Flugscham und Wahlverhalten

Telefonumfrage: Wie aus unspektakulären Zahlen schrille Schlagzeilen wurden

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Stehen Umfrage-Höhen-Flüge mit tatsächlichen Flügen im Zusammenhang?

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Es war nicht zuletzt die AfD-nahe Ex-CDU-Frau Erika Steinbach, die am 21. Mai 2019 in ihrer gewohnt giftigen Manier einem Spiegel-Artikel vom November 2014 zu neuer Bekanntheit verhalf: “Grünen-Wähler: Altbekannt, Wasser predigen und Champagner saufen. Auch in dieser Frage: Eine Heuchlerbande“ ätzte die hoch-Twitter-Aktive. Das war wenige Tage bevor die Grünen bei der Sonntagsfrage, am 2. Juni 2019, sogar die CDU überholten. Seit April ist der 2014er Spiegel-Artikel mehrere Hundert Male über Twitter verbreitet worden. Den Startschuss gab am 9. April 2019 ein besonders eifriger AfD- und Steinbach-affiner Account namens „Deutschland“ – vor diesem Datum ergab die Suchfunktion bei dem Kurznachrichtendienst keinen einzigen Treffer.

Im Juli 2019 wurde eine Neuauflage der Studie bekannt, die der Flug-Lobbyverband Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft e. V. (BDL) abermals durch die Forschungsgruppe Wahlen ausführen ließ. 1027 Telefoninterviews wurden zwischen dem 25. Juni und 5. Juli 2019 durchgeführt. Soviel vorab: Die Zahlen liefern keinen Anlass zum exklusiven Grünen-Bashing – es sei denn, man unterschlägt ein paar relevante Teilergebnisse. Bei den Gruppengrößen reichen ein, zwei Hanseln, die am Telefon einen Flug in den letzten 12 Monaten unterschlagen und schon tauschen die kaufmännisch gerundeten 45% der FDP-Anhänger mit den 46% der Grünen-Wähler Platz 1 und 2. Und schon könnte die Schlagzeile „Grünen-Anhänger fliegen am meisten gegen „FDP-Anhänger fliegen am meisten“ ausgetauscht werden. Aber auch das geben die restlichen Daten nicht her, obgleich sich in einer Teilfrage (s.u.) die FDP-Anhänger als größte Flugzeug-Bevorzuger und zweitgrößte Bahn-Muffel statistisch dingfest machen lassen. Beim Tagesspiegel wird im Fließtext auf genau diese Schwachstelle hingewiesen: „Die statistische Abweichung ist bei solchen Kleingruppen-bezogenen Aussagen in Umfragen groß. Schon ein paar Befragte, die nicht ehrlich antworten, können die Statistik beeinflussen.

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Im Vergleich zur 2014-er Umfrage haben sich nicht nur die Grünen-Wähler, sondern - bis auf die CDU-Klientel - alle verbessert, denn nur die CDU-Anhänger fliegen noch mehr (+ 4%) als 2014. Seinerzeit fungierte noch der CDU-Politiker und Journalist Klaus-Peter Siegloch als Chef-Lobbyist der Flieger-Interessensvertretung. Viele kannten ihn als das ZDF-Gesicht, das die Sonntagsfrage der Forschungsgruppe Wahlen in die heimischen Wohnzimmer brachte.

Anders als in 2014, als es noch ein Aufreger war, dass von den befragten Grünwählern noch keiner Null Flug-Kilometer auf dem Konto hatte, sind jetzt immerhin 10 % grün-affine Noch-Nicht-Flieger dabei (Abb. 3). Nur bei den SPD-Anhängern zeigt sich in dieser Frage stärkere Flugabstinenz, alle anderen können Grüns nicht toppen. Die Null-Prozent-Rote Laterne trägt jetzt die AfD - das ist aber keinem der Zeitungsberichte eine Zeile wert.

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Dieselbe Klientel, die nun für Doppelmoral gescholten werden soll, sprach eben dieser Fluglobby-Verband noch 2016 gezielt mit einem Kino-Werbespot an, in dem drei Althippies einen Trip zu einem Festival nach Marseille planen. Unter dem Motto „Fliegen ist das neue Öko!" tischt der BDL den Kinobesuchern unfassbar unseriöse Schadstoffdaten mit seiner 4-Liter-Kampagne auf. BDL-Präsident Siegloch fand, das sei eine erlaubte Provokation" und weiter: "Wenn die Wissenschaftler sich dann mal einig werden, dann sind es eben 8 Liter". Siegloch steht seit 2016 nicht mehr an der Spitze des BDL. Ein Kinospot-Darsteller liefert für arme Studies gleich noch ein schlagendes Argument nach: "Was des erscht a Schprit koschtet" Er gibt das schwäbische Sprachrohr der Lobby, der sich mit Händen und Füßen gegen Kostenwahrheit in der Verkehrspolitik wehrt; Gegen eine Kerosin-Steuer und gegen die von Fridays for Future geforderte CO2-Steuer.

