Früher galt er als große Regiehoffnung Syriens. Nun wohnt Ayham Jabr am Rand von Damaskus mit seiner Mutter sowie seiner Schwester in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung. Mit nicht mehr als einem Laptop und einem gecracktem Photoshop kreiert der 28- Jährige aus seinen Alltagserfahrungen und aus Szenen, die sich in Science-Fiction-Romanen finden, dystopische Collagen: Grüne Aliens wandeln durch die Damaszener Altstadt, riesige Raumschiffe schweben über syrischen Städten.
Das Telefonat mit dem Künstler, der aus einer der berühmtesten Schauspielerfamilien der arabischen Welt stammt, wird immer wieder von Stromausfällen unterbrochen. Es zieht sich über mehrere Tage. Ayham Jabr spricht über Kreativität unter Beschuss, über gescheiterte Liebesgeschichten und darüber, was Tim Burtons Film Mars Attacks! über den Krieg in Syrien lehrt.
der Freitag: Herr Jabr, lassen Sie uns einmal nicht mit dem Krieg beginnen. Wie ist der Sommer in Damaskus?
Ayham Jabr: Es ist verdammt heiß, und es gibt keinen Strom. Die Kinder spielen trotzdem draußen. Viele Leute können zurzeit etwas Abstand vom Krieg gewinnen. Es gibt sogar so ein Gefühl des Alltagslebens, das man überall spüren kann. Ich glaube, Syrer sind die anpassungsfähigsten Wesen der Welt.
Sie leben im Osten der Stadt, nur zwei Kilometer entfernt kämpft die syrische Armee gegen islamistische Milizen. Geht es Ihnen gut, sind Sie in Sicherheit?
Niemand ist hier in Sicherheit, glaube ich. Ich lebe ja gleich neben dem Vorort Dschobar. Der Tod ist hier die ganze Zeit um uns herum. Nach dem Waffenstillstand hatten sie eigentlich aufgehört, die ganze Scheiße auf uns abzulassen. Jetzt schießen sie sogar in der Nacht. Aber in meinem Viertel sind wir an den Beschuss und die Granaten gewöhnt.
Der Damaszener Vorort Dschobar war früher einmal berühmt für eine der ältesten Synagogen der Welt. Heute dringen nur noch apokalyptische Szenen aus dem nahezu vollständig zerstörten Ort. Seit Frühjahr 2013 kämpfen dort syrische Armee und islamistische Milizen wie der Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front und Ahrar al-Scham um die Vorherrschaft. Die Bevölkerung wurde in der Folge nahezu vollständig vertrieben. Auch die berühmte Synagoge steht nicht mehr. Sie wurde im Mai 2014 unter ungeklärten Umständen zerstört.
Wie verläuft Ihr Alltag so nah an der Front?
Mein Leben ist nicht besonders aufregend. Früher bin ich oft in Bars und Clubs gegangen. Aber nun gehe ich nicht mehr so viel aus. Die meiste Zeit sitze ich zu Hause, im Studio oder ich laufe durch die Straßen. Ich habe ein kleines Zimmer, das ich zu einem Fotostudio umgebaut habe. Ich verbringe viel Zeit mit Fotografie und meinen Collagen, ich schaue Filme oder höre gute Musik. Und ich liebe es, in der Altstadt spazieren zu gehen.
Entwickeln sich aus den Spaziergängen auch die Ideen für Ihre Collagen?
Ja, ich sehe diese alten Gassen, Straßen, Häuser und lerne dabei, sie stärker wertzuschätzen. Der Krieg lehrt, das Leben jeden Tag stärker wertzuschätzen. Als ich ein Kind war, haben mir meine Eltern gesagt, ich solle jeden Tag würdigen, dass ich lebe. Aber was sie meinten, habe ich erst verstanden, als der Krieg begann. Das Leben wertzuschätzen bedeutet, dich selbst wertzuschätzen. Das Leben wertzuschätzen bedeutet, aus dem Nichts etwas zu schaffen. Ich bin ständig pleite. Allein das ist anregend. Viele große Künstler sind auf der Suche nach Inspiration irgendwohin weit weg gegangen. Weit weg von der Technik und den Menschen. Damaskus ist so ein Ort. Ein Ort, an dem du nichts hast außer dir selbst …
… und Raumschiffe. Wie entstehen Ihre Bilder? Laufen Sie durch die Gassen und denken, dazu würde jetzt gut der Todesstern aus „Star Wars“ passen?
Ich bin nicht so gut darin, mich mit Worten auszudrücken. Deshalb tue ich es mit Fotos, Grafiken und Collagen. Ich glaube, diese Werkzeuge sind unmissverständlicher und lebhafter als Worte. Alles hier ist inspirierend: Mein größter Einfluss sind so beschissene Erlebnisse wie meine gescheiterte Liebesgeschichte, der Tod von Freunden und der generelle Mangel an Sicherheit. Aber nicht nur Dinge, die in Syrien passieren, inspirieren mich. Das Fernsehen erlaubt dir, durch die ganze Welt zu reisen, während du im Wohnzimmer sitzt. Auch Filme haben einen großen Einfluss auf mich. Die Filme des großartigen Tim Burton zum Beispiel. Und die bunten Zeitschriften, die wir als Kinder immer gern gelesen haben.
