Janov in Nordböhmen – ein Problem-Viertel in der Kleinstadt Litvínov, 6.000 Einwohner, davon knapp die Hälfte Roma. Seit November 2008 ist die Plattenbau-Siedlung in ganz Tschechien berühmt. 500 Rechtsradikale aus dem Umfeld der so genannten Arbeiterpartei marschierten dort auf und versuchten, Roma mit Molotow-Cocktails anzugreifen. Am Straßenrand standen Bewohner, feuerten die Nazis an, beschimpften die Roma als „stinkende Schwarze“. Es gab mehrere Verletzte, 1.000 Polizisten verhinderten Schlimmeres.
Die Bilder aus Janov zeigen, wie es um das Zusammenleben mit der Minderheit im Nachbarland steht. Zwei Drittel der Bevölkerung bezeichneten ihre Beziehungen zu Roma als schlecht, besagt eine Umfrage des Forschungsinstituts STEM. „Die Lage
;Die Lage der Roma in der Tschechischen Republik ist zuletzt leider immer prekärer geworden“, sagt Miroslav Brož, Sprecher der Regierungsagentur für die soziale Integration in Roma-Wohngebieten. Immer wieder marschieren Neofaschisten durch Viertel der Roma und profitieren von den weit verbreiteten Vorurteilen. Im osttschechischen Vítkov wurde bei einem Brandanschlag auf eine Roma-Familie im April ein zweijähriges Mädchen lebensgefährlich verletzt. Wegen dieser Ereignisse wollen viele Roma nicht mehr in Tschechien leben. Über 1.500 von ihnen haben in Kanada Asyl beantragt, da die dortige Regierung seit Ende 2007 von Tschechen keine Visa mehr verlangt. Roma machen davon besonders Gebrauch, sie flüchten aus der EU, die sich so gern als Hort der Menschenrechte empfiehlt. Wie Zunder In Tschechien leben etwa 250.000 Roma. 64 Prozent von ihnen fühlen sich diskriminiert, besonders bei alltäglichen Besorgungen und bei der Arbeitssuche, so eine Studie der EU-Agentur für Grundrechte. Im Vergleich zu anderen Ländern mit hohem Roma-Anteil ist der Wert in Tschechien am höchsten. Was laut EU-Studie vor allem daran liegt, dass die Minderheit hier nicht wie etwa in Bulgarien in isolierten Dörfern lebt, sondern in den Städten zusammen mit der Mehrheitsbevölkerung. Und da wirkt die Arbeitslosigkeit wie Zunder, etwa 70 Prozent der Roma sind davon betroffen, auch wenn es keine genauen Zahlen gibt. Als nach der Wende Bergwerke und Industriebetriebe in der Region geschlossen wurden, mussten Roma als erste gehen. „Sie werden auf dem Arbeitsmarkt ganz klar diskriminiert“, sagt Hana Blažková, Leiterin des Arbeitsamtes. Viele Firmen wollten keine Roma einstellen. Blažková hat einen ganzen Schreibtisch voller Konzepte, meist mit dem Stempel des Europäischen Sozialfonds, aus dem spezielle Kurse für Roma bezahlt werden. „Die Leute müssen aber auch selbst viel ändern“, sagt Blažková. Viele bemühten sich nicht um eine Arbeit, weil sie glaubten, dass sie ohnehin keine Chance hätten.In der Tat haben viele Roma-Kinder nie erlebt, dass ihre Eltern arbeiten. „Manche Kinder gehen im Sommer überhaupt nicht zur Schule und werden von ihren Eltern entschuldigt“, sagt Jaroslav Šmahel, der jahrelang Lehrer an der örtlichen Grundschule in Janov war. In den oft überfüllten Wohnungen könnten die Kinder kaum Hausaufgaben machen. Viele landeten früher oder später auf einer Sonderschule.In Janov gibt es eine Schule und etwa zehn Spielhallen. Am Ortseingang reiht sich eine an die andere, dazwischen liegen Kneipen und Wettbüros sowie die Dependance der Caritas. Dort versuchen die Helfer, Betroffenen aus dem Sumpf ihrer Spiel- und Mietschulden heraus zu helfen. Viele Roma seien Opfer von Wucherern, sagt Caritas-Mitarbeiter Kristián Drapák. Es sei schwierig, unter diesen Umständen Vorurteile über „die kriminellen Roma“ zu erschüttern.Viel zu spät Kristián Drapák ist selbst Rom und erlebt immer wieder, dass Leute in der Straßenbahn ihre Handtaschen festhalten, wenn er einsteigt. „Ich habe mich so daran gewöhnt, dass es mir seltsam vorkäme, wenn es anders wäre.“ 30 bis 40 Prozent der tschechischen Roma wohnen in sozial herunter gekommenen Gebieten. Die Wohnungen sind billig, ganz anders als etwa in Prag, wo es fast unmöglich ist, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Hausbesitzer wollten oft nicht an Roma vermieten, sagt Kateřina Hůlová, Sozialarbeiterin bei der Prager Menschenrechtsorganisation „Mensch in Not“. „Es fehlt ein System von Sozialwohnungen.“ Wer nichts findet, geht ins Ausland, landet auf der Straße oder in einer Notunterkunft oder eben in der Trostlosigkeit Nordböhmens. Zum Beispiel in Chanov, wie Janov eine Plattenbausiedlung mit etwa 1.500 Einwohnern an Rand der Kleinstadt Most. Überall blättert der Putz, wackeln die Treppen. In einem Haus hat das unterste Stockwerk keine Wände mehr, so dass die Heizungsrohre im Freien liegen und im Winter zufrieren.Aber in Chanov bewegt sich etwas. In der Turnhalle der Grundschule klettert eine Handvoll junger Leute auf einem Gerüst herum und streicht die Wände. Sie sind Roma, wie 95 Prozent der Einwohner, und besuchen einen Kurs im Haus der Roma-Kultur in Chanov. Sie hoffen, dadurch später eine Arbeit als Handwerker zu finden. Kontakte zur Mehrheitsbevölkerung bleiben die Ausnahme. „Wenn mir junge Leute auf der Straße begegnen, die keine Roma sind, gehe ich lieber weg“, sagt der 27jährige Richard Cina. „Sonst passiert etwas.“Die tschechische Regierung hat jede Menge Konzepte, um Wohngegenden wie Chanov und Janov zu integrieren. „Die Koordination zwischen Regierung und Städten ist aber schlecht“, beklagt Kateřina Hůlová von der Organisation Mensch in Not. Und Viktor Koláček, ehrenamtlicher Mitarbeiter bei der NGO Libuše in Janov, sagt: „Die Stadt hat viel zu spät auf die Probleme reagiert.“ Erst der Nazi-Aufmarsch in Janov hat manchen wachgerüttelt.