„Eine Moschee sorgt für Frieden“

Interview Keine andere islamische Organisation baut derzeit so viele repräsentative Moscheen in Deutschland wie die Ahmadiyya. Emir Abdullah Uwe Wagishauser im Gespräch
Die Khadija-Moschee in Berlin, erbaut von der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft
Die Khadija-Moschee in Berlin, erbaut von der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Herr Wagishauser, in Erfurt-Marbach lässt die Ahmadiyya-Gemeinde die erste Minarett-Moschee in den neuen Bundesländern beuen. Herzlichen Glückwunsch!

Danke.

Nicht nur auf der Moscheebaustelle in Erfurt läuft es bei Ihnen. In Hessen organisieren Sie den Islamunterricht, als einzige islamische Gemeinde genießen sie staatliche Anerkennung, sogar Horst Seehofer hat Sie bei der Islamkonferenz für ihre Kooperationsbereitschaft gelobt. Warum gelingt das anderen islamischen Organisationen nicht?

Nicht alle islamischen Organisationen sind so gut organisiert wie wir. Ähnlich wie die Katholische Kirche haben wir zum Beispiel ein Mitgliederregister. Das gibt es bei anderen Gemeinden so nicht. Die islamischen Gemeinden müssen an bestimmten Punkten nachbessern und auch ein Mehr an Sicherheit gewährleisten. Wir können das, weil wir wissen, wer in unseren Moscheen ein und ausgeht. Aber auch die Bundesregierung könnte in einigen Punkten etwas großzügiger sein.

Zur Person

Foto: imago/Karina Hessland

Abdullah Uwe Wagishauser, geboren 1950 in Neufrach am Bodensee, ist seit 1984 amtierender Emir der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Deutschland. Er wuchs in einer christlichen Beamtenfamilie auf und trat 1970 aus der Kirche aus und trat einige Jahre später der Ahmadiyya Muslim Jamaat bei. Die Ahmadiyya ist die älteste islamische Gruppierung in Deutschland. Ihre Mitglieder gelten als "Vorzeigemuslime" und erste Ansprechpartner des Staates, wenn es etwa um Islamunterricht, Körperschaftsanerkennung, Extremismusprävention geht. Innerislamisch und gegenüber der lokalen Bevölkerung haben ihre Gemeinden dagegen einen schweren Stand.

Kommt es noch vor, dass andere Islam-Vertreter sagen: „Da sind keine Muslime. Mit denen rede ich nicht“?

Was den Islamunterricht anbelangt, sagt die eine oder andere türkische Fraktion schon mal: "Nee, zu denen schicken wir unsere Kinder nicht." Wir machen aber die Erfahrung, dass es immer mehr junge Leute gibt, die nicht immer blind ihren Hodschas hinter her laufen. Man kommt eher mit jungen Muslimen ins Gespräch. Auch die Institutionen merken, dass sie sich an gewisse Spielregeln halten müssen. Dass es lächerlich ist, zu sagen, wir seien keine Muslime, wird meist deutlich, wenn sie mitkriegen, dass auch wir den Koran kennen und den Islam verteidigen und oft mehr Wissen über theologische Fragen haben als sie selbst.

„Vorzeigemuslime“ ist ein Begriff, den man häufig über ihre Mitglieder hört. Würden sie zustimmen, dass sie sich mehr als Andere um ein positives Image bemühen?

Ja, wir verstehen das als unsere allerwichtigste Aufgabe. Wenn der Gründer der Gemeinde sagt, er sei gekommen, um den Muslimen auch die Loyalität zum jeweiligen Staat ans Herz zu legen ...

Es gibt doch einen Unterschied, loyal zum Staat zu stehen und die Gemeindemitglieder Deutschland-Fähnchen wedeln und sie nach dem Freitagsgebet statt „Allahu Akbar“ „Islam heißt Frieden“ rufen zu lassen.

