Man hätte darauf wetten können: Auf dem traurigen Rummelplatz, zu dem der Kachelmann-Prozess innerhalb der letzten Wochen avanciert ist, tummelt sich seit Beginn der Verhandlungen auch die mediale Ikone der Frauenbewegung Alice Schwarzer. Die Tatsache, dass sie für die Bild berichtet – ein Medium, das sich seit den siebziger Jahren konstant an der Dekonstruktion des Begriffs „Feminismus“ abarbeitet –, mag zunächst ironisch erscheinen. Das jedoch nur so lange, bis man feststellt, dass Schwarzer nur wenige Foren geblieben sind, um die eine oder andere überkommene These massenwirksamst zu publizieren. Da es nach ihrer Ansicht im Fall Kachelmann „um so viel mehr geht als die Prozessbeteiligten“, macht sie für die Zeitung mit der täglichen Dosis Sexismus auf Seite 1 die Gerichtsreporterin.
Den Mangel an neuen Inhalten im Arsenal ihrer Weltsicht ergänzt sie auch hier um ihre ganz spezielle Vehemenz, mit der sie seit Jahren verbliebene Diskutantinnen entnervt kapitulieren lässt. Dabei liegt sie falsch: Ausgerechnet bei Kachelmann geht es um nichts anderes als die Schlammschlacht, die ein Indizienprozesses bedeutet und die alles bietet, was das boulevardeske Herz erfreut: eine einst charmante Person des öffentlichen Interesses, ein mögliches Opfer und unglaublich viel Sex. Dass Vergewaltigungen Verbrechen sind, auch heute noch aber eine gegenteilige Vorstellung davon nicht nur durch die Hinterzimmer der Justiz geistert, kann nicht in Zweifel gezogen werden. In diesem Fall aber, der ausschließlich um die Schuldfrage kreist, ist die Problematik ausnahmsweise und entgegen Schwarzers Annahmen nicht Gegenstand der Debatte. Ein feministischer Schuss in den Ofen also.
Die Anrüchigkeit ihrer Bild-Offensive scheint Alice Schwarzer allerdings irgendwo bewusst zu sein: In ihrem Blog leitet sie ihr journalistisches Engagement in der Causa Kachelmann mit einer über mehrere Absätze ausufernden Erklärung an die Leserschaft ein. Man könnte das auch „Entschuldigung“ nennen. Und während sie für die Bild in feinstem Voyeursstil gemeinsame Rock’n’Roll-Tänzchen mit dem Wettermann zu einleitenden Worten erhebt, lässt sie vergleichbare Passagen im eigenen Web-Auftritt vermissen. Auch die latente Polemik einer Aussage wie der folgenden spart sie sich vorsichtshalber exklusiv für die Bild auf: „Gewiss ist schon jetzt, dass der Mann auf der Anklagebank die Frau auf der Nebenklägerinnenbank schwer gedemütigt und verletzt hat. Auch wenn so was nicht strafbar ist.“ Die Sätze fehlen im Blog auf aliceschwarzer.de.
Außerdem verfolgt sie lieber „einige“ statt aller Verhandlungstage im Mannheimer Gerichtssaal und kündigt an, die Bild mit einer grob geschätzten Menge von einem Text pro Woche zu füttern. Man kann nur Vermutungen darüber anstellen, ob sich das dazugehörige Dementi ihres eigenen Boulevard-Auftritts auf der Homepage rationalen Erwägungen verdankt. Frei nach dem Motto, dass das, was früher berechtigt gewesen ist, sich gegen jede gesellschaftliche Entwicklung immun zeigt, haut sie der Öffentlichkeit unbeirrt ihre Ansichten um die Ohren. Mit der Gründung von Emma, die uns die Trägheit patriarchalischer Verhältnisse vor Augen geführt hat, setzte Schwarzer einst brisante Akzente. Spätestens mit der schlichten PorNo-Kampagne aber haben ihre Texte an Genauigkeit verloren. Alice Schwarzers kritisches Instrumentarium ist stumpf geworden. Konsequent wäre es also nur, wenn der Posten der Chef-Feministin einer anderen zugedacht würde.
Eva Ricarda Lautsch bloggt unter stadtpiratin.blogspot.com über Feminismus, Politik und Popkultur
Kommentare 22
"Alice Schwarzers kritisches Instrumentarium ist stumpf geworden. Konsequent wäre es also nur, wenn der Posten der Chef-Feministin einer anderen zugedacht würde."
Abgesehen davon, dass derlei Hierarchien doch eher altfeministisch also von diktierendem Charakter sind, an wen hattest du denn bei der anderen "Chef-Feministin" gedacht? Inzwischen gibt es so viele feministische Richtungen, wie es Frauen gibt – zumindest hat Mann den Eindruck.
Will sie auf diese Weise schon mal sicherstellen, dass ihr nächstes Buch auch von BILD promotet wird?
