Vom Ozonloch, das nicht von selbst verschwand

UN-Abkommen Der Umgang mit dem Ozonloch ist ein Lehrstück für die Klimakrise: mit einem Kühlschrank, den es gar nicht geben konnte

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Waldsterben, Ozonloch, Rinderwahnsinn - Dieter Nuhr hätte gerne mehr Weltuntergang
Waldsterben, Ozonloch, Rinderwahnsinn - Dieter Nuhr hätte gerne mehr Weltuntergang

Foto: Erich Ferdinand/Flickr (CC 2.0)

Man hat mir in meinem Leben eigentlich ständig irgendeinen Weltuntergang versprochen, der dann nie eintrat: Waldsterben, Ozonloch, Rinderwahnsinn …“ findet „der FDP-Kabarettist für die liberalkonservative, Audi-fahrende Wohlstandsgesellschaft“, wie ein Zeitungskritiker Dieter Nuhr nach seinen „Späßchen für Establishment“ auf einer fränkischen Bühne charakterisierte.

Auf großer ARD-Bühne vertritt er Thesen, die man sich genauso vom realsatirischen Original, von Christian Lindner anhören könnte, nämlich dass die Ingenieure und Techniker mal endlich anfangen (sollen) zu arbeiten, weil ohne CO2 aus der Luft ziehen und Geoengineering wird das nix werden“ mit der Rettung des Klimas. „Aber wenn unsere Kinder meinen, sie könnten die Welt mit ein bisschen Sonne und Wind antreiben …“ - was dann? Sind sie dann womöglich besser informiert, als der Komiker, der seine gefühlten Wahrheiten mit Screenshots aus Welt, NZZ und FAZ mehr Gewicht zu geben versucht? Am Ende haben die Kinder von ihren Verbündeten, den Scientists for Future von all den Studien erfahren, aus denen sehr deutlich hervorgeht, dass Solar-Energie und Windkraft tragende Rollen spielen, egal ob es um eine Vollversorgung landesweit oder weltweit mit Erneuerbaren Energien geht.

Doch zurück zu all den früheren Katastrophen, die offenbar einzig dadurch weggegangen sind, dass sie von besonnenen, anderweitig Beschäftigten nuhr heftig genug ignoriert wurden. Hat sich das Ozonloch tatsächlich wieder geschlossen, bloß weil Medien nicht mehr berichtet haben? Im Herbst 1987 - der damals 27-jährige Nuhr war im Lehramtsstudium, Kunst und Geschichte, wenige Monate vom 1. Staatsexamen und dem darauffolgenden Studienabbruch entfernt - traf sich in Montreal erstmalig in der Geschichte die Weltgemeinschaft um ein globales Problem gemeinsam zu lösen.

Mit einem Verbot. Ein völkerrechtlich bindendes, weltweites Verbot für ozon-zersetzende Stoffe, die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW). Das Montreal-Abkommen gilt als einer der größten Erfolge internationaler Umweltpolitik, bei dessen Zustandekommen ausgerechnet die marktradikalen Ronald Reagan (Reagonomics) und Margaret Thatcher (Thatcherismus) eine tragende Rolle spielten. Die Ozonschicht schützt die Erde vor den ultravioletten Strahlen der Sonne. UV-Strahlen verursachen Hautkrebs. Was das bedeutet, hatte ausgerechnet der damalige US-Präsident buchstäblich an der eigenen Nase erfahren.

Thatcher verblüfft gerade deshalb in der Rückschau, weil sie seinerzeit traurige Berühmtheit als marktfundamentale Privatisiererin erlangte, die unter Hinnahme heftigster sozialer Verwerfungen alles an Daseinsvorsorge verscherbelte, was nicht niet- und nagelfest war. Ausgerechnet sie wollte der Ungnade der Naturgesetze nicht etwa mit Markt-Instrumenten (z.B. einem „FCKW-Zertifikate-Handel“) begegnen, sondern mit einem Verbot. Denn sie brachte eine ebenso wichtige wie seltene Voraussetzung mit ins Montrealer Politikgeschäft: Sie war Naturwissenschaftlerin, Chemikerin. Damit unterschied sie sich von Dampfplauderern, die das Problem mit etwas Sonnencreme und Sonnen-Hütchen lösen wollten und sich damit zum Gespött machten.

Auch wenn es seinerzeit nicht jeder Lehramtsstudent mitbekommen haben mag, „das Ozonloch“ das aufgrund von atmosphärenchemischen Prozesse zunächst am Südpol sichtbar wurde und daher im Singular in kollektivem Gedächtnis landete, zeigte sich später auch über dem Nordpol und über Europa. Es hätte bei einem Weiter-so zu Hautkrebs-Epidemien auf dem gesamten Globus geführt. Heerscharen von Naturwissenschaftlern erforschten und verstanden seine Entstehung. Der Nobelpreis für Chemie wurde 1995 an drei Pioniere der Ozon-Forschung verliehen. Die Wissenschaft drängte die Politik, die Verursacherstoffe rigoros aus dem Verkehr zu ziehen.

