Wenn „Schwarzfahren“ ins grüne Konzept passt

Verkehrswende: Kostenloser ÖPNV? So wars doch nicht gemeint, sagt die Regierung. Doch Wissenschaft und Praktiker befürworten die Idee, liefern Klima-,Gesundheits- und Kosten!-Argumente

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Es wäre auch zu schön gewesen! Da macht die Regierung ein Mal einen vernünftigen Vorschlag "zur Verbesserung der Luftqualität" - nur um stante pede zu verkünden, dass das alles gar nicht so gemeint war. Doch der Stein ist ins Wasser geworfen und zarte Wellen breiten sich nun aus. Die Regierungs-Resterampe hat ihre Idee vom „kostenlosen ÖPNV“ vermutlich selbst nur als vorsätzlich gezündete Nebelkerze verstanden – mitunter entwickeln verstaubt anmutende Technokraten durchaus Fantasie, wenn es z.B. gilt, Ärger aus Brüssel abzuwenden. Aber bitte ohne den Auto-Konzernen zu nahe zu treten, die als echte Leistungsträger ihren Beitrag zur Luftverschmutzung mittels Betrugs-Software bringen.

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Kurzfilm: Blechlawinen besetzen öffentlichen Raum, Quelle: i-sustain

„Kostenloser Nahverkehr“ trifft es nicht ganz. Es geht um Ticket-freien ÖPNV und darum, wie die Kosten dafür gedeckt werden können. Freunde Abgas-armer Atemluft und Lärmteppich-freier, Kinder-sicherer Wohngebiete brauchen gar nicht so weit zu gehen, alle absurden Posten im Staatshaushalt, vom Soli über Rüstungsausgaben, Steueroasen, Euratom-Forschungsgelder bis zur Flugbenzinsteuerbefreiung, daraufhin abzuklopfen, ob sich hierüber eventuell der ticketfreie ÖPNV gegenfinanzieren lässt. Es reicht ein direkter Vergleich zwischen dem Steuergeld-finanzierten Individualverkehr und dem ÖPNV. Denn merke: umsonst ist gar nix.

Beispiele:

Winterharte Fahrradfahrerinnen die mancherorts zwischen vereisten Furchen Rodeo radeln und Fußgänger, die anderswo im Schneematsch unfreiwillig kalte Fußbäder nehmen, werden bei einem neidischen Blick auf die Auto-Fahrbahn gelegentlich darüber sinnieren, was der Winterdienst wohl kostet und wer für den Maschinenfuhrpark und die Personalkosten zahlt.

Die Stadt Duisburg beklagte vor wenigen Jahren das Fehlen von 400 Millionen Euro, die u.a. gebraucht wurden, um eine marode Stahlbrücke zu reparieren. Ortskundige wissen: hier fahren die Autos den Anliegern in den höher gelegenen Stockwerken fast übers Kopfkissen. So viel ist klar: die Autofahrer haben nicht gesammelt, um die Kosten zu stemmen. Ebenso wenig, wie sie in Freiburg oder Falkensteig dafür sammeln, die B31 unter die Erde zu legen. Nein, alle Lärmschutzmaßnahmen und auch die vielen Luftmess-Stationen nebst Personal sind nur Ticket-frei aber eben nicht kostenfrei.

Wissenschaftlicher Vergleich

Wissenschaftler der Universität Kassel haben sich die einzelnen Kostenblöcke nun systematisch angesehen und kommen zu dem Schluss: der Auto-Verkehr kostet die Kommunen das 3-fache im Vergleich zum ÖPNV. Der Fahrrad-Verkehr erhält die geringsten Zuschüsse. Damit wird klar, dass sogar das Kostenargument nicht gegen, sondern für den ticketfreien ÖPNV spricht.

Die geschäftsführende Groko hatte ihren Vorschlag eher halbherzig in die aktuelle Dieselgate-Fahrverbots-Debatte eingebracht. Drei Modell-Kommunen sollten den Ticket-freien ÖPNV mal testen. Nein nicht die Stickoxid-Metropole Stuttgart, der Feinstaub-Ballungsraum entlang der Ruhr oder gar der Stau-Stand(!)-Ort Berlin waren gemeint. Mannheim, Reutlingen und Herrenberg – drei Orte, die selbst in den Sendezeit-vernichtenden, anachronistischen Verkehrsnachrichten des Deutschlandfunks keine Rolle spielen und deren Repräsentanten sich im Interview als lupenreine Bedenkenträger zeigen, stehen hier für die „Ernsthaftigkeit“ des Regierungsanliegens.

Doch da gibt es eine grün regierte Stadt im Südwesten, die den Vorschlag der unorganisierten Bundesregierung mit Hurra aufgreift: „Wir bräuchten nicht einmal unbedingt das Geld vom Bund“, versicherte der Grüne Oberbürgermeister, „es wäre schon hilfreich, wenn in einem Gesetz geregelt würde, dass Modellkommunen eine Abgabe von ihren Bürgern erheben dürfen, um den Nahverkehr zu finanzieren“. Es kommt noch dicker: der Musterschüler hat im Gegensatz zum verkehrspolitischen Berliner Hühnerhaufen bereits ein fertiges Konzept in der Schublade: „15 Euro pro Erwachsenem im Monat“, so rechnet er vor, würden reichen. Und Pragmatiker ist er auch noch, zieht gleich noch die Vorteile für die Autofahrer aus dem Köcher: Um die 15 Euro wieder reinzuholen, bräuchten sie dabei nicht einmal jeden Tag Bus oder Bahn zu fahren, sondern nur an ein oder zwei Tagen in der Woche. Auch wer partout nicht in den Bus einsteigen will, hat noch einen Gegenwert für seine 15 Euro: die Straßen werden leerer. Ohne Staus spart man Zeit und Spritgeld.

Und während man in „Villabacho“ noch mit „herkömmlichen“ Methoden den Feinstaub vom Geschirr spült, steigt im grünen „Villariba“ schon die ticketfreie ÖPNV-Samstags-Party. Oberbürgermeister Boris Palmer wurde am 10. Februar auf seinem ersten Samstags-Ticket-frei Trip der Tübinger Verkehrsbetriebe von TV- und Zeitungs-Reportern begleitet.

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In Zeiten von Grundstückpreisen von mehreren Tausend Euro pro Quadratmeter ist die ticketfreie Belegung von öffentlichem Raum noch immer ein wenig beachtetes Ärgernis. Der Wiener Verkehrsplaner Prof. Hermann Knoflacher hält dazu Vorträge - wenns sein muss auch mitten auf einer eigens dafür gesperrten Kreuzung.

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