Poetischer als sein Ruf: Das Mediengenie Bertolt Brecht

Meinung Die Sonderbriefmarke zu Bertolt Brechts 125. Geburtstag zeigt den Dramatiker und Theaterregisseur mal wieder als politischen Aufrüttler. Dabei war Bertolt Brecht in erster Linie Lyriker und ein großer Poet
Ausgabe 10/2023
Auch Fußball-Fans feiern ihn: Theatermacher Bertold Brecht
Auch Fußball-Fans feiern ihn: Theatermacher Bertold Brecht

Foto: Imago/HJS

Nach dem Abitur wollte ich ans Theater, ist ja klar. Mein erster Anlaufpunkt war das bat-Studiotheater in Berlin, die damalige Spielstätte der Schauspielschule Ernst Busch. Das war kurz nach der Jahrtausendwende. Ich konnte mich zwischen Schauspielerin und Regisseurin nicht entscheiden, also hielt ich es für eine gute Idee, dort erst mal als unbezahlte Regieassistentin anzufangen.

Damals war die Busch noch das Walhalla der DDR-Theatergrößen, die dort durch die Gegend schlappten und von früher erzählten. Einer der Mentoren war der Schauspieler Manfred Karge. Wenn wir bei den Proben nicht weiterwussten, machten wir Pause und warteten, bis Manfred kam. Wenn er dann da war, sah er sich die Szene an, die uns vor Rätsel stellte, murmelte ein paar Regieanweisungen, und dann klappte alles wunderbar. Es war wirklich wie ein Wunder.

Häufig fiel in diesen Gesprächen auch der Name „Bert“. Bert dies, Bert das. Ich dachte anfangs: Bert? Was denn für ein Bert?! Bis mir dämmerte: Er meinte BERTOLT BRECHT! Es wurde gemunkelt, dass Karge mit Bert in der Theaterkantine gesessen habe, bevor dieser 1956 starb (rein rechnerisch kommt das nicht ganz hin, aber sei’s drum). Bert, so hieß es jedenfalls, habe auch immer eine Antwort gewusst. Regie führen zu können, hieß für mich deshalb fortan, auf die Bühne zu sehen und wie mit einem Röntgenblick zu wissen, warum es bei einer Szene hakt. So wie ein Mechaniker unter die Kühlerhaube guckt und weiß, warum der Motor nicht anspringt.

Am 10. Februar war der 125. Geburtstag von Bertolt Brecht. Die Deutsche Post gab eine Sonderbriefmarke heraus. Ansonsten kommt es mir vor, als würde das Jubiläum keine große Beachtung finden. Für die meisten hat Brecht wahrscheinlich einen trockenen Beigeschmack. Das Briefmarkendesign macht das deutlich – links im Bild der verkniffen dreinschauende, bebrillte Bert, rechts daneben ein Megafon, aus dem die Worte kommen: „Ändere die Welt, sie braucht es!“ So ist das Brecht-Bild: immer dieser leicht nervige Typ, der einen zum politischen Handeln agitieren will, während man selbst lieber noch ein bisschen romantisch glotzen möchte. Ich behaupte, Brecht ist poetischer als sein Ruf. Es gibt so wunderschöne Stellen in seinen Stücken, da könnte ich weinen. Sicherlich ist das zum großen Teil das Verdienst seiner vielen Frauen, Geliebten und Mitarbeiterinnen, die ihm oftmals die Stücke übersetzten, ihn auf Geschichten aufmerksam machten. Nicht umsonst hat er von der Liebe als der Kraft gesprochen, die „produktiv“ mache. Das hat er denen wahrscheinlich auch so erzählt.

Ein Rätsel seiner Rezeptionsgeschichte und bisher nicht annähernd gewürdigt sei jedoch Brechts „Medientätigkeit“, heißt es nun in einer bei Suhrkamp erstmals erschienenen Ausgabe seiner gesammelten Interviews aus den Jahren 1926 bis 1956 (Titel: „Unsere Hoffnung heute ist die Krise“). Brecht hat Medien tatsächlich schnell verstanden, zum Beispiel das Prinzip der unterschiedlichen medialen Verwertung von Stoffen. Nach seinem rasenden Erfolg mit der Dreigroschenoper schrieb er sogleich die Buchvariante, den Dreigroschenroman, und verfilmte das Theaterstück. Damals vollkommen neu! Auch zum Format des Interviews, in den 1920er Jahren noch eine ungeübte journalistische Praxis, machte er sich sofort Gedanken. „Wie interviewt man?“, lautet eine erste misstrauische Notiz, die ihn dazu veranlasste, selbst ein hypothetisches Interview zu schreiben: „Was soll im Theater gespielt werden? – Was wert ist, dass man sich 2 Stunden damit befasst.“ Denn Pointe konnte er auch.

Ich mache es jetzt so: Ich lese die Interviews – gut 750 Seiten umfasst der Band – und melde mich dann zurück. Mit meinem Röntgenblick und mit meinen Antworten auf alles.

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