Also spiegelt sich Tim Burtons Film „Mars Attacks!“ ebenso wie die Attacken auf Damaskus in Ihren Bildern wider?
Die Gemeinsamkeit zwischen beiden ist: Angriff. Jeder attackiert jeden. Es geht um Habgier und die Illusion von Macht und um das Streben nach ewiger Anerkennung, seit Anbeginn der Zeit.
Das klingt, als wäre das Gut-Böse-Schema aus der Science-Fiction für Sie näher an der Wahrheit als die komplizierten Erklärungen aus den Nachrichten.
Da haben Sie recht.
Woher kommt Ihr Interesse an Science-Fiction?
Ich lebe in einer religiösen Welt. Religion ist die Quelle aller Fiktion. Seit meiner Kindheit höre ich diese abgefahrenen, surrealen Geschichten und bekomme sie nicht mehr aus meinem Kopf heraus.
Zum Beispiel?
Ach, da gibt es so viele Geschichten. Etwa, wie Mohammed den Mond gespalten hat. Wie er auf irgendeinem Tier in den Himmel flog und zurück. Wie Moses einen Stock in eine Schlange verwandelte und wie Jesus auf dem Wasser läuft und Blinden ihr Augenlicht zurückgibt. Für mich als Kind waren das alles lustige Geschichten.
Und heute?
Ich hab’s nicht so mit der Religion. Ich sehe sie als wichtige philosophische Quelle, aber darüber hinaus erkenne ich keinen Unterschied zu Geschichten wie der von Aschenputtel. Die gleiche Moral, der gleiche Grundgedanke. Nur dass die Aschenputtelgeschichte mit sehr viel weniger Gewalt auskommt.
Syriens Serien – ein Exportschlager
Mehr als 50 Millionen Zuschauer in der ganzen arabischen Welt zählte Syriens erfolgreichste TV-Serie Bab Al-Hara („Das Tor zum Stadtviertel“) zu ihren erfolgreichsten Zeiten. 2006 gestartet, reflektierte sie Alltagsleben im Damaskus der 1930er Jahre unter französischer Herrschaft. Als der Krieg ausbrach, wurde die Produktion eingestellt.
„Musalsal“ ist der arabische Name für das, was in Lateinamerika Telenovela und im Westen Soap Opera heißt. Rund 40 jener Serien voller Liebe und Leid wurden in Syrien vor dem Krieg produziert. Nicht immer beschränkten sich ihre Produzenten auf Herzschmerz-Geschichten, die ebenfalls 2006 erstmals ausgestrahlte Serie Ghizlan fi ghabat al thiab („Gazellen in einem Wald voller Wölfe“) verbarg unter allerlei Pathos auch eine Abrechnung mit Syriens Vetternwirtschaft. Mit dem Krieg kam für den Großteil der syrischen TV-Industrie das Aus. Hunderte Schauspieler, Produzenten und Drehbuchautoren verließen das Land, wurden verhaftet, verschleppt, getötet. Durch den Rest der Industrie zieht sich heute die Kluft, die das ganze Land gespalten hat.
Als 300 Schauspieler im Jahr 2011 öffentlich Hilfe für notleidende Kinder in Daraa, Ausgangspunkt der Proteste gegen die Regierung, forderten, war-fen ihnen daraufhin 20 Produktionsstudios vor, die Opposition zu unterstützen, und stellten die Arbeit mit den Unterzeichnern ein. Produziert wird aber weiter: über Herzschmerz und Themen, an die 2011 noch niemand dachte. Rafi Wahbis Halawet Elrouh („Die Süße der Seele“) etwa erzählt die Geschichte einer von Rebellen entführten Journalistentochter. Bab al-Hara hat es mit einer Staffel über die Einheit des Lands im Ramadan 2014 noch mal auf die Bildschirme der arabischen Welt geschafft.
Sie kommen aus einer illustren Schauspielerfamilie. Haben Sie da nie das Bedürfnis gehabt, das Erbe weiterzuführen?
Doch, natürlich. Mein Familienname birgt eine Verantwortung in sich, die ich die ganze Zeit mit mir herumschleppe. Meine einzige Rolle habe ich allerdings mit neun Jahren im Schultheater gespielt.
Zu Ayham Jabrs Familie gehören die wahrscheinlich berühmteste Schauspielerin der arabischen Welt, Muna Wassef, und Naji Jaber, der als schwerer Junge Abu Antar in der Sitcom صح النوم („Guten Morgen“) bekannt wurde; die Serie startete in den 70er Jahren. Ayham Jabrs Großvater war der Theaterregisseur Mahmoud Jabr.
Worum ging es in dem Schultheaterstück?
