„Atomkraft kann ein Land zerstören“ – aber nachhaltig und klimafreundlich

Dauerschleife - Ein auffallend freundlicher Medienrummel für die von Misserfolgen gebeutelte Atombranche wirft Fragen auf.

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„Hast Du das gelesen?“ wurde die Autorin immer öfter gefragt und bekam Hinweise auf Interviews, Gast-Beiträge, Streitgespräche von FAZ bis TAZ, in Print-, Online und TV-Beiträgen, mit Schlagzeilen à la „Kann die Atomkraft das Klima retten?“ und „Atomkraft erlebt Renaissance“. Irgendwann sammelt man all das in einer Tabelle und stellt fest: Es ging 2019 los, wurde jedes Jahr mehr und Anfang 2022 erleben wir ein regelrechtes Atom-Crescendo. Als die Tabelle aus den Nähten platzte, wurde überdeutlich, welchen medialen Raum Atomkraft-Verfechter:innen einnehmen. Unter ihnen besonders häufig: Anna-Veronika Wendland, die auffallend krawallig in sozialen Medien und "teilnehmend-beobachtend" in Atomkraftwerken von Eon/PreussenElektra und Energoatom unterwegs war und ist.

Das mediale Atom-Déjà-vu ist bemerkenswert, denn die Argumente gegen Atomenergie - Müll für die Ewigkeit, Proliferationsgefahr, Quersubventionierung militärischer Anwendungen durch Stromkund:innen, Katastrophen-Risiko - sind nach wie vor gültig. Auch die Klimakrise ist nicht neu dazugekommen, sie ist Industrie und Regierungen seit den 1950-ern bekannt. Helmut Schmidt wollte 1979 seinen atomaren Willen durchsetzen, und argumentierte schon damals mit der „verheerenden Aufheizung des Erdballs“ . Er spekulierte:"Im Jahre 2010 werden wir kein Öl mehr haben. Dann werden alle Autos mit Batterien fahren. Dazu brauchen wir Atomkraftwerke." Der Klimawandel wird seit den 1970-ern in Wellen immer wieder als Atom-Argument aus dem Hut gezaubert, seitdem macht die Atomkraft die Sache nur noch schlimmer: Der Atomkraftwerks-Park wurde hochgezogen und mit ihm wuchs der Energieverbrauch mitsamt Treibhausgas-Ausstoß. Den Menschen wurde die „too cheap to meter“-Legende vom billigen Strom eingebläut und das Immer-mehr-von-allem-Lebensgefühl griff um sich. Inzwischen ist die Branche längst im Niedergang, doch die Gesundbeter-Wellen kommen zuverlässig immer wieder.

„Reumütige-Atom-Konvertiten-Syndrom“

Auffallend oft stehen Personen im Zentrum der medialen Atom-Thematisierung, die ihr „Reumütige- Atom-Konvertiten-Syndrom“ wie eine Monstranz vor sich hertragen und deren mäßig relevante Meinungsänderung zu einer Story aufgepumpt wird. Ein ganzer Kino-Film fußte auf derartigen Anekdoten, er sollte ein Atom-Startup promoten, das später wegen seiner überzogenen Heilversprechen Pleite ging. Die britische Medienplattform OpenDemocracy fragte angesichts dieses international gleichartig zelebrierten Storytellings, warum die Unterstützung für die Atomkraft ausgerechnet dann am lautesten ist, wenn ihre Misserfolge am deutlichsten sind.

Dazu kommt, dass nur die eine Wandlungs-Richtung Redaktionstüren öffnet, selbst für Protagonist:innen, die alle Nase lang ihre Haltung zu allem Möglichen ändern. Wenn umgekehrt gleich fünf ehemalige Japanische Ex-Regierungschefs die Europäische Union warnen, dass die „Atomkraft ein Land zerstören“ kann, wenn ehemalige internationale Atomaufseher und Regierungsberater eindringlich vor dem Potenzial der Atomkraft warnen, erheblichen Schaden anzurichten, reagieren weder Agenturen noch Redaktionen.

