Das Phantom der Atomkopplung

Fessenheim-Flamanville: Den Atomkonzern EDF wird es freuen, wie Medien und Politik an der Verbreitung seines Trugbildes mitwirken.

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Es ist ein propagandistisches Meisterstück: dem französischen Atomkonzern EDF ist es gelungen, groben Unfug als „gesetzlich vorgegeben“ zu deklarieren. Erschreckend daran ist, wie wenig reflektiert Presse und Politik diesseits und jenseits des Rheins den von EDF kreierten Mythos von der „unauflösbaren Atomkopplung“ Fessenheim-Flamanville übernehmen, weiterverbreiten und somit am Leben halten. Doch damit nicht genug. Da die gesamte mediale Aufmerksamkeit auf die trügerische Atom-Verquickung gelenkt ist, entgeht der Öffentlichkeit eine real existierende Atomkopplung mit echter Sprengkraft: die Zukunft des Euro-Reaktors EPR in Hinkley Point hängt am seidenen Faden des Zeitplans des baugleichen EPR in Flamanville.

Zunächst zum groben Unfug: Ist es vorstellbar, dass mit gesundem Menschenverstand ein Gesetz formuliert wird, welches es verbietet, ein uraltes, womöglich unrentables, nicht mehr nachzurüstendes und mit schwersten Sicherheitsmängeln behaftetes Atomkraftwerk stillzulegen, ohne dass irgendwo im Land ein neuer Reaktorblock ans Netz geht? Natürlich nicht.

Um es zu verdeutlichen: Nehmen wir an, Ihr altes Fahrrad büßt über die Jahre seine Verkehrs-Tauglichkeit ein, der Lenker versprödet, droht bei voller Fahrt zu brechen, Bremsen und Reifenprofil sind hinüber, ohne dass es Ersatz für Ihr Modell gäbe. Ihr Fahrradhändler erzählt Ihnen seit Jahren, Sie sollten das uralte Rad noch so lange fahren, bis der Fahrradkonstrukteur endlich sein neues Modell auf den Markt gebracht hat. Sie würden lieber den Bus nehmen oder alternativ zu Fuß zur Arbeit gehen, als mit dem lebensgefährlichen Uralt-Rad zu fahren. Aber ein Gesetz verbietet Ihnen, das alte Rad zu verschrotten, bevor Sie sich ein Neues zulegen. Um im Bild zu bleiben: Auch wenn es kein neues Fahrrad gibt.

Welchen Sinn würde ein solches Gesetz ergeben? Es würde Heerscharen von Radfahrer*innen in Lebensgefahr bringen, während der Konstrukteur Zeit gewinnt, um sein neues Modell an den Markt zu bringen. Und es würde verhindern, dass Sie andere Alternativen nutzen, die schneller und kostengünstiger zu bekommen sind, als das seit Jahren angepriesene, aber nie funktionierende neue Modell – nennen wir es „European Performance Radel“, „EPR“. Mit einem solch absurden Gesetz hätte der teure aber erfolglose Produzent die Garantie, dass sich für sein Produkt die Lücke am Markt auch dann nicht schließt, wenn die alten Räder am Ende ihrer Laufzeit aus Sicherheitsgründen aus dem Verkehr gezogen werden müssten. Der Ersatz durch kostengünstige, schnell verfügbare Alternativen würde durch den Zwang zum Weiterbetrieb verhindert.

Das Phantom der Atomkopplung geistert durch die Medien

Zurück in die atomare Realität: Wann immer über Unregelmäßigkeiten oder Störfälle aus Fessenheim in Radio, TV oder Zeitungen berichtet wird, drängt sich der Eindruck auf, als dürfe zum ungeklärten Abschaltdatum von Fessenheim der Verweis auf den EPR-Neubau in Flamanville nicht fehlen. Mal nebulös angedeutet, mal ausformuliert als glatte Falschinformation: „ … Fessenheim kann laut Gesetz nur vom Netz gehen, wenn ein anderer Meiler dafür den Betrieb aufnimmt.“

Das Gesetz, welches von diversen Presseagenturen, nachgeordneten Zeitungen aber auch von Politiker*innen als „Begründung“ für den Atomtausch - alt gegen neu - immer wieder zitiert wird, ist das französische Energiewendegesetz vom 17. August 2015. Der Name zeigt es schon an: Es zielt darauf ab, die Erneuerbaren zu stärken und den Atomanteil zu reduzieren. Letztgenanntes war eines der großen Gesetzes-Ziele, die in der begleitenden Pressemitteilung des Umweltministeriums (Aug. 2015) herausgestellt wurden: „den Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung (75%) bis 2025 auf 50% zu reduzieren“. Zum Mitrechnen: ein Drittel der 58 Reaktoren (also 21 GW von derzeit 63,2 GW) müssten demnach innerhalb der nächsten 7 Jahre zwingend vom Netz. Ein Verstoß gegen diese zentrale Vorschrift wird übrigens weder mit Geldstrafen noch durch Inhaftierung geahndet – die Regierung hat im Sinne des Staatskonzerns das Ziel nach nur 2 Jahren, im November 2017, um eine ganze Dekade, auf 2035 verschoben.

