Im Jahr 1965, 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, reiste der Auslandskorrespondent der israelischen Tageszeitung Haaretz, Amos Elon, durch Deutschland. Auf beiden Seiten der Mauer entdeckte Elon Versuche, die Vergangenheit zu entsorgen, die sich nur in ihren Strategien unterschieden. Während die Betriebsamkeit des Wirtschaftswunders in Westdeutschland die Verdrängung förderte, machte – wie der Historiker Nicolas Berg unlängst konstatierte – Elon in Ostdeutschland „eine weit verbreitete Haltung aus, als habe sich das 'Dritte Reich' räumlich weit weg abgespielt. Hier wie dort herrschte in Bezug auf die Nazi-Jahre ein Formel-Denken vor, im Westen vor allem die Wendung von der 'Katastrophe von 1945', im Osten wiederum jener 'Parteijargon', der mit gestanzten Begriffen wie 'Junker' oder 'Großindustrielle' die Illusion hegte, alles erklärt zu haben.“ Elons Beobachtungen erschienen zwei Jahre später unter dem Titel In einem heimgesuchten Land – Reise eines israelischen Journalisten in beide deutschen Staaten.
Antifaschismus gehörte zum Selbstverständnis der DDR. Wie sich die Politik der Erinnerung an den Judenmord, den deutschen Antisemitismus vor und nach 1945 im Filmschaffen der DDR niederschlug, dazu hat die Sammlungsleiterin des Filmmuseums Potsdam, Elke Schieber, in jahrelanger Arbeit eine Filmografie zusammengetragen. Unter einem praxisfernen Titel, der mit Tangenten beginnt und den Sie in voller Länge am Ende dieses Texts nachlesen können, listet sie gegliedert in sechs Themenkomplexe zahlreiche Filme auf: „Judenverfolgung im Nationalsozialismus“, „Antisemitismus vor 1933“, „Vergangenheit in der Gegenwart“, „Jüdisches Leben“, „Palästina – Israel – Naher Osten“, „Weitere Verfilmungen von literarischen Werken deutsch-jüdischer Autoren“. Gerahmt wird der Hauptteil von Einleitung und Kurzbiografien „jüdischer Verfolgter des Naziregimes, die in den Filmen bzw. Beiträgen und in der Einleitung genannt werden“.
1995 wurde der Regisseur Frank Beyer gefragt: „Was empfinden Sie, wenn die gesamtdeutsche Presse der 90er Jahre nach Schindlers Liste schreibt, dieser Film öffne den Zuschauern die Augen für die Verbrechen der Faschisten, aber auf die DEFA-Filme zum Thema nicht eingeht?“ Beyer antwortete: „Natürlich berührt es mich, dass man nach der Lektüre solcher Artikel vermuten kann, es habe nie einen einzigen DEFA-Film zu dieser Problematik gegeben. Nun hat die DEFA tatsächlich keinen Film über den Holocaust im engeren Sinne des Wortes gedreht, sondern sich dem Thema von sehr verschiedenen Standpunkten aus genähert.“
Schieber zitiert Frage und Antwort zu Beginn ihrer Einleitung und setzt sich in der Folge mit dem Umgang mit dem Antifaschismus in der DDR-Kultur nach dem Fall der Mauer auseinander. Nicht zu Unrecht konstatiert sie dabei eine Lust an der Demontage dieser Traditionslinie seitens westdeutscher Presse und Geschichtswissenschaft. Allerdings verdeckt die Diskussion auch die Frage, die in Beyers Antwort enthalten war: weshalb die DEFA trotz Antifaschismus eben keinen Film über den Holocaust produzierte.
1966 drehte Karlheinz Mund einen kurzen Dokumentarfilm auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee – und zeigte auch Grabsteine mit antisemitischen Schmierereien. Ob es sich um alte oder neue Schmierereien handelte, blieb offen. Zur Vorführung bei den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen wurden die entsprechenden Stellen entfernt.
Als die US-Fernsehserie Holocaust 1980 in der BRD lief, forderte Helmut Kohl die DDR auf, diese auch auszustrahlen. Peter Hoