Fehlkonstruktion schwarze Null

Finanzen Der Bundestag verabschiedet in dieser Woche den Haushalt 2016. Ob für Jugendliche, Arbeitslose oder Rentner: Wolfgang Schäubles Pläne sind grundfalsch
Ausgabe 48/2015

Es wird gejubelt im Land: 2014 nahm der Bund das erste Mal seit 1969 keine neuen Schulden auf – und das soll auch die nächsten Jahre so weitergehen. Aber wie alles im Leben, so hat auch der Haushaltsausgleich seinen Preis. Und der ist nicht gering. Besonders belastet er die jungen und zukünftigen Generationen, in deren Namen die Regierung die staatlichen Schulden ja eigentlich reduzieren will.

Da ist erstens die öffentliche Infrastruktur, die seit 2003 stetig verfällt, weil der Staat zur Haushaltskonsolidierung vor allem bei den Investitionsausgaben gestrichen hat: Mehr als 70 Milliarden Euro müsste der Staat in die Hand nehmen, um die öffentliche Infrastruktur allein wieder auf den Stand von 2003 zu bringen; Modernisierung oder gar Ausbau sind da noch gar nicht eingerechnet. Das Bundeswirtschaftsministerium beziffert den kommunalen Investitionsbedarf auf 156 Milliarden Euro.

Dabei ist der Verfall des öffentlichen Kapitalstocks die direkte Folge der politischen Vorstellung, dass der Staat keine neuen Schulden mehr aufnehmen dürfe: Als nach den massiven rot-grünen Steuersenkungen Anfang der 2000er Jahre das Defizit immer größer wurde, waren die Investitionen das erste Opfer. Zwar sieht die Politik mittlerweile das Problem. So sollen über die nächsten drei Jahre zehn Milliarden Euro an die Kommunen fließen. Das ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Leidtragende davon sind die heutigen, noch mehr aber zukünftige Generationen. Denn die öffentliche Infrastruktur ist ein wichtiger Einflussfaktor für die zukünftige Wirtschaftsentwicklung – ohne gute Straßen bekommen die mittelständischen Exporteure Probleme; der Verfall von Schulen und Universitäten wird zur Gefährdung für Schüler und Studierende. Würde die Infrastruktur aber nur über Steuern finanziert – wie das jetzt durch die schwarze Null auch für die Länder angepeilt ist –, würden allein die heutigen Generationen mit den Kosten belastet. Von einer guten Infrastruktur profitieren aber auch die Jungen und künftige Generationen, die sich dann per Zins und Tilgung an den Kosten beteiligen sollten.

Ein zweites – in der Öffentlichkeit wenig beachtetes – Problem der schwarzen Null sind ihre Folgen für das Rentensystem. Durch die Teilprivatisierung der Renten per Riester-Rente und Co. sollen die Bürger zunehmend selbst für ihre Rente sorgen, und zwar über die Anlage ihrer Rentenersparnisse an den Finanzmärkten. Das geht aber nur, wenn es überhaupt sichere Anlageprodukte gibt – der Klassiker dabei sind Bundesanleihen. Die sind im Gegensatz zu den stark schwankenden Aktien sehr viel sicherer. Nicht umsonst sind Versicherer auch durch die gesetzliche Regulierung dazu gezwungen, Staatsanleihen zu halten.

Rentner in Unsicherheit

Ohne neue Staatsschulden bleiben den Rentensparern dann nur noch Anlagen in Unternehmensanleihen und Aktien im In- sowie Ausland. Aktiencrashs und Schuldenkrisen der jüngsten Vergangenheit haben aber deutlich gezeigt, wie unsicher solche Anlagen sind und damit auch die Rente, von der die heute Jungen später leben sollen. Genau in diese Unsicherheit werden aber Rentensparer durch die Kombination aus gestärkten Privatrenten plus Nullschuldenpolitik getrieben.

Drittens schließlich kann die schwarze Null zu Verteilungskonflikten führen – wie die Finanzierung der Flüchtlinge zeigt. Zwar will Finanzminister Schäuble 2016 auch Schulden aufnehmen, wenn mehr Flüchtlinge kommen als erwartet. Das aber würde für Investitionen fehlen. Sinnvoll wäre, die Ausgaben für beide Posten zu erhöhen, ohne woanders zu sparen und dafür auch mehr Schulden aufzunehmen.

Das hätte zwei Effekte: In der sowieso schon aufgeheizten Situation um die Flüchtlinge würde ein Verteilungskonflikt à la „kommunale Investitionen versus Flüchtlingshilfen“ vermieden. Wichtiger wäre aber, dass Mehrausgaben des Bundes ohne kompensierende Einsparungen die Konjunktur stärken würden, was zu mehr Wachstum und Beschäftigung führen würde. Genau das braucht man, um die wichtigste Art der Integration zu schaffen, nämlich die Integration in den Arbeitsmarkt. Die ist nicht nur für die Flüchtlinge zentral, sondern auch für die schon in Deutschland lebenden Arbeitslosen.

Fabian Lindner ist Träger des Keynes-Preises 2015. Am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung leitet er das Referat für Allgemeine Wirtschaftspolitik

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