Anfang 2019 war den meisten Leuten noch nicht klar, woher die zunehmende Häufung der kommunikativen Pflöcke kommt, die medial eingeschlagen werden. Nur die wenigsten haben zur Kenntnis genommen, dass in Brüssel seit 2018 ein Prozess im Gange ist, um eine einheitliche Kennzeichnung für Geldanlagen festzulegen, die mit dem Label ‚Nachhaltigkeit‘ beworben werden dürfen. Schön für Unternehmen und Finanzinstitute, welche die Kennzeichnung zukünftig als Aushängeschild nutzen können. Blöd für diejenigen, deren schmutzige Kapitalstrom-Lenkungen so sichtbar werden und sie als umweltfeindliche Geschäftspartner brandmarken. Bisher hat sich der Atom-Gas-Deal in Brüssel durchgesetzt, aber das Konstrukt steht demokratisch und auch juristisch auf tönernen Füßen. Hinzu kommen geopolitische Aspekte, die mit dem russischen Überfall auf die Ukraine langsam im öffentlichen Bewußtsein vordringen: Russland finanziert sich nicht nur durch Gas-, Öl- und Kohle- sondern auch durch Uran-Geschäfte. Dabei geht es nicht nur um die Uranerz-Minen, sondern um die gesamte Prozesskette, die Geld in das Rosatom-Imperium spült. Russland reichert mehr Uran für Atomkraftwerke an, als jedes andere Land der Welt. Die mehrstufige Verarbeitung zum fertigen Brennelement findet nur an einer Handvoll Orten weltweit statt. Darüber hinaus produziert Rosatom Putins Atomsprengköpfe und schickt seine Ingenieure in die besetzten ukrainischen Atomanlagen. Die Meldungen aus Tschernobyl und Saporischschja sind katastrophal.

Atom-Frankreich profitiert, in Deutschland sollte Erdgas „sexy“ werden

Von der atomaren Geopolitik zurück zur grün-gewaschenen Atomkraft und zur EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen. Seit mehr als drei Jahren wurde also heftig hinter den Kulissen lobbyiert. Frankreich, die freundliche Atommacht von nebenan, fand in Osteuropa Verbündete, die sekundierten, um ausgerechnet die ökonomisch nicht tragfähige Hochrisikotechnologie Atomkraft durch den Griff nach öffentlichen Geldern irgendwie finanzierbar zu machen. Weil Erdgas-affine Kräfte in Atomausstiegs-Deutschland für jeden Quatsch zu haben sind, Ex-Wirtschaftsminister Altmaier sich gar zum sexy-Erdgas-Botschafter aufschwang, ließ sich ein schmutziger Deal organisieren: das deutsche OK für „nachhaltige Atomkraft“ gegen das französische OK für „nachhaltiges Erdgas“. Das offensichtliche Greenwashing muss auch dem letzten klargeworden sein, spätestens in dem Moment, da die Rüstungsindustrie sich infolge des fossil-atomaren Dammbruchs meldete, frei nach dem Motto „wenn die dürfen wollen wir aber auch“ ein grünes Etikett für ihre Geschäfte mit dem Tod.

Die Lobby-Aktivitäten der Atomkraft-Unterstützer waren für die meisten lange unsichtbar. Ein kleiner Pro-Atom-Verein mit Namen Nuklearia hatte das Taxonomie-Thema schon früh auf dem Schirm. Bereits im September 2019 rief er Atom-Fans zur Unterstützung auf, um „die Kernkraft als nachhaltig anzuerkennen“ und gab online-Anleitungen für den Weg durch das EU-Bürokratie-Labyrinth. Zu dieser Zeit hörte man selbst aus Energie-Expert:innen-Kreisen immer wieder, das Atomkraft-Thema wäre durch, da käme niemand mehr mit „Renaissance“-Fantasien.