Inzwischen? Die Frauenbewegung charakterisiert sich schon immer durch unterschiedlichste Strömungen, die sich oftmals ergänzen und zu neuen Ideen, immer wieder aber auch zu Grabenkämpfen führen. Ich würde auch behaupten, dass es Hierarchien innerhalb des Feminismus immer nur bedingt gegeben hat. Alice Schwarzer Chef-Feministin zu nennen geschieht allein, weil sie (vor allem für diejenigen, die sich nicht detailliert mit der Thematik auseinandersetzen) noch immer als erste Person mit dem Begriff "Feminismus" assoziiert wird. Und Kandidatinnen, die so viel Neues zu sagen haben, dass sie die Aufmerksamkeit einer Alice Schwarzer tatsächlich verdient hätten, gibt es zu Hauf.
Inzwischen ist es so, daß Frau Schwarzer zu allen möglichen Fragen, nicht nur von der Bild Zeitung um Entäußerungen gebeten wird, denen sie, bislang jedenfalls ohne ersichtlichen Zwang (..."persönlich mag ich Herrn Kachelmann"... so Alice Schwarzer) nachgekommen ist. Mitunter kann es hilfreich sein Jobs nicht zu machen, um die argumentative Schärfe nicht abzuwetzen.
"Inzwischen" meinte auch die stetig wachsende Zahl der Strömungen. Sei`s drum welche der Kandidatinnen zum Beispiel hat Neues zu sagen und was genau ist das Neue?
Also ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Alice Schwarzer völlig unvoreingenommen vom Geschehen berichtet- dafür ist sie doch bekannt!
Wer sollte denn die neue Chef-Feministin vom Dienst werden? Und was hätte die uns Neues zu sagen, was Alice Schwarzer nicht auch schon gesagt hat? Wenn ich da so die jungen Feministinnen anschaue, dann kann es sich bei erwähntem Neuen nur um Nivellierungen des Altbekannten handeln. Aber schlussendlich muss die Deutungshoheit in Geschlechterfragen beim Feminismus liegen- und da ist es egal, ob der nun jung oder alt ist, wenn man so die Debatten in den einschlägigen Foren verfolgt.
Ich denke nicht, dass dieser Monopolstellung noch eine grossartige Zukunft beschert ist. Mit Alice Schwarzers Engagement für die Bild in Sachen Kachelmann reitet sich die ganze Bewegung nur noch mehr ins Abseits.
Die grünen Männermanifestler bzw. Feministen wären wie geboren für den Job als Chef-Feministin. Auch im Hinblick auf die noch immer wirkmächtige Geschlechterpolarität.
"Wir brauchen ein neues Bewusstsein für eine neue Männlichkeit. Wir als männliche Feministen sagen: Männer, gebt Macht ab! – es lohnt sich."
Männer stürmen Frauenbastionen - in diesem Sinne.
blog.gruene-nrw.de/2010/04/09/maennermanifest/
Also nichts Neues, Eva Ricarda?
Doooch, zumindest von der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Goslar, Monika Dittmer:
"Es drängt sich mir der Eindruck auf, dass der Feminismus zur Ideologie versteinert ist, sich in keinster Weise mehr bewegt, man könnte auch sagen: “er ist tot”, oder soll ich in Gendersprech sagen, “sie ist tot?”
Diese Versteinerungen sind für ein gleichberechtigtes Miteinander von Mann und Frau in einer sozial-demokratischen Gesellschaft, wie ich sie mir wünsche, nicht förderlich, sondern sogar deutlich hinderlich. Gesellschaftlicher Wandel, die Prozesshaftigkeit von Entwicklungen und das Persönliche und Private werden von feministischer Frauenpolitik vereinnahmt und kalt gestellt. Das nimmt langsam Züge an, die ich als Genossin nicht nur für verwerflich halte, mir drängt sich der Verdacht auf, dieses könnte gar antidemokratisch und antisozial sein, das ist schlimmer als antifeministisch, wie ich finde."
Für mich steht eine Alice Schwarzer heute für manche Versteinerung, die einem modernen Feminismus aber nicht entsprechen und sowieso auch nicht gerecht werden. Es ist nicht mehr zeitgemäß, Frauen nur im Unterschied zu Männern zu definieren bzw. zu fordern, dass Frauen maskuline Verhaltensweisen an den Tag legen müssen, um sich aus Abhängigkeiten zu lösen. Und trotzdem sind wir noch lange nicht post-gender.
"Und trotzdem sind wir noch lange nicht post-gender."
Oder mit Ariane Hingst, Celia Okoyino da Mbabi und Linda Bresonik gesprochen, die beteuern, dass sie nichts gegen andere hätten, aber:
„Das sieht doch jeder, dass das nicht geht.“
www.freitag.de/alltag/1036-neid-will-neuer-nicht?searchterm=neid+will+neuer+nicht
Überdies, im Hinblick auf einen "modernen Feminismus" zumindest einer Strömung darin ist konsequenterweise zu ergänzen, dass dieser sich tatsächlich aktuell allen Ernstes darin erschöpft, das zu Grabe tragen jedweder "männlicher Tugenden" zu fordern.
