Tangoschlampen

Sportplatz ...

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Alles ist wie in Strictly Ballroom, Baz Luhrmanns großartigem Tanzfilm, einem Meisterwerk des Camp, der inszenierten Ironie. Nur leuchten hier an den Wänden überdimensionale Regenbogenfahnen, von der Decke hängen rosa- und roséfarbene Ballons und auf den Tischen liegen Rosenblätter und liebevoll gesteckte Blumenbouquets mit Federbesatz - Luhrmann könnte hier unbesehen einen zweiten Teil seines Tanzepos drehen.

Im Saal herrscht gespannte Erwartung, als der Sprecher alle Paare für die großen Finals in den lateinamerikanischen und Standardtänzen aufruft. Sie kommen von den Pink Pömps, trainieren bei den Tangoschlampen oder starten für das Ballhaus Walzerlinksgestrickt. Nahezu die Hälfte der TeilnehmerInnen der 5. Offenen Berliner Meisterschaften für Frauen- und Männerpaare kommen vom gastgebenden Pinkballroom, der Kaderschmiede des lesbisch-schwulen Tanzssports in Deutschland.

Auf dem Parkett: Frauen mit Kurzhaarschnitt im grünen Frack, Männer rückenfrei Ton sur Ton, von schwarz bis schillernd, von sportiv bis strassbesetzt. Schwullesbische Klischees werden zwar bedient, aber auch wieder gebrochen. Denn vor allem geht es hier um eins: um guten Tanzsport - und Hunderte Zuschauer in der vollbesetzten Halle johlen und feuern ihre Favoriten für die Finals schon einmal an. In den kommenden dreieinhalb Stunden geht es nicht nur um die Meistertitel in beiden Sektionen. Es winken zudem das lila sowie das rosa Band der Spree für die besten Allrounder. Zehn Tänze entscheiden dann, vom langsamen Walzer zum Quickstep, von der Rumba zum Jive.

Auf den zweiten Blick ist hier vieles dann so, wie man und frau es von Mann und Frau aus dem Fernsehen kennt: An der Seite stehen pomadisierte Preisrichter, der Blick der TänzerInnen beim Tango ist inbrünstig und die Stirn streng in Falten, und die Samba ist vor allem Powackeln und Hüftschwung. Nach zwei Tänzen merkt man allen Paaren die Hochleistung an. Schweißgebadet kommen sie von der Tanzfläche, greifen zu Handtuch und Isodrink, um nach zwei Minuten wieder mit gemeißeltem Gewinnerlächeln aufs Parkett zu gleiten und einen guten Eindruck zu machen.

Selbst die Schritte sind im wesentlichen die gleichen, denn schließlich ist auch der lesbisch-schwule Tanzsport auf ein verbindliches Regelwerk angewiesen, erklärt einer der Veranstalter. Aber die Richtlinien seien von Turnier zu Turnier oft unterschiedlich. Noch sei es ein ziemlicher Mischmasch, orientiere sich teils an den Vorgaben des Internationalen Tanzsportverbandes, gehe aber auch nach den Richtlinien der Gay Games, der lesbisch-schwulen Olympiade, wo Tanz zu den Hauptsportarten gehört. So kam es in diesem Jahr bei den Gay Games in Sydney wohl dazu, dass den Partnern ein Führungswechsel mitten im Tanz zunächst untersagt werden sollte, dann aber doch zugelassen wurde.

Schwule und Lesben finden bei den traditionellen heterosexuellen Tanzverbänden mittlerweile durchaus Unterstützung. Vor allem der Berliner Landestanzsportverband tut sich hervor, wünscht sich wie der Vorsitzende in seinem Grußwort eine "weitere positive Entwicklung des gleichgeschlechtlichen Tanzsports" und würdigt zugleich die vorbildliche Unterstützung von Sportlern aus osteuropäischen Ländern. Dass obendrein Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit für diese fünfte Veranstaltung die Schirmherrschaft übernommen hatte, sorgt für noch mehr Aufmerksamkeit und macht die Organisatoren von Pinkballroom natürlich stolz.

Auf Bundesebene tut man sich hingegen noch ein bisschen schwer mit der neuen Entwicklung. Aber in den vergangenen drei, vier Jahren, in denen der lesbisch-schwule Tanzsport immer populärer wurde, so einer der Organisatoren, habe es keinerlei Repressionen oder gar Drohungen gegeben, zum Beispiel Sportlern gegenüber, die auch in der Heterosektion tanzen. Dies sei bei den Eiskunstläufern schon anders.

Zurück aufs Parkett. Die Entscheidung steht an, und während sich die Abendluft draußen abkühlt, herrscht im Saal nahezu Körpertemperatur. "Und nun sehen wir mal, dass echte Männer auch Gefühle zeigen können", kündigt der Sprecher die Rumba an. Die Herren gehen in Position und verschmelzen mit dem Rhythmus. Ein flüchtiger Kuss hier, ein Anschmiegen da - Paartanz eben. Und wer bislang glaubte, dass wenigstens in diesem Sport nur Mann und Frau zusammen gehören, sollte sich Frauen- und Männerpaare doch einfach einmal anschauen kommen. Ein wohltuender Blickwechsel - Unstrictly Ballroom sozusagen.

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