Doch wie so oft war die Wissenschaft beim Hase-und-Igel-Spiel mit der Industrie erst zu dieser Erkenntnis gelangt, als sich die FCKW bereits zu einem Milliarden-Dollar-Geschäft entwickelt und eine entsprechend mächtige Wirtschaftslobby hervorgebracht hatten. Und - wieder parallel zur Klimadebatte - lagen den globalen Bedrohungen jeweils Erfindungen zugrunde, die dem Wohlstand dienen sollten. So heilsversprechend die Verbrennung fossiler Rohstoffe für verbesserte Arbeitsbedingungen, Wirtschaftswachstum und Mobilität für alle stand, so fortschrittsverheißend kamen die FCKW daher, mit denen plötzlich jeder einen eigenen Kühlschrank haben konnte.

Endlich gab es ein ungiftiges Kühlmittel ohne Explosionsgefahr, das in einem spektakulären Versuch sogar von einem Menschen eingeatmet wurde, um damit beim Ausatmen eine Kerze zu löschen. Bald erfanden pfiffige Entwickler mannigfaltige Einsatzmöglichkeiten vom Kühlmittel, übers Treibgas für Kosmetik, Insektensprays bis hin zum Aufschäummittel für diverse Dämm- und Schaumstoffe. Der Geist war buchstäblich aus der Flasche. Wieviel aussichtsloser muss es in jener, eher theoretischen Ozon-Situation gewesen sein, diesen Geist wieder einzufangen, im Vergleich zur heute gut sichtbaren Klimakrise? Heute, da ein durchschnittlich intelligenter, durchschnittlich informierter Komiker auf offener Bühne das Narrativ verbreiten kann, das Ozonloch habe sich von selbst erledigt.

Eingebetteter Medieninhalt

Polit-Profis mit Faibles für "technische Lösungen" gab's zu allen Zeiten: Herblock-Karikatur aus dem Jahr 1987, anlässlich des Montreal-Abkommens

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Die Argumentationslinie eines der größten FCKW-Hersteller in Deutschland seinerzeit, der Hoechst AG, ist mit Blick auf die heutige Klimadebatte bemerkenswert: Greenpeace gefährde mit seinem Protest gegen FCKW das Leben von Kindern in der dritten Welt, weil sie in Kauf nehmen, dass die Ernährung, die Kühlkette, die Versorgung mit Impfstoffen zusammenbreche. Hoechst-verrenkt, nuhr leicht abgewandelt, ist sie gerade wieder auf Showbühnen zu hören: "Wir haben eine Welt geschaffen, in der siebeneinhalb Milliarden Menschen bei wachsendem Wohlstand und wachsender Gesundheit immer älter werden. Das ist beschämend."

Im frisch wiedervereinigten Deutschland nahm die FCKW-Geschichte nochmals eine ganz besondere Wende. Die ostdeutsche Wirtschaft ging im Zuge des Ausverkaufs Ost rapide den Bach runter. Ausgerechnet dort fand Greenpeace einen Verbündeten, den die Umweltschutzorganisation bei der wesentlich erfolgreicheren Konkurrenz im Westen nicht fand: gemeinsam mit dem sächsischen Unternehmen Foron machte man das per Geht-nicht-Definition Unmögliche möglich und entwickelte den ersten FCKW-freien Kühlschrank der Welt, den Greenfreeze. Mit einem Bonsai-Entwicklungskapital von 26.000 DM revolutionierte Greenpeace die weltweite Kältetechnik.

Weil nicht sein konnte, was nicht sein darf, torpedierten die westdeutschen Küchengerätehersteller die Neuentwicklung mit einer konzertierten Aktion. Die “chlorreichen 7“ Bosch, Siemens, Liebherr, Miele, Electrolux, AEG und Bauknecht verschickten Warnschreiben an 15.000 „sehr verehrte Handelspartner“. Sie behaupteten, es bestünden Gefahren bei Herstellung, Transport und Verbrauch, um nur 6 Monate später, exakt nach diesem „Gefahren“-Prinzip, selbst FCKW-freie Kühlschränke auf den Markt zu werfen.

Vor dem Hintergrund der jüngeren deutsch-deutschen Geschichte ist das Wettrennen der Greenfreeze-Entwickler gegen die Treuhand bemerkenswert. Unter der Ägide der gefürchteten Privatisiererin Birgit Breuel versuchte die Verwaltung des Ex-DDR-Volkseigentums die Firma Foron unter allen Umständen zu liquidieren und wollte deshalb sogar eine Pressekonferenz zur Vorstellung der Weltneuheit made in Eastern-Germany im März 1993 verhindern.

Das im November 1991 besiegelte Todesurteil sollte unter allen Umständen vollstreckt werden. Eine Weltrevolution der Kältetechnik mit entsprechenden Erfolgsaussichten in einem Betrieb, der schon vor der Wende als Billiglohn-Werkbank für den Westen produzierte, hätte da nur gestört. Die Sichtung der Treuhand-Akten durch Historiker und ein TV-Team nährt einen bösen Verdacht: Sollten Ostbetriebe, die auch auf westlichen Märkten ihre Produkte absetzten, geschlossen werden, um die westliche Konkurrenz zu schützen?

Eingebetteter Medieninhalt

Treuhand-Akten: Wurde der Osten wirklich verramscht? 8-Minütiges ARD-Plusminus-Video vom 28.08.19

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