Doch die Deckelung bei 63,2 GW ist real und gültig (Art. L. 311-5-5). Die Widersinnigkeit der EDF-Auslegung des Gesetzes liegt auf der Hand: Reduzieren, aber trotzdem für jeden stillgelegten Altmeiler neue Atomkapazitäten ans Netz bringen - das schließt sich gegenseitig aus. Umso bemerkenswerter ist die Art und Weise, wie der staatliche Nuklearkonzern EDF diese paradoxe Unvereinbarkeit der Politik als einzig mögliche Deutung des Gesetzes verkaufen konnte:

EDF zeichnet Trugbild

Am 26.4.2016 sagte EDF-Chef Jean-Bernard Levy vor dem Wirtschaftsausschuss, die Nationalversammlung habe das Energiewende-Gesetz verabschiedet und EDF als Staatsunternehmen wende die Gesetze der Republik an. „Das Gesetz sieht die Schließung von Fessenheim vor, wenn Flamanville am Netz ist.“ Diese Aussage ist nachweislich falsch. Umgekehrt ergäbe es Sinn: der Neue darf erst ans Netz, wenn der Alte stillgelegt wird, um die gedeckelte Kapazität von 63,2 GW nicht zu überschreiten. Aber ein solches Szenario ist mit der bauzeitplanerischen EPR-Fiasko-Baustelle in Flamanville weitab aller Realitäten.

Eingebetteter Medieninhalt

Abb. 1: 26.4.2016, EDF-Chef Levy beschwört Gesetzestreue. Rechts daneben: der "EDF-Abgeordnete" Lenoir. Das einminütige video ist am Ende des Textes eingebettet

Beinahe ebenso wichtig wie Levys wenig überzeugend vorgetragene Falschaussage, ist das konspirative Lächeln des Herrn an seiner rechten Seite. Es handelt sich um einen ehemaligen Exekutivdirektor von EDF, der für die Lobbyarbeit bei Parlamentariern zuständig war, der durch die Drehtür als konservativer Abgeordneter ins Parlament wechselte, der regelmäßig „parlamentarische Treffen für die Kernenergie“ arrangierte, der als Abgeordneter kein Problem darin sah, ein von EDF finanziertes Auto zu fahren und der sich 2010 selbst zum Mangel an demokratischen Entscheidungen zu Energiefragen im Parlament mit den Worten gratulierte: Der Erfolg der Umsetzung der französischen Kernenergie ist meines Erachtens darauf zurückzuführen, dass wir im Parlament entsprechend wenig darüber gesprochen haben“. In jener Schlüsselszene vom 26. April 2016 also, am 30. Tschernobyl-Jahrestag, hatte er den Vorsitz des Wirtschaftsausschusses inne: Jean-Claude Lenoir. Von seinen Parlaments-Kollegen bekam er den Spitznamen „der EDF-Abgeordnete“. In der aktuellen Lobby-Studie der Europa-Grünen „Revolving Doors“ wird er als einer der Top-Seitenwechsler Frankreichs aufgeführt. Sein Sohn, Antoine Lenoir, ist Kommunikationsdirektor des internationalen Energiekonzerns Engie, dessen 100%ige Tochter, die belgische Electrabel, hierzulande einen zweifelhaften Ruf genießt, wegen der altersschwachen, stilllegungsresistenten Bröckelreaktoren in Doel und Tihange.

Atomexperte entsetzt – Unwissenheit auf höchstem Niveau

Entsetzt über die Tiefenwirkung des Flamanville-Fessenheim-Phantoms bis in höchste Regierungskreise hinein, zeigt sich u.a. der Atomexperte Yves Marignac: "Beunruhigend, den Umweltminister Nicolas Hulot vor dem Untersuchungsausschuss für Atomsicherheit der Nationalversammlung sagen zu hören, es sei notwendig" zu warten, bis Flamanville in Betrieb ist, um Fessenheim stillzulegen" weil das Gesetz es so vorschreibe. Dies ist die Lesart des Gesetzes, die EDF versucht zu erzwingen. Nochmals zur Erinnerung, der Text besagt exakt das Gegenteil: Die Obergrenze von 63 GW besagt, dass Fessenheim schließen kann, ohne auf einen eventuellen Start des EPR Flamanville warten zu müssen".

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Abb. 2: Yves Marignac, Mitglied der von der Atomaufsicht eingesetzen permanenten Expertengruppe GPESPN für die Materialsicherheit im Nuklearbereich, ist beunruhigt darüber, dass Umweltminister Nicolas Hulot eine zentrale Passage des Energiewende-Gesetzes nicht begreift.

