Die Grünen: Abgebaggerte Ideale

Meinung Es war einmal eine Partei namens „Die Grünen“, die im Bundestag für eine Klimapolitik rebellisch kämpfte. Heute verteidigen radikale Aktivisten deren Ideale auf der Straße
Die neuen grünen Rebellen sitzen nicht im Bundestag. Sie stürmen Kohlegruben
Die neuen grünen Rebellen sitzen nicht im Bundestag. Sie stürmen Kohlegruben

Foto: Imago / Future Image

Geschichte wiederholt sich nicht, aber manchmal ähnelt ihre Ausgangslage: „Deutschland, Ende der Siebzigerjahre: Der steigende Ölpreis zog die bis dahin schwerste Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik nach sich. Europa wurde atomar aufgerüstet.“ Diese Zeilen stammen aus der Feder der Grünen. Es sind die ersten Worte, mit denen die Chronik der Grünen beginnt, nachzulesen auf ihrer Website. Sie beginnt mit dem Aufbegehren gegen einen ressourcenzerfressenden Zeitgeist. „Wir haben gestritten und Pullover gestrickt, wurden als Müslifresser und Ökospinner verlacht.“

Keine Frage: Die Grünen waren die „Frischzellenkur“ für den Bundestag, denn plötzlich beschäftigte sich dieser mit Ökolandbau und Nachhaltigkeit. Doch was ist heute geblieben von den grünen Rebellen mit den selbst gestrickten Pullovern, die für eine ökologischere und gerechtere Welt gekämpft haben? Sie sitzen zumindest schon lange nicht mehr im Bundestag.

Heute muss man sie draußen suchen. Auf den Straßen – oder klebend am Asphalt. Heute sind es die Klimaaktivisten vom Aufstand der letzten Generation, von Extinction Rebellion oder Ende Gelände, die sich mitunter in Vollzeit gegen die Klimakatastrophe stemmen, die uns erwartet, wenn der Kurs der Bundesregierung in seinem Weiter-so verharrt. Und dieser Kurs ist auch einer der heutigen Grünen. Gerade wird über die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke debattiert, während sich Energiehaie die Hände reiben über Gewinne aus dem Tagebau.

Allianz der Großkonzerne mit Regierenden

In Nordrhein-Westfalen hat Wirtschaftsministerin Mona Neubaur von den Grünen kürzlich mit RWE über die noch benötigten Flächen für den Tagebau verhandelt. Und damit auch über die Zukunft von Lützerath – jener Siedlung in NRW, die zum Symbol des Widerstands gegen die Energiegewinnung durch Braunkohle geworden ist. Bereits 2006 begann dort der Kohle wegen eine Umsiedlung. Nun soll der Ort endgültig abgebaggert werden, „um die Braunkohlenflotte in der Energiekrise mit hoher Auslastung zu betreiben“, wie RWE verlauten ließ. Als Ausgleich will der Energiekonzern schon 2030 keine Kohle mehr in NRW verstromen, acht Jahre früher als geplant. Wirtschaftsminister Robert Habeck begründete diese Entscheidung mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine – um teures Gas zu ersetzen, werde die Braunkohle unter Lützerath benötigt. Aus ökonomischer Sicht vielleicht richtig – aus ökologischer sicher nicht. Da hallen die Worte in der Chronik der Grünen besonders bitter nach: „Noch heute sind wir skeptisch, wenn Großkonzerne Allianzen mit den Regierenden eingehen.“

Es wird definitiv ein heißer Herbst werden. Nicht wegen der AfD, die weiter Gas aus Russland beziehen mag, sondern wegen der Klimaaktivisten, die die Regierung zu einem schnelleren Ende der fossilen Energie drängen wollen. Während sich die „letzte Generation“ wieder am Asphalt festklebt und den Berufsverkehr lahmlegt, mobilisiert Ende Gelände nach Lützerath.

Initiativen wie Alle Dörfer bleiben, Fridays for Future oder Greenpeace wollen beim kommenden Bundesparteitag der Grünen in Bonn protestieren – „gegen den atomaren und fossilen Rollback im Namen einer undifferenzierten ‚Versorgungssicherheit‘“, wie es in der Pressemitteilung heißt. Es wird also ein heißer Herbst werden als Mahnung für eine noch heißere Welt, wenn die deutsche Klimapolitik weiter so aussieht, als wolle sie mit rückwärtsgewandten Mitteln mutwillig die 1,5-Grad-Grenze sprengen. Zur traurigen Wahrheit gehört: Lützerath ist dabei nur ein kleines Opfer. Schwerer wiegt aktuell der Verlust grüner Ideale.

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