Parallel dazu ist es hingegen absolut zeitgemäß, dass wir uns von der entgegengesetzten Strömung mitreißen lassen und an einer da kommenden Frauenfussball-WM interessiert zeigen möchten, die maskuline Verhaltensweisen geradezu zelebriert ohne dem Leistungsniveau auch nur entfernt nahe zu kommen, denn
„Das sieht doch jeder, dass das nicht geht.“
Um es kurz zu machen: In Anwendung und Zielrichtung geschlechtsneutralen Sprachgebrauchs sollte auch der Begriff Feminismus eher durch Humanismus abgelöst werden.
Abschließend, Eva Ricarda:
"Es ist nicht mehr zeitgemäß, Frauen nur im Unterschied zu Männern zu definieren bzw. zu fordern, dass Frauen maskuline Verhaltensweisen an den Tag legen müssen, um sich aus Abhängigkeiten zu lösen."
Aber es ist zeitgemäß zu fordern, dass Männer feminine Verhaltensweisen an den Tag legen müssen, um sich einem "modernen Feminismus" diesmal seiner 256. Strömung zu beugen?
"Feminine und maskuline Verhaltensweisen" sind eher sehr alte als neue Denkansätze. Das "Neue" im sogenannten zeitgemäßen Falle wäre nur: Nicht Männer sondern Frauen sind die besseren Menschen. Wenig tragfähig, da wieder nur sexistisch. Und wie weit es mit geschlechtsfokussierten Maßnahmen hierzulande bereits gekommen ist, hat ja das Zitat Dittmer deutlich gemacht.
Nein, liebe Eva Ricarda, Surprise, die Abhängigkeiten in unserem profitorientierten Wettbewerbssystem betreffen nicht nur Frauen.
"Macht kaputt, was euch kaputt macht" schallte bereits vor über 40 Jahren durchs Land – heraus geschrien von Männern.
Eine gesellschaftspolitische Vision, die über die Marxsche hinausgeht, ist mir von Frauen bisher nicht bekannt – auch keine wirtschaftspolitische, mit dem Ziel jedwede Abhängigkeit zu beseitigen.
Frau von der Leyen möchte Alg II in Basisgeld umbenennen. Mehr is wohl nicht drin.
„Das sieht doch jeder, dass das nicht geht.“
-> Ich pack mich weg...
Manche Dinge gehen und manche nicht - manchmal.
Ich wäre übrigens auch eher für Humanismus - als eben dem Feminismus. Zu alt der Hut und aus meiner Erfahrung im Umfeld hat auch keine bewiesen, dass sie weiss, wo es hingehen soll. Ausser, dass sie aufgrund ihrer neuen Freiheiten eben übers Ziel hinaus ....
... und die selben Allüren benutzt, denen sie vorher den Männern abgesprochen.
Aus dem einstigen Kampf ist nichts gescheites als ein immer wieder werdender Kampf geworden. Wozu der dann aber geführt werde, scheinen sich wenige nur gewiss zu sein.
Mehr Krampf als Kampf.
Am gesellschaftlichen Paradigma "Frauen zuerst" hat sich doch nichts aber auch gar nichts geändert.
Zitat:
"Konsequent wäre es also nur, wenn der Posten der Chef-Feministin einer anderen zugedacht würde."
Diesen Satz würde Alice Schwarzer der Autorin vermutlich genüßlich um die Ohren hauen. Warum? Sie würde (wie zuvor in ähnlichen Debatten) wohl einwenden, dass es den Posten der "Chef-Feministin" gar nicht gibt! Was zweifellos richtig ist.
Ansonsten halte ich den Artikel für überaus gelungen.
Wie wäre es, Alice Schwarzer durch Stefanie zu Guttemberg zu ersetzen. Sie ist jung, unverbiestert und im modernen Sinne feministisch.
oder ehm wart ma ich überleg
@Skepsis: klar, dass Frau Schwarzer selbst den Posten vorsichtshalber für nicht existent befindet. Faktisch wird sie aber von den Medien zur Chef-Feministin gemacht - was ebenso richtig ist wie die These, dass es im Sinne der Frauenbewegung keine Anführerin gibt.
@Savonarola: Frau zu Guttenberg, nur soviel dazu : www.stefan-niggemeier.de/blog/super-symbolfoto-82/
(auch wenn sie in mancherlei Hinsicht Recht haben mag, das Buch betreffend)
Scheint gerne und viel zu tanzen, die Frau Schwarzer.
www.welt.de/die-welt/debatte/article9733068/Wie-die-Islamisten-Deutschland-unterwandern.html
www.bild.de/BILD/news/2010/09/05/alice-schwarzer-berichtet/fuer-bild-vom-kachelmann-prozess.html
Nun denn, neu ist das nicht. Schon Wiglaf Droste wies vor Jahren auf die "Medienbordsteinschwalbe und Jubelperserin" Alice Shwarzer hin.
web.archive.org/web/20070225043316/http://www.jungewelt.de/2006/12-27/030.php
und
www.sueddeutsche.de/kultur/wiglaf-droste-ueber-jahre-taz-frisoere-als-hirnforscher-1.411155-2
die gründung der emma war wohl mehr als ein brisanter akzent.