Allgemeine Ratlosigkeit im Umgang mit einem parlamentarisch erfolgreichen Rechtsextremismus sollte eigentlich verwundern: Dank FPÖ und Front National kennen wir entsprechende Phänomene und Debatten schon seit Jahrzehnten. Was freilich neu zu sein scheint, ist der Eindruck der Unausweichlichkeit: Eine internationale „Welle“ der Illiberalität sei nun auch nach Deutschland geschwappt und lege tief verwurzelte Defizite im System offen. Die überkomplexe Gemengelage aus Politikverdrossenheit, Polarisierung und Populismus scheint schwer zu durchdringen oder gar zu bewältigen. In dieser Bedürfnislage hat Yascha Mounk, deutsch-amerikanischer Politikwissenschaftler und Executive Director an Tony Blairs neuem Think-Tank Institute for Global Change, nun mit Ze
Zerfall der Demokratie einen Vorschlag unterbreitet.Mounk fragt nicht nur nach den Ursachen der existenziellen Erschütterung konsolidiert geglaubter Ordnungen, sondern erklärt auch, was gegen sie zu unternehmen sei – politisch, ökonomisch, zivilgesellschaftlich. Er begnügt sich nicht mit oberflächlichen Trump-Analysen, sondern weitet den Blick hin zum internationalen Vergleich. Diese Mammutagenda durchschreitet er souverän , anschaulich und gespickt mit saftiger Kritik an der eigenen Zunft: Die oft gutgläubige Hoffnung in die Stabilität liberaler Demokratie rühre von einer falschen Annahme her, dass nämlich Demokratie als Volksherrschaft und Liberalismus als Schutz individueller Freiheitsrechte untrennbar miteinander verknüpft seien und sich gegenseitig stützen.Das Gegenteil ist, wie Mounk überzeugend darlegt, beobachtbar: Eine „Demokratie ohne Recht“ – wie in den zunehmend illiberalen Demokratien in Ungarn oder Polen – und ein „Recht ohne Demokratie“ – technokratisches Durchregieren jenseits demokratischer Rechenschaft durch „vormundschaftliche Mechanismen“ – sind auf dem Vormarsch. Schuld am Zerfall der liberalen Demokratie sind deshalb nicht nur illiberale Rechtspopulisten, sondern auch wohlmeinende Bürokraten – und Bürger, die verlernt hätten, um ihre demokratische Teilhabe und Freiheiten zu kämpfen, aber auch von Abstiegsängsten und identitätsbedrohenden Vielfaltserfahrungen gebeutelt seien. Die Diagnose ist ernüchternd: Liberale Demokratien sind offenbar besonders fragile Konstellationen, ihr Gelingen eher Ausnahme als Regel.Flickwerk statt VisionenIn seinem Aufruf zur Rettung dieses dennoch wertvollen Projekts schlägt Mounk einen kämpferischen Ton an, doch es ergibt sich ein eher melancholisches Bild. Der Maßnahmenkatalog beschränkt sich auf Feinjustierungen. Die zerfallende Demokratie kann durchaus verschiedentlich geflickt und repariert werden – durch zivilen Protest gegen Illiberalität, durch Wohnungsbauprogramme, durch staatsbürgerliche Bildung –, doch eine visionäre Erneuerung und nachhaltige Revitalisierung kann Mounk, in diesem Sinne weniger softer Reformist als schlicht Realist, nicht bieten. Nicht nur wären radikalere Interventionen kaum durchzusetzen (man denke an einen Umbau jener kapitalistischen Strukturen, die Abstiegsängste nähren); sie wären wohl auch gegen Mounks Vorstellung, dass liberale Demokratie von Konflikt und Wettbewerb lebe und damit nie ganz stabilisiert werden sollte.In dieser Minimalvorstellung von Demokratie liegt auch begründet, warum er diese eher zaghaft verteidigt: Demokratie hebe auf Wahlen ab, „die den Volkswillen wirkungsvoll in Politik umsetzen“. Minderheitenrechte etwa seien erst in Kombination mit dem Liberalismus herstellbar. Das führt zur brisanten Diagnose, „die Populisten“ seien „zutiefst demokratisch“: „Viel inbrünstiger als traditionelle Politiker glauben sie an die Herrschaft des Volkes“ und orientieren sich am „Volkswillen“. Dass Mounk überhaupt vom erkennbaren Willen „des“ Volkes auszugehen scheint und dem transformativen Prozess demokratischer Meinungs- und Willensbildung wenig Beachtung schenkt, erstaunt und trübt vor allem den Blick auf dessen aktuelle Beeinträchtigung: Die Vermachtung sozialer Medien und die Anfälligkeit des demokratischen Prozesses für epistemische Manipulation, also Einflussnahmen durch Fake News etc., finden keine hinreichend scharfe Kritik, obgleich sie für die gesellschaftliche Polarisierung dramatische Folgen haben, ja: vielleicht für sie mitursächlich sind.Jan-Werner Müller hat darauf hingewiesen, dass sich der Populismus durch einen ausgeprägten Anti-Pluralismus auszeichnet. Einen demokratischen Populismus oder eine „illiberale Demokratie“ könne es demnach nicht geben, so Müller jüngst in der New York Times. Mounk dagegen scheint dem Populismus einen demokratischen Kern zuzugestehen; Populisten sind für ihn nicht automatisch Feinde der liberalen Demokratie – sondern eher langfristige Gefährder. So erklärt sich der Originaltitel des Buchs The People vs. Democracy: Die Gefahr für die Demokratie ist selbst demokratisch. Die schwersten Geschütze zur Verteidigung lässt Mounk daher im Waffenschrank des Rechtsstaats verstauben; Anhänger von Parteienverboten ist er wohl nicht. Doch indem Mounk keine rote Linie zieht, jenseits derer das Anfechten der freiheitlich-demokratischen Ordnung inakzeptabel ist, bleibt auch die Zielrichtung von Protest gegen die Rechtspopulisten im Ungefähren: Gibt es Programme, die aus dem demokratischen Wettbewerb ausgeschlossen und als illegitim erklärt werden müssen? Und kommt eine Strategie zur Rettung der liberalen Demokratie wirklich an dieser Frage vorbei?Der Versuch, die Polarisierung nicht weiter anzufachen, ist nachvollziehbar. Doch angesichts der dramatischen Diagnose wirkt Yascha Mounks Therapievorschlag nicht nur versöhnlich, sondern resignativ – wenn er etwa einen inklusiven Nationalismus empfiehlt und so alle kosmopolitische Hoffnung fürs Erste fahren lässt. Dass der Autor am Ende dann mahnend auf den schleichenden Fall der römischen res publica verweist, ist nur konsequent: Seit Edward Gibbonhält Rom immer dann her, wenn Beobachter zweifeln, ob gegenwärtige Krisen noch überwindbar sind.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1