Wenig verwunderlich ist demnach, dass sich eine deutliche Mehrheit der Grünen-Wählerschaft für mehr Kostenwahrheit bei den Ticketpreisen, und damit gegen die Ziele des BDL positioniert (Abb. 4).

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Interessant ist in der öffentlichen Bewertung der aktuellen Umfrage, dass diejenigen, die in unreflektierter Tiefenentspannung die Atmosphäre zu Klump fliegen, als moralisch höherwertig eingestuft werden, als diejenigen, die eine innere Zerrissenheit zu Protokoll geben. Wer sich in der Ich-glaube-nicht-an-Klimareligions-Zone eingerichtet hat, ist gegen Doppelmoral-Vorwürfe ebenso immun, wie jemand der findet: „Soll NY doch absaufen, Pech gehabt.“

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Die Grafik zum „schlechten Gewissen“ (Abb. 5) wird in den Zeitungsberichten präsentiert,

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es fehlt hingegen immer die Grafik, die mit exklusivem Grünen-Bashing schwer in Einklang zu bringen ist, nämlich die Antwort auf die Frage „Fliegen Sie gern?“ (Abb. 6). Nur die AfD-Anhänger liegen mit 59% beim „gern-fliegen“ noch einen Prozentpunkt vor der CDU, während dieselbe Gruppe beim „schlechten Gewissen“ 4 Prozentpunkte hinter der CDU liegt. Die Abstände sind allerdings auch bei den „Gern-Fliegern“ gering.

Alles in allem taugt kaum eines der Balkendiagramme aus der BDL-Studie, um irgendeine Personengruppe exponiert in die moralisch unterlegene Ecke zu stellen.

Eine weitere Information, die bisher noch in keinem der Zeitungsberichte zu lesen war, birgt die Antwort auf die Frage nach dem bevorzugten Verkehrsmittel (Abb. 8) auf längeren Strecken. Hier geben die Anhänger der Linken der Bahn (56%) deutlich den Vorzug vor dem Flugzeug (20%), gefolgt von den Grünwählern (53%, bzw. 20%). Wer diese Abbildung zugrunde legt, findet bei der FDP (29%) die größten Flugfreunde und die zweitgrößten Bahnmuffel (38%). Gerade in Anbetracht dieser Grafik bleibt völlig schleierhaft, wie aus den Studienergebnissen die Schlussfolgerung gezogen werden soll, dass es um die Moral der Grünen besonders schlecht bestellt sei.

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Wesentlich aufschlussreicher als die Positionierung der Wählerschaft zu Mobilitätsfragen ist dann doch die tatsächliche Politik. So ließ es sich der CSU-Bundestagsabgeordnete Stefan Müller aus Erlangen nicht nehmen, der Klimaaktivistin Luisa Neubauer „Doppelmoral“ vorzuwerfen und im selben Atemzug noch Reisepläne zu erfinden, die er und seine CSU ungeprüft weiterverbreiten. Ausgerechnet er und seine Erlanger CSU, die sich explizit für den Ausbau der Kurzstrecken Flüge zwischen Nürnberg und Berlin stark machen. Der ICE braucht 2 Stunden 48 Minuten für die Strecke, beim Flug spart man – laut google maps – 13 Minuten.

Der Vollständigkeit halber sei noch die letzte Grafik der BDL-Umfrage-Auswertung erwählt, die sich mit der Frage beschäftigt, ob man es gut finde, dass sich viele Menschen leisten können, zu fliegen. Die Verquickung von nationaler Sozialpolitik und internationaler Klimapolitik kann dazu führen, dass Verfechter globaler sozialer Gerechtigkeit es keineswegs begrüßen, dass aus dem globalen Norden jeder fliegen kann – auf Kosten des globalen Südens. Die Überschrift „Fliegen für alle“ (wie der Titel der Grafik in der Original-Studie lautet) kann demnach auf vielerlei Weise verstanden werden. Auch so, dass man die absurde Situation begrüßt, dass ein Wochenend-Trip nach Mallorca billiger ist, als eine Bahnfahrt von Stuttgart nach Berlin.

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WDR-Monitor-Bericht zur 4-Liter-Kampagne "Fliegen ist das neue Öko" der Luftfahrt-Lobby-Organisation BDL

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