Von wegen. Inzwischen ist es nicht mehr zu übersehen, die Zeitungen sind voll: Ob man nicht doch noch mal überlegen solle und sogar (!) Bill Gates hätte sich dafür ausgesprochen. Kein Wunder, seine Firmen würden profitieren, er hat nicht umsonst ein Lobby-Büro in Brüssel. Und ach, Atomkraft könne ja beim Klima eine gute Rolle spielen. Nein, kann sie nicht, denn sie bindet Kapital, das für echten Klimaschutz fehlt. Das Risiko eines verheerenden Unfalls ist nach Fukushima nicht gesunken, bloß, weil das kollektive Gedächtnis schwächelt. Seit nunmehr 11 Jahren ist Japan mit den Folgen der Dreifach-Kernschmelze beschäftigt, experimentiert mit Eiswänden und Robotern, hortet kontaminierte Erde und Wasser, versucht energie- und kapital-intensiv die Katastrophe einzuhegen. Und richtig, die „Atomkraft kann ein Land zerstören“, denn es war reiner Zufall, dass die Fukushima-Wolke größtenteils aufs Meer hinaus und nicht in die 37-Millionen-Einwohner-Metropolregion Tokio wehte. Ein Blick auf den Einsatz fossiler Brennstoffe in den letzten sechs Jahrzehnten zeigt: Ein einziges Ereignis hat in Japan dazu geführt, dass ein nie dagewesener Zuwachs an fossilen Energie-Trägern angeschoben wurde (s. Abb.). Allein im Kontext der Klimakrise muss klarwerden, dass wir uns dieses Risiko, mit einem Schlag alle vorangegangenen CO2-Reduktionen zunichte zu machen, nicht leisten können. Das Zeitfenster in der Klimakrise ist viel zu klein, um sich auf teure und riskante Scheinlösungen, auf vorgeschobene Argumente einflussreicher Interessensgruppen einzulassen.

Abb.: Prozentualer Anteil von fossilen Brennstoffen am Primär-Energie-Verbrauch von Japan, Deutschland und im globalen Durchschnitt. Kein Ereignis hatte so massive Auswirkungen wie Fukushima. 54 Atomreaktoren wurden 2011 in Japan vom Netz genommen. Datenquelle: OWID

Eingebetteter Medieninhalt

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine kommt läuft noch ein weiteres Atom-Narrativ durch die Medien, nämlich eine Laufzeitverlängerung würde uns von russischen Importen befreien. Das Scheinargument ist auf so vielen Ebenen falsch, es würde den Rahmen sprengen. Für das russische Atom-Firmen-Imperium Rosatom, dessen Ingenieure gerade Ukrainische Atomanlagen mit besetzen, ist das Brennstoff-Geschäft über die gesamte Produktionskette hinweg hochprofitabel. Das Geld aus dem Staatskonzern füllt Putins Kriegs-Kasse.

Rosatom-Filial-Manager ruft in Deutschland nach Laufzeitverlängerung

Zur russischen Einflusssphäre gehört darüber hinaus auch die deutsche Rosatom-Tochter NUKEM, deren deutscher Geschäftsführer Thomas Seipolt in seiner Eigenschaft als Vorsitzender von "Kerntechnik Deutschland e.V.", KernD, an Politik und Medien die Forderung nach dem "Weiterbetrieb deutscher Kernkraftwerke richtet. Sein russischer Co-Geschäftsführer mit langjähriger Rosatom-Erfahrung tritt bei der Laufzeitverlängerungs-Offensive nicht in Erscheinung. Der Verein Kerntechnik Deutschland e.V. fiel bereits im Kontext mit der Laufzeitverlängerung 2010 auf, damals noch unter dem Namen "Deutsches Atomforum". Die Lobbyorganisation beauftragte 2008 eine PR-Firma, um die Stimmung im Land zugunsten der Atomkraft zu kippen. Die Strategiepapiere (von 2008 und 2009 ) gelangten an die Öffentlichkeit. Unter dem Namen Kerntechnik Deutschland e.V. versucht dieselbe Organisation heute den Eindruck zu erwecken, der Verein spräche für alle drei verbliebenen AKW-Betreiber. Doch sowohl RWE als auch EnBW geben an, dem Verein nicht mehr anzugehören. Einzig Eon/PreussenElektra ist dort als AKW-Betreiber vertreten (Isar2, Bayern). Er hatte unter dem Namen "Eon Kernkraft GmbH" ebenfalls 2008 eine PR-Firma beauftragt, Stimmung für die Atomkraft zu machen. Auch diese Strategiepapiere gelangten an die Öffentlichkeit. Skurriler Weise argumentiert der KernD-Verein auch im offenen Brief an Kanzler Scholz mit den Klima, scheut sich aber nicht, unter der Vereins-eigenen Experten-Rubrik Klimawandelleugner zu exponieren. Déjà vu.

Eingebetteter Medieninhalt

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