Um zwei Obdachlose und Geister, die im Hinterhof einer Chemiefabrik festsaßen. Ich selbst war einer der Geister. Eine ziemlich blöde Geschichte.
Haben Sie denn einen guten Geist abgegeben?
Ich wurde danach nie wieder gefragt, ob ich schauspielern will. Deshalb bin ich mir unsicher …
Wie verdient man als Künstler in einem Kriegsgebiet eigentlich Geld?
Ich verkaufe meine Kunst nicht und hoffe auch, dass ich das niemals muss. Die Leute sollen sich lieber etwas zu essen statt Kunst kaufen. Ich editiere Fernsehserien und mache Grafiken für Werbekunden oder Videoinstallationen für Musikevents. Ich habe auch mal als Kassierer in einem Café gearbeitet.
Früher haben Sie selbst Filme gemacht. Vermissen Sie das?
Ja. Es gab eine riesige Anzahl an Fernsehsendern. Die ganze arabische Welt liebte syrische Dramaserien. Jetzt gibt es natürlich nicht mehr so viele Produktionsfirmen. Und der Kinomarkt in Syrien ist praktisch nicht mehr existent. Ich würde gern eine syrische Serie drehen. Ich habe schon viele Ideen für Drehbücher aufgeschrieben. Der Dreh meines letzten Kurzfilms ist jetzt zwei Jahre her.
Wovon handelt er?
Es geht um Flüchtlinge. Aber er wurde nicht veröffentlicht. Die Mediengesetze hier sind härter als eine Kugel im Kopf.
Und worum geht es in Ihren Drehbüchern?
Um die syrische Armee, um den Tod der syrischen Film- und Radioindustrie, syrische Künstler und syrische Frauen, um Flüchtlinge; um die Folgen des Kriegs für die Zivilisten und um den Terror. Das Mädchen, das ich geliebt habe, lebt jetzt übrigens als Geflüchtete in Deutschland.
Warum sind Sie denn nicht mit ihr gegangen?
Es hat nie zu meinen Plänen gehört, ein Flüchtling zu sein. Es gibt natürlich Menschen, die alles verloren haben – für die ist es vielleicht wirklich besser, zu gehen und nach neuen Möglichkeiten zu suchen. Ich aber versuche, wertzuschätzen, was uns geblieben ist. Selbst wenn es nichts ist. Damaskus ist so interessant, selbst unter all dem Wahnsinn. Ich glaube, wenn du es nicht schaffst, das, was du tun willst, in deinem eigenen Land zu tun, wirst du es auch nirgendwo anders schaffen.
Sehen das viele Menschen um Sie herum so?
Ich weiß nicht. Hinter jedem Lächeln verstecken sich traurige Geschichten. Jeder von uns trägt sie mit sich herum, jeder hat Verwandte verloren. Das ist das Abscheuliche am Krieg: Er überzieht alles mit Zerstörung und Trauer.
Und immer wieder Stromausfälle. Oft dauert es Stunden, bis Ayham Jabr wieder telefonieren kann. Gelegentlich sind im Hintergrund Gewehrfeuer oder entfernte Explosionen zu hören. Obwohl die Gegend von der syrischen Regierung kontrolliert wird, schlagen auch im Osten von Damaskus ständig Granaten ein.
Überzieht der Krieg auch Sie mit Terror und Trauer?
Natürlich. Der Terror, den der Westen uns geschickt hat, ist schlimmer als die Hölle selbst. Ich glaube, jeder in der Welt kann das fühlen.
Der Westen schickt also die Raumschiffe?
Es sind Aliens, Fremde. Sie sagen, sie kämen in Frieden. Aber wer kommt denn schon wirklich in Frieden? Was sie gebracht haben, ist die totale Zerstörung. Die Entscheidung, wer die Schuld trägt, überlasse ich dem Betrachter. Aber lassen Sie es mich so sagen: Es geht um Fremde, die nicht so friedlich sind, wie sie behaupten. Die Bilder sind mein Weg, die Wahrheit über dieses Dilemma und die schrecklichen Umstände auszudrücken.
Was ist die Wahrheit?
Niemand bombt für den Frieden.
Werden die Raumschiffe wieder verschwinden?
Ich vermute, es wird übel für sie ausgehen. Jeder, der Syrien in der Vergangenheit bedroht hat, wurde schließlich total zerstört. Die Geschichte Syriens hat es gezeigt. In all den Kriegen, die Syrien erlebt hat, stand das Land am Ende wieder auf. Damaskus ist die älteste Hauptstadt der Welt, und sie wird überleben, so, wie sie es immer getan hat.
Und dann, was kommt danach?
Ich möchte eine Serie machen, von Anfang bis Ende: Drehbuch, Kamera, Regie. Und ich will schauspielern. Ich hoffe, dass ich dann immer noch genug Ideen für Collagen finde. Ich will, dass der Frieden in unser Land zurückkehrt. Dem Frieden in uns selbst wird das wohl nie gelingen.
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