Langsam nähert sich das Drama seinem Höhepunkt. Der überraschende Rücktritt von Linksparteichefin Gesine Lötzsch treibt das Geschehen auf der politischen Bühne voran. Statt sich auf dem Parteitag in Göttingen Anfang Juni wie angekündigt zur Wiederwahl zu stellen, verabschiedete sich die Ostberlinerin in die Kulisse – aus privaten Gründen wegen der Erkrankung ihres Mannes. Damit steht ihr Ko-Vorsitzender Klaus Ernst plötzlich allein an der Parteispitze und ist nun hauptsächlich damit beschäftigt, die sofort neu aufgeflammte Personaldebatte möglichst unterm Deckel zu halten.
Eigentlich hätte auch eine einmütige Partei mit motiviertem Spitzenpersonal derzeit im Wahlkampf alle Hände voll zu tun. In Schleswig-Holstein wird am 6. Mai abgestimmt, in Nordrhein-Westfalen eine Woche später. Beide Landtagswahlen gelten als entscheidend für das Überleben der Linken im Westen. Deshalb gab Ernst die Losung aus, erst danach solle die neue Führung diskutiert werden. Der Parteivorstand stellte sich offiziell auch „in großer Einmütigkeit“ hinter diese Linie. Doch es hilft nichts: Die parteiinternen Fliehkräfte wirken bereits.
"Karten jetzt offenlegen"
Erst mahnte – ungeachtet des von oben verhängten Schweigegebots – der mecklenburg-vorpommersche Landeschef Steffen Bockhahn zur schnellen Personalentscheidung: „Die Wähler müssen wissen, in welche Richtung die Partei steuert.“ Dann schossen auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und Fraktionsvize Dietmar Bartsch quer. Die Frage könne unmöglich bis zur NRW-Wahl ungeklärt bleiben, polterte Pau: „Ich erwarte, dass diejenigen, die kandidieren wollen, ihre Karten jetzt offenlegen.“ Die Breitseite ging klar gegen Ex-Parteichef Oskar Lafontaine und seine Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht. Beide gelten als Aspiranten für die Doppelspitze, allerdings nicht miteinander. Und so scheint nun alles abzuhängen von der Lebens- und Karriereplanung des linken Politpaars.
Offiziell gibt es im Moment nur einen erklärten Kandidaten für die Doppelspitze: nämlich Bartsch, den ehemaligen Bundesgeschäftsführer. Ernst hat hingegen in der schon seit Monaten schwelenden Führungsdebatte offen gelassen, ob er für eine zweite Amtszeit zur Verfügung steht. Gemeinsam mit Lötzsch wird er für die schlechte Verfassung der Partei verantwortlich gemacht. Das ungleiche Paar verdankte seine Nominierung Anfang 2010 einem Kompromiss, den Fraktionschef Gregor Gysi vermittelt hatte – schon damals unter großen Mühen in einer Partei mit tiefen ideologischen Gräben und heftig konkurrierenden Strömungen. Der Kern des Konflikts, verklausulierte Ernst vor kurzem, sei „mit Ost und West durchaus nicht unzutreffend beschrieben“.
Kein Gehör in der Öffentlichkeit
Lafontaine und sein Ko-Vorsitzender Lothar Bisky hatten die Drift in der aus WASG und PDS fusionierten Partei noch einigermaßen unter Kontrolle gehabt. Doch unter ihren Nachfolgern verlor die Linke deutlich an Schwung, was sich nicht zuletzt in den teilweise desaströsen Wahlergebnissen des Jahres 2011 widerspiegelte. Selbst der Umstand, dass sich die Partei im vergangenen Oktober erstmals ein Grundsatzprogramm gab, brachte die Genossen nicht zurück auf die Erfolgsspur. So musste Ernst im Januar einräumen, dass es der Linken nicht gelinge, „mit ihren Vorschlägen in der Öffentlichkeit durchzudringen“. Auch die Umfragen für Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen verheißen nichts Gutes: In beiden Bundesländern liegt die Genossen unter der Fünf-Prozent-Marke.
Zeit für einen Retter, so scheint es. So plädierte die Fraktionschefin der schleswig-holsteinischen Linken, Antje Jansen, am Wochenende „für die Kandidatur von Oskar Lafontaine, der als Gesicht der West-Linken auch unserem Wahlkampf hilft“. Vor allem in den alten Bundesländern wird der Ruf nach Lafontaine lauter.