Auch die Deutsche Umweltministerin Svenja Schulze ging EDF auf den Leim und schrieb am 27.4.2018 an einen Fessenheim-kritischen Genossen aus der Grenzregion: „Auf der Grundlage des französischen Energiewendegesetzes von 2015“ sei die Stilllegung des AKW Fessenheim an die Inbetriebnahme von Flamanville3 geknüpft. In südbadischen Antiatom-Kreisen hat man die perfide Verquickung der nordfranzösischen Neubauruine mit den elsässischen Altmeilern längst durchschaut. Entsprechend bescheiden dürfte die Euphorie darüber ausgefallen sein, dass das Bundesumweltministerium „dieses Anliegen natürlich auch weiterhin in geeigneter und angemessener Art und Weise weiterverfolgen“ wird.

Blind und taub für die real existierende, britisch-französische Atomkopplung

Während sich Multiplikatoren in ganz Europa verleiten lassen, ohne jeden Faktencheck das Atomtausch-Trugbild immer wieder nachzuzeichnen, sind sie blind und taub für die echte Atomkopplung, die als laut tickender Sprengsatz zwischen Flamanville und Hinkley Point liegt. Auf EDF rollt nämlich eine Kostenlawine zu, wenn in Flamanville die zeitliche Zielmarke des 31.12.2020 gerissen wird. Bereits der Nuklear-Gutachter John Large hielt in seinem Bericht vom September 2016 fest, es sei zunehmend fraglich, ob Flamanville 3 bis zum bereits deutlich verspäteten Termin Ende 2018 in Betrieb genommen werden könne.

Immer neue Verzögerungen (u.a. wegen mangelhafter sicherheitsrelevanter Komponenten, wie Reaktordruckbehälter und Schweißnähte im Sekundärkreislauf) könnten das britische EPR-Projekt gefährden, „da die Kreditgarantie der britischen Regierung für die Finanzierung von Hinkley Point C unter der Bedingung steht, dass Flamanville bis Dezember 2020 fertiggestellt und vollständig in Betrieb genommen ist und über eine Probezeit hinaus auslegungsgemäß Strom erzeugt. Wenn diese Basisbedingung in Flamanville nicht erfüllt werden kann, wird bei wegfallender britischer Kreditgarantie die Kredit-Inanspruchnahme vollständig auf EdF und seine Co – Investoren entfallen“. Dies führt Large mit Verweis auf die Basisbedingungen aus, die im Beschluss der EU-Kommission vom 8. Oktober 2014* über die von Großbritannien geplante Atom-Staatsbeihilfe zugunsten des AKW Hinkley Point C festgeschrieben sind.

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Abb. 3: Real, jedoch unbeachtet: die britisch-französische Atomkopplung

Probleme mit Flamanville können das Ende von Hinkley Point bedeuten

Die real existierende, aber weithin unbemerkte Atomverknüpfung wurde unter der Überschrift „Probleme mit französischem AKW (Flamanville) können das Ende für Hinkley Point bedeuten“ am 20.4.2018 auch von Dr. David Toke von der Universität Aberdeen besprochen. Toke verweist auf die Vorarbeiten, die bereits auf der südenglischen Baustelle im Gange sind - ohne Kreditgarantie und trotz heftiger Proteste und anschließendem Rücktritt des EDF-Finanzvorstandes Thomas Piquemal. „Aber EDF wird nicht beginnen, die Hauptteile des Kraftwerks zu bauen, bis die notwendige Finanzierung steht.“ so der Energiepolitik-Dozent Toke. „Und wenn das Finanzministerium keine Kredit-Genehmigung gibt“ folgert er mit Blick auf die Vertragsbedingungen „dann wird das Projekt (Hinkley Point) nicht gebaut“. Das bedeutet, die Deadline für den regulären Vollbetrieb im Dezember 2020, die man in Flamanville wahrscheinlich reißen wird, ist absolut entscheidend. Selbst das HintertürchenEs sei denn, das Ganze wird natürlich neu ausgehandelt“ hält er für wenig wahrscheinlich. Gegen diese Einschätzung wird niemand protestieren, der um den pronuklearen Gegenwind gegen den Hinkley Point EPR-Doppelblock weiß. In Großbritannien setzt man große Hoffnungen auf die neuen Reaktoren der vierten Generation, auf kleine modulare Reaktoren SMR, die vom Konstrukteur nuklearer Atom-U-Boot-Antriebe, Rolls Royce und anderen Rüstungskonzernen promotet wird.

Die Briten sind den Deutschen insofern „ein Stück voraus“ als dass der Hype um Atomreaktoren der neuen, der vierten Generation schon gut sichtbar um sich greift. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Atomrenaissance für ganz Europa ausgerufen wird. Doch damit es dereinst für die neuen, märchenhaft fehlerfreien Reaktoren überhaupt noch Platz im Markt geben kann, muss – wie bei den o.g. neuen Fahrradmodellen – die Marktbesetzung durch kostengünstige, schnell verfügbare Alternativen verhindert werden.

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