Der Verkohlungsplan

Zeitreise Vom „Kohleausstieg“, der sich jahrelang hinzog, um mit dem Neustart eines hinterher-hinkenden Kohleblocks in Datteln zu beginnen

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Der Verkohlungsplan

Foto: Daniel Grothe/Flickr (CC 2.0)

Die Zeitschiene zum sogenannten Kohleausstieg in Deutschland ist bemerkenswert. Über Jahre zieht sich das Prozedere wie Kaugummi, dann setzen sich die Regierungschefs der Kohleländer eine Nacht mit ein paar Berliner Ministern zusammen und plötzlich gibt’s grünes Licht:

Für ein neues Kohlekraftwerk in Datteln.

Für einen veränderten Abschaltplan, der die Verantwortung wie eine Bugwelle in die nächsten Jahrzehnte schiebt.

Für Steuermilliarden-Geschenke an Kohlekonzerne.

Aber keinerlei Hinweise, wie die angekündigten 65% Ökostrom im Jahr 2030 zu erreichen sein sollen.

Abb.1: Inspiriert durch einen Vorschlag der Klima-Allianz Deutschland für ein gemischtes Doppel

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Alles hatte mit der Wahl im Herbst 2017 und den längsten Koalitionsverhandlungen der Menschheitsgeschichte begonnen. Als sich CDU und FDP den Grünen annäherten, die auf die Stilllegung von 8 bis 10 Gigawatt (GW) Kohlekraft (≙ rd 20 Kraftwerksblöcke) pochten, rief die Kohlelobby die schwarz-gelben Unterhändler Lindner und Laschet um Hilfe an: “Merkel verschickt 7 GW Kohlekraft nach Jamaika?“. Dann machte ein brisantes Papier die Runde. Es stammt aus dem Wirtschaftsministerium und von der Bundesnetzagentur: „Stilllegung von 7 GW Kohlekraft ist mit Versorgungssicherheit vereinbar“. Für den Klimaziele-Kritiker Lindner kam es noch dicker: „Eine Stilllegung von Kohlekraftwerken könnte die Versorgungssicherheit sogar noch steigern“. Wenige Tage später verließ er mit wehenden Fahnen die Jamaika-Verhandlungen.

Es folgte die Groko. Getreu dem Motto „Wenn Du mal nicht weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis“ wurde aus den hart umkämpften 7 GW Jamaika-Kohle die Ankündigung im Koalitionsvertrag vom 12. März 2018: “Wir werden eine Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ unter Einbeziehung der unterschiedlichen Akteure aus Politik, Wirtschaft, Umweltverbänden, Gewerkschaften sowie betroffenen Ländern und Regionen einsetzen …

Kurz, die Kohlekommission, die 3 Monate später, am 6. Juni 2018 ihre Arbeit aufnahm. Nach weiteren 7 Monaten des zähen Ringens, bei dem einige Kommissionsmitglieder bis an die persönliche Schmerzgrenze gingen, um endlich den Stillstand in der Kohlepolitik zu beenden, wurde am 31. Januar 2019 der Kanzlerin der Abschlussbericht vorgelegt. Dann dauerte es erst mal.

Hartz 4 für Kraftwerke oder Sterbehilfe aus Steuermitteln?

Verzögert sich das Kohleausstiegsgesetz, weil NRW-Ministerpräsident Armin Laschet noch schnell eine Ausnahme für Datteln 4 erzwingen will?“ fragte Hubertus Zdebel von den Linken am 16. Dezember 2019. Der Eindruck konnte entstehen. Das Wirtschaftsministerium hatte monatelang mit dem Betreiber Uniper verhandelt. Ein schriftlicher Entwurf, der darlegte, wie man den Konzern mit Entschädigungszahlungen aus Steuermitteln bei Laune halten wollte, war zunächst durchgesickert, später aber vom Wirtschaftsministerium wieder einkassiert worden. “Das Kraftwerk Datteln 4 kann in Betrieb gehen”, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters am 30.10.2019 einen Regierungsvertreter.

Kohlekraftwerks-Wunderstahl mitten im Atom-Moratorium

Dazu kamen Probleme mit dem verbauten „Wunderstahl“ T24, der in baugleichen Kraftwerken zu verschiedenen Desastern geführt hatte. Das Feuer im Ofen musste gelöscht werden, sobald der Hightech-Stahl leck schlug. In der Retrospektive ist eine Aussage zum Desaster der Kohle-Kesselflicker vom damaligen Chef der Deutschen Energie Agentur, Stefan Kohler, aus dem Jahr 2011, wenige Wochen nach Fukushima, höchst interessant: “Das ist für die betroffenen Energiekonzerne eine echte Katastrophe. … Dieses Malheur trifft Deutschlands Stromversorgung genau zur falschen Zeit." Denn die 9 Problem-Meiler mit ihrer Gesamtleistung von gut 10 GW sollten die Strommenge kompensieren, die durch das Atom-Moratorium vom Netz genommen wurde.

Auch nach 9-jähriger Verspätung findet man im Wirtschaftsministerium, man könne noch mit der bedrohten Versorgungssicherheit für Datteln 4 argumentieren. Der Kesselstahl wurde inzwischen durch einen minderwertigen Stahl ausgetauscht, denn das erschien wirtschaftlicher als die Sanierung des alten. Damit verringert sich allerdings der Wirkungsgrad.

Darüber hinaus gab es vor Gericht noch Rangeleien um Stromlieferverträge zwischen Kraftwerksbetreiber Uniper - die als „Bad Bank“ aus dem E.on Konzern entstand - und RWE. Versorgungssicherheit hin oder her, E.on/Uniper konnte die für 2010 zugesagten Strommengen jahrelang nicht lieferen. Und RWE schmecken die seinerzeit vereinbarten Preise heute nicht mehr. Auch die Deutsche Bahn wollte von der Lieferung zurücktreten. 413 von 1100 MW sollen Bahnstrom produzieren. Wie viele Wagons pro Zug hätten wohl angehängt werden müssen, um den Schriftzug „Unterwegs mit Ökostrom“ mit weiteren Erklärungen zu ergänzen: Weil für den Bahnstrommix auch Importkohle aus Russland, USA, Kolumbien und Australien im Problemmeiler Datteln verheizt wird, muss quasi in umgekehrter Wagenreihung auch Stromgeld in Richtung Putin, Trump, Morrison und Duque fließen. Kleine Aufdrucke auf den Servietten im ICE Bordrestaurant könnten neben Landkarten freundlich erklären, weshalb die Kohleverfeuerung näher an der Wohnbebauung stattfindet, als je ein Windrad in Deutschland errichtet werden darf.

„Eins-zu-eins-Umsetzung“ hoch und heilig versprochen

Fast ein Jahr ist vergangen, seit die Kohlekommission der Regierung den mühsam verhandelten Kohleausstiegs-Fahrplan unterbreitet hat und die Regierung eine „eins-zu-eins Umsetzung“ versprochen hatte. Als die Regierung am 15. Januar 2020 ihren deutlich geänderten Plan vorlegte, reagierten die Vertreter aus Bürgerschaft und Umweltverbänden mit blankem Entsetzen. Dramatische Mehr-Emissionen an CO2 werden auch durch den Kuhhandel Datteln 4 gegen Altmeiler unausweichlich, denn letztere sind kaum jünger als der fast namensgleiche Wirtschaftsminister Altmaier. Sie sind am Ende ihrer technischen und wirtschaftlichen Laufzeit angekommen und haben nur noch eine sehr geringe Auslastung. Datteln 4 wird mit wesentlich höherer Auslastung Kohle aus aller Welt verbrennen, weil Bahn und RWE dort vertraglich vereinbarte Strom-Mengen kaufen müssen. Am 24. Januar 2020 gingen in Datteln einige Hundert Klimaschützer gegen den als Schwarzbau errichteten Meiler auf die Straße.

230 km weiter westlich hat das baugleiche Uniper-Kohlekraftwerk Maasvlakte 3 vom Obersten Gericht der Niederlande gerade erst die baldige Stilllegung in Aussicht gestellt bekommen. Im historischen Urteil vom 20. Dezember 2019 verpflichtete das Gericht die Regierung dazu, die Treibhausgasemissionen bis Ende 2020 um mindestens 25 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Das Urteil kann nicht mehr angefochten werden und zeigt Signalwirkung in anderen Europäischen Staaten.

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Buschbrände in Australien, Blutkohle aus Kolumbien, Umweltkatastrophen im russischen Kusbass - nichts, womit man das Steinkohlekraftwerk Datteln in Verbindung bringen soll. Eine Uniper-Sprecherin beantwortete die Frage nach der Herkunft der Kohle lapidar: "aus Rotterdam."

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