Allerdings schallt es ihnen fast ebenso laut entgegen. Der Berliner Bundestagsabgeordnete und prominente Reformer Stefan Liebich sprach sich offen gegen das Comeback aus: „Als Parteivorsitzenden würde ich Lafontaine nicht noch einmal vorschlagen.” Der Nordost-Linke Bockhahn empfahl seiner Partei, sie solle „jetzt schon an übermorgen denken“ und sich „auf etwas jüngere Leute konzentrieren“. Die Retourkutsche folgte prompt: Lafontaine-Adlatus und Partei-Vize Ulrich Maurer ließ dem Mecklenburger über dessen Heimatblatt Ostsee-Zeitung mitteilen, er möge sich „auf seine Aufgaben als Verwaltungsrat der Ostseesparkasse konzentrieren“.
Zurück in die Zukunft
Dabei ist interne Kritik an dem autoritären Saarländer nichts Neues. „Oskar ist kein Teamplayer“, sagt ein Vorstandsmitglied dem Freitag. Den Habitus des hemdsärmeligen SPD-Ministerpräsidenten, der das Durchregieren gewohnt ist, hat er nie abgelegt. Mit Bartsch – dem ostlinken Reformer – überwarf sich Lafontaine derart, dass der damalige Bundesgeschäftsführer im Mai 2010 seinen Posten räumen musste. Viele Genossen in den neuen Ländern haben das dem Saarländer nie verziehen.
Zudem ist der studierte Physiker mittlerweile 68. Jüngere Wähler fühlen sich selten von Politikern angesprochen, die bereits das Rentenalter erreicht haben. Und die neue Konkurrenz lauert schon, wie sich gerade im Saarland deutlich zeigte. Keine andere Partei verlor so viele Wähler an die Piraten wie die Linke. Insgesamt büßte sie dort mit Lafontaine als Spitzenkandidat gut fünf Prozentpunkte ein. Davon gingen 1,5 Prozent direkt auf das Konto der Freibeuter. Auch wenn es den Piraten an einem tragfähigen Konzept fehlt, ihre Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen scheint bei den jüngeren Wählern anzukommen. Im neuen Programm der Linken findet sich hingegen nur eine unverbindliche Absichtserklärung, diese Idee weiter zu diskutieren.
Der Siegeszug der Piraten als vierte Kraft links der Mitte macht im übrigen Regierungsbeteiligungen für die Linke noch schwieriger, sowohl in den Ländern als auch im Bund. Zumal die Sozialdemokraten von ihrer Strategie der feindlichen Umarmung abgerückt sind. Statt die Linke durch Regierungsbeteiligung zu entzaubern, hält man die Konkurrenten nun auf Abstand und koaliert selbst bei rot-roter Mehrheit mit der CDU. Das schwächt vor allem die Position der ostdeutschen „Regierungs-Linken“.
Nicht auf dem offenen Markt
Neben dem stets schwelenden Konflikt zwischen ostdeutschen Reformern und westdeutschen „Fundis“ setzt sich außerdem der Mitgliederschwund ungebremst fort. Wie jüngst bekannt wurde, zählte die Partei im Dezember 2011 nur noch 69.458 Genossen. Im Jahre 2007 waren es noch mehr als 78.000. Im Osten beträgt das Durchschnittsalter 67 Jahre. Auch finanziell ist diese Entwicklung für die Linke schmerzhaft, kommen doch drei Viertel aller Beitragseinnahmen aus den neuen Ländern.
Falls Lafontaine wirklich an die Parteispitze zurückkehrt, dann müsste zumindest seine neue Ko-Vorsitzende deutlich jünger sein. Parteivize Katja Kipping etwa. Die Dresdnerin ist 34, gilt als engagierte Sozialpolitikerin und erfreut sich auch außerhalb der Partei einiger Beliebtheit. Aber dies bleibt Spekulation, weil Lafontaine zu seinen Zukunftsplänen beharrlich schweigt. Er wolle „solche Dinge nicht auf offenem Markt austragen“, rechtfertigte er am Montag sein Schweigegelübde, das er vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen auch nicht zu brechen gedenkt.
Rückt Lafontaine nicht selbst wieder an die Parteispitze, könnte Wagenknecht die Lücke füllen und mit Bartsch das neue Führungsduo bilden. Die Parteilinke und der Ex-Geschäftsführer mit Bodenhaftung, das könnte auch die Genossen im Osten zufrieden stellen. Und Lafontaine könnte die Partei zusammen mit Fraktionschef Gysi in den Bundestagswahlkampf 2013 führen. Indes gibt auch Wagenknecht auf offener Bühne keine klaren Signale.
Sicher ist derzeit nur, dass nach dem Parteitag in Göttingen mindestens eine Frau an der Spitze stehen wird. Dies schreibt die Satzung so vor. Der Ost-West-Proporz in der Parteiführung hingegen war stets nur eine inoffizielle Vereinbarung – den Lötzsch nach ihrem Rücktritt prompt für überholt erklärte. Da in Göttingen die gesamte erweiterte Parteiführung zur Wahl steht, gibt es einigen Verhandlungsspielraum. Das macht Kompromisse zwar nicht einfacher, aber wahrscheinlicher.
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