Richtig, aber das muss man heute auch machen, weil Muslime in der öffentlichen Kritik stehen. Wir haben ein Interesse, das Thema auf eine positive Art und Weise zu besetzen. Zur Integration gehört, dass man das Land versucht zu lieben, in dem man lebt und viele Neu-Deutsche bringen den Freiheiten, die sie hier erleben, ehrliche Dankbarkeit entgegen. Wenn sie in einem Land aufgewachsen sind, das kein Grundgesetz, keine etablierten Staatsinstitutionen, keine Religionsfreiheit, keine medizinische Versorgung hervorgebracht hat, dann zeigt man dafür eine ehrliche Wertschätzung. Es sind alles Dinge, die man eigentlich von einem islamischen Staat fordern würde. Manche Leute sagen, in Deutschland geht es viel islamischer zu als in den meisten islamischen Ländern.

Für immer mehr Deutsche gehört auch sexuelle Toleranz zu ihrem Land. Wäre es nicht an der Zeit, mal Ihren Standpunkt zu Homosexualität zu überdenken?

Nicht nur im Heiligen Koran, auch in anderen heiligen Schriften gilt Homosexualität als eine Verhaltensweise, die Gott nicht gefällt. Wir sagen aber auch, dass Sexualität etwas ist, das im Privatbereich stattzufinden hat. Und wir kontrollieren nicht das Privatleben der Leute.

Trotzdem hätte man es als offen Homosexueller wohl schwer in Ihrer Gemeinde.

Ich kann mir vorstellen, dass es ein schwieriger Konflikt ist, offen homosexuell und in einer islamischen Gemeinde Mitglied zu sein. Natürlich darf niemand wegen seiner Sexualität diskriminiert werden. Aber wer sich outet, wird mit Sicherheit nicht Präsident einer unserer Gemeinden werden können. Das ist bei uns nicht anders als bei den christlichen Kirchen.

Gegenwind erhalten sie auch für ihre Moschee-Neubauten. Keine andere islamische Organisation baut derzeit so viele repräsentative Moscheen in Deutschland wie die Ahmadiyya (AMJ). Warum eigentlich?

Weil wir besser organisiert sind, weil wir besser fokussiert sind und weil wir einen Kalifen haben, der jeden Freitag zu uns spricht. Ein Prozent der Muslime in Deutschland sind Ahmadis, aber wir haben 30 Prozent aller Moscheen gebaut.

Was ich meine, ist: wozu?

Muslime brauchen Moscheen. Eine Moschee vermittelt Identität. Das wiederum stabilisiert eine Gemeinde. Die Gemeinde braucht Einheit, sie braucht einen Imam. Warum dann nicht auch ein adäquates Gebäude, in dem gemeinsam gebetet werden kann! Und natürlich ist es wichtig, dass es als Moschee auch erkannt wird.

Die braucht es selbst in Städten wie Erfurt, wo kaum Ahmadis leben?

Die Thüringer Gemeinde hatte schon einmal 450 Mitglieder, aber die Leute sind abgewandert, weil es keinen Platz gab, wo man sich treffen konnte. Deshalb ist es wichtig, dass unsere Gemeinden Moscheen haben. Deswegen kämpfen wir auch dafür, auch gegen Widerstände. Das ist im Osten etwas härter, aber deshalb auch umso wichtiger.

Stimmt es eigentlich, dass Sie 100 Moscheen in Deutschland bauen wollen?

Der vierte Kalif hatte damals zum 100-jährigen Jubiläum gesagt: „Warum seid ihr nicht das erste Land in Europa, das 100 Moscheen baut?“ Das ist aber relativiert worden vom fünften Kalifen, der sagte: „Warum 100? Wir haben 220 Gemeinden, also letztlich will jede Gemeinde ihre eigene Moschee haben.“

Wann soll es soweit sein?

2023 werden wir 100 Jahre alt sein in Deutschland, das ist sehr ambitioniert. Es wird knapp. Wir haben jetzt 53 fertig gestellt. Sieben oder acht sind im Bau. Wir haben aber schon weitere zehn Grundstücke gekauft. Das ist ein fließender Prozess.

