Shitstorm? You can do it.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Latent zu spät kommen lohnt sich bei der re:publica 11. Während ich im letzten Jahr noch den Anfängerfehler machte und mich um mehr oder weniger Punkt 10:00 Uhr zwischen die Akkreditierungsschlange quetschte - meine heutige Ankunft ist gegen 12:00 Uhr. Just in time jedenfalls zu "Shitstorm? You can do it!", dem Panel von Helga Hansen (hanhaiwen.wordpress.com) und Kathrin Ganz (iheartdigitallife.de) und ebenso just in time für alle sonstigen Vorkommnisse der digitalen Gesellschaft.


Zu Beginn der Session verlassen ein paar TeilnehmerInnen verschreckt den Saal, bei Twitter ist zu lesen "Ich dachte es geht hier um Shitstorms und nicht um Feminismus" oder "Fuck! It's a trap!", versehen mit dem Hashtag #Feminism.
Helga Hansen lässt sich nicht beirren und erklärt Begriffe, Hintergründe und Beispiele für Shitstorms. Wie der Begriff zunächst eher nicht erkennen lässt handelt es sich hierbei um eine Form von digitalem politischem Aktivismus: Durch ein gemeinsames Hashtag werden auf Twitter die gesamten Reaktionen, Kommentare und Statements zu einer öffentlichen Debatte gesammelt. Anders als in klassischen Medien wird hier eine kollektive Empörung plötzlich sichtbar, sonst vereinzelte kritische Stimmen schaffen sich eine gemeinsame Plattform. So geschehen auch im cyberfeministischen Diskurs.


Die Vergewaltigungsvorwürfe um Julian Assange von WikiLeaks beispielsweise schlugen onlineaktivistische Wellen: sowohl die Kampagne "Prata om det" (sprich darüber) als auch #mooreandme gelangten mit teilweise sehr wertvollen Beiträgen zu einem differenzierten Umgang mit Sexualität über einen Twitter-Shitstorm zu kritischer Prominenz. Und damit auch in die klassischen Medien - meistens das Ziel des Unterfangens.

http://hatr.org/assets/images/hatr-big.png


Das nächste Level ist nach Ansicht der MacherInnen von hatr.org, den Shitstorm zu monetisieren. Kathrin Ganz erläutert das Konzept: Beleidigende und frauenfeindliche Kommentare, die sogenannter Trolle, auf feministischen Blogs werden bei hatr gesammelt, veröffentlicht und per Werbung und flattr zu Geld gemacht. Die Idee dazu sei nach dem amerikanischen Vorbild Monetizing the Hate auf dem Gendercamp 2010 entstanden - und mit so viel Aufmerksamkeit habe man zunächst gar nicht gerechnet. Mittlerweile bewegt sich diese in einer Spanne von 9000 Klicks pro Tag und die InitiatorInnen scheinen zufrieden. Auch wenn das Motto "don't feed the trolls" (gib ihnen keine Aufmerksamkeit) durch hatr nicht weniger aktuell geworden ist, bietet die Plattform eine weitere, vielleicht noch viel überzeugendere Möglichkeit, mit ihnen umzugehen. Indem die jeweiligen Kommentare aus dem Kontext enthoben und zweckentfremdet werden lässt sich der Angriff umkehren. Auch die Argumentationsstrukturen manches verzweifelten Maskulisten werden sichtbar als das, was sie sind: meistens flach.


Gegen Ende der Session laufen beispielhafte hatr-Kommentare über die Leinwand, von denen "Sexismus ist eine Meinung und wir haben Meinungsfreiheit" der harmloseste bleibt. Einige im Publikum zeigen sich erstaunt, parallel bei Twitter nennt man die Sprecherinnen mutig, das Projekt beeindruckend. Zu Recht.

[Bild: hatr.org]

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Eva Ricarda Lautsch

Cocktailkirschen zwischen dem Papier // Studentin, Bloggerin, Schreibtischgast @derfreitag.

Eva Ricarda Lautsch

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden