuhause gewährt.

Die Stadtteilfarm Huchting verrichtet Beziehungsarbeit, um Mensch und Tier zu vereinen, Stadtteilbewohner zusammenzubringen und Selbstfindung zu erleichtern. Umgeben von Tieren treffen insbesondere Kinder und Jugendliche aus dem Bezirk aufeinander und lernen ihr Umfeld kennen. „Wir setzen auf offene Arbeit und wollen, dass sie freiwillig zu uns kommen, teilnehmen sowie eigene Ideen einbringen “, erklärt Leiter Jürgen Rieche, der die Stadtteilfarm seit 1996 professionell unterstützt. Heranwachsende, deren Begabungen in verschiedenen Bereichen liegen, und Tiere lösen gemeinsam Aufgaben, freunden sich an – kommunizieren auf Augenhöhe.

Seit 2008 zählt die Farm zum Netzwerk Begegnungshöfe der Stiftung Bündnis Mensch & Tier. Die Zertifizierung geht in erster Linie an Projekte, die Besuchern offenstehen und verdeutlichen, dass Tiere Individuen und Persönlichkeiten sind. „Das Tier ist kein Objekt, sondern ein Gegenüber, für das wir Verantwortung übernehmen“, erläutert Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Otterstedt. Die Farm bietet damit eine natürliche Alternative zu Streichelgehegen und Zoos.

Nur gut ein Viertel der Bevölkerung lebte in Städten als die Grimmschen Tiere in Bremen nach einer besseren Zukunft suchten. Seither stieg die Einwohnerzahl der Hansestadt um mehr als das Zwanzigfache an. In einer zunehmend urbanen Welt nehmen Menschen viel Raum ein und verschließen die Augen – vor Tieren, anderen Menschen und sich selbst. Die Stadtteilfarm Huchting leistet einen wichtigen Beitrag zum präventiven Tierschutz, um Ignoranz, Ausbeutung und Romantisierung von Tieren schon im Jugendalter vorzubeugen. Gleichzeitig bringt sie Quartiersentwicklung voran und schafft Bewusstsein für ein respektvolles Miteinander.

Nicht ohne Grund verkörperten im Märchen schon vor 200 Jahren Tiere die Bedürfnisse von Menschen. Im Jubiläumsjahrs 2019 versinnbildlicht die Statue hinter dem Bremer Rathaus mit Nachdruck, dass der Wunsch nach Freiheit, Entfaltung und Wertschätzung sowohl Mensch als auch Tier bewegt. In der Fiktion kamen Esel, Hund, Katze und Hahn niemals in Bremen an. Stattdessen schlugen sie Räuber in die Flucht, besetzten ein Haus und erreichten auf dem Weg ein glückliches Ende.

Die Tiere schenkten Bremen letztlich trotzdem ein festes Monument - als Tierquartett, das verkörpert, was die Stadtteilfarm Huchting zum Leben erweckt: „Es ist beeindruckend, zu beobachten, wenn sich ein Kind im Rollstuhl auf dem Pferderücken plötzlich aufrichtet und das Pferd darauf mit Vorsicht reagiert“, so der Pädagoge Jürgen Rieche zu den herausragenden Mensch-Tier-Kontakten an der Peripherie der jetzigen Hansestadt.

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