Haben Sie Verständnis, wenn Menschen Angst vor Islamisierung haben; wenn Leute in Nachbarschaft Ihrer Moscheen Ihnen vorwerfen, Sie hätten es auf Missionierung abgesehen?

Natürlich machen wir Missionsarbeit. Unsere Aufgabe ist es, die Schönheit des Islam auszurufen. Wenn jemand dieses Land liebt, möchte er doch, dass sich dieses Land in einer Art und Weise entwickelt, dass jeder eine Chance bekommt, mitzumachen. Wir glauben, dass mit dem friedlichen Islam der AMJ vieles schöner werden könnte. Wir sind daran interessiert, dass Menschen friedlich zusammenleben. Dafür bekommen wir übrigens auch viel Unterstützung. In Leipzig haben wir viel Unterstützung von Leuten aus der Zivilgesellschaft bekommen, die einfach für ein buntes Leipzig sind. Auch so etwas gibt es. Und nicht vergessen, nachdem unsere Moscheen fertig gebaut worden sind, ist immer Frieden in der Nachbarschaft eingekehrt.

Anderswo demonstriert die AfD gegen Sie, und vor Ihren Moscheen landen Schweineköpfe. Wie erleben Ihre Mitglieder die derzeitige Stimmung in Deutschland?

Bei uns wird darüber nicht gejammert. Wir sehen das als Herausforderung, der wir uns stellen müssen und als Gelegenheit, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Für viele bieten wir die erste Chance, einen echten Muslim zu treffen. Ein Moscheebau sorgt dafür, dass Menschen sich mit Dingen auseinandersetzen müssen, für die sie sich früher gar nicht interessiert haben. Es reden Menschen miteinander, die früher nie miteinander geredet haben. So ein Moscheebau ist ein Sozialisationsprozess. Natürlich ist es manchmal so anstrengend, als würde man ein Atomkraftwerk bauen wollen. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich danach die Situation immer beruhigt und wir wissen, dass eine Moschee für Frieden sorgt.

Die Mehrheit der Deutschen will Muslimen die Einreise ins Land verbieten, der Heimatminister sagt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland und serviert zur Islamkonferenz Blutwurst-Schnittchen... Kann ich Ihnen nicht wenigstens etwas Pessimismus entlocken?

Religiöse Menschen sind von Grund auf sehr optimistisch, weil sie Gott hinter sich wissen. Außerdem glaube ich, dass alles gar nicht so schlecht ist, wie die Presse berichtet. Abseits des großen politischen Geplänkels gibt es auch Erfolge: Wir haben Plattformen in Deutschland, wo man sich sofort zusammensetzt, wenn etwas passiert. In jeder Kleinstadt gibt es mittlerweile einen Runden Tisch oder einen Interreligiösen Kreis. Und wenn es keinen gibt, gründen wir einen. Wir sind den Dingen nicht mehr so ausgeliefert, wie es früher der Fall war. Wir werden immer auf Leute zugehen. Sogar während der Proteste in Chemnitz waren wir an vorderster Front mit Schildern dabei, auf denen stand: „Wir sind alle Deutschland“ und „Liebe für alle, Hass für keinen.“

Und was, wenn manche Menschen einfach nicht von Ihnen geliebt werden wollen?

Ich glaube, Allah hat es nicht vorgesehen, dass Menschen sich auf ewig nur streiten. Wir glauben, wenn man intensiv arbeitet, kann man auch Versöhnung erreichen.

Fabian Goldmann ist Journalist und Islamwissenschaftler. Für verschiedene Magazine und Zeitungen berichtete er viele Jahre aus Nahost. Zurzeit widmet er sich vor allem dem Islam diesseits des Bosporus. Auf seinem Blog "Schantall und die Scharia" bloggt er über Islamophobie in Deutschland.

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