Erstaunlich

Linksbündig Redundant, aber neuerdings auch menschlich: Die Marke Paris Hilton

Sie bringt es im Internet auf 108 Millionen Einträge, etwa so viele wie "Beatles" und "Elvis" zusammen. Googelt man nach "George W. Bush", erhält man immerhin gut 80 Millionen Notierungen. Zum Vergleich: "Angela Merkel" findet sich gerade 3,5 Millionen mal - etwa so oft wie "Tinkerbell", eine Peter-Pan-Figur und zugleich der Name des Schoßhündchens der Gesuchten, die wir, geht es nach der Präsenz im Internet, wohl als die bekannteste Person der Welt ansehen müssen, "Jesus" einmal nicht berücksichtigt. Die Rede ist von Paris Hilton, der mittlerweile 26-jährigen platinblonden Hotelerbin, die seit Jahren durch nichts anderes als ihre bloße Existenz Schlagzeilen zu machen scheint. Der 2004 der "World Stupidity Award" als "Dümmster Frau des Jahres" verliehen worden war und deren Schauspielambitionen im Jahr darauf mit der Goldenen Himbeere, dem Anti-Oscar, für den Film House of Wax, einem schlechten Remake des Horrorfilm-Klassikers Das Kabinett des Professor Bondi, honoriert wurden. Anfang des Monats nun wurde sie nach wiederholter Trunkenheit am Steuer und anderen Verkehrsdelikten 45 Tage ins Gefängnis geschickt. Als die Strafe dann nach wenigen Tagen in eine Art Luxus-Hausarrest mit Fußfessel umgewandelt werden sollte, entbrannte in den USA eine hitzige Diskussion darüber, ob Hiltons Bekanntheit, ihr Geld, ihr Geschlecht und auch ihre Hautfarbe das amerikanische Justizsystem aushebele. Wäre sie ein namenloser männlicher, schwarzer Durchschnittsverdiener, so ein Gegenargument, wäre eine Haftverschonung sicher nicht erwogen worden.

Nun sitzt Paris Hilton also wieder, wohl noch bis Ende des Monats, da ein Teil der Strafe in der Regel wegen guter Führung erlassen wird. Nicht nur das US-Magazin People verfolgt das Geschehen seitdem minutiös und ließ vor einigen Tagen die Familie zu Wort kommen ("Ihr ist kalt, sie isst wieder mehr"), auch die deutsche Presse berichtet emsig. Ein Witz? Banaler Medienmüll? Der Untergang des Abendlandes?

Das Jet-Set-Partygirl ist vor allem Projektionsfläche. Für unausgelebte, pubertäre Teenieträume und für erotische Phantasien, was Hilton mit einem Werbespot für einen BBQ-Hamburger unterstreicht, in dem sie als Softporno-Pin-up sehr gekonnt und sehr lustvoll einen Sportwagen einschäumt und dann in den Burger beißt. Nicht ohne Geschäftssinn: Ihren Slogan "That´s hot!" hatte sich Hilton 2005 markenrechtlich schützen lassen, nun ließ sich die Burgermarke (die andere) Hiltons Slogan für den Burgerspot einiges kosten. Für ihre Kritiker hingegen ist Hilton Fleisch gewordene Dekadenz, Produkt einer gelangweilten Spaßgesellschaft. Dekadent sei bereits, sich überhaupt mit einer Frau zu beschäftigen, die nichts könne, nicht einmal singen. Zwar mag Paris Hilton für manche so überflüssig sein wie eine Brustvergrößerung, doch sie polarisiert. Und es ist diese Melange aus öffentlicher Person und öffentlicher Diskussion, über die hinweg sie sich als Marke inszeniert: Parfums, Schmuck, ein Modelabel, mehrere eigene Bars, Millionenverträge, Wiener Opernball und noch mehr Öffentlichkeit.

Dann der Bruch: Besuche hinter Glas und orangefarbene Guantanamokluft kollidieren offenbar mit dem Bild von einer, die sich bislang anscheinend alles erlauben konnte. Sowohl ihre Künstleragentur als auch ihr PR-Berater distanzierten sich. Doch das Leben der Paris Hilton bekommt durch den vermeintlichen Imageschaden etwas Tragikkomisches: Auf Trunkenheit am Steuer und Fahren ohne Führerschein steht für die meisten eine Geld- oder Bewährungsstrafe, das Glamourgirl jedoch muss hinter Gittern, wird regelrecht vorgeführt. Das sichert ihr die kurze Aufmerksamkeit genau derer, die sie bislang als völlig sinnfrei, geistlos und künstlich abtaten. Die Gefängnisrealität verschafft Paris Hilton somit ein kleines Stück echtes Leben, etwas nachgerade Menschliches. Und genau das passt, vorsätzlich oder instinktiv, zum "Masterplan" der Paris Hilton: der Knast als Schauplatz der Göttinnendämmerung. Mit dem Gefängnis-Coup vermag sie die wichtigsten medialen Regeln zu vereinen, nach denen schlechte Nachrichten gute sind und das Medium die Message. Schadenfreude ist sicher kein ehrenwertes Motiv, doch selbst seriöse Blätter liegen der Jet-Setterin nun samt und sonders zu Füßen und haben sie spätestens seit der Urteilsverkündung zu dem gemacht, was sie ist: die wohl bekannteste lebende Person unserer Zeit. Und das kann man ja einfach auch nur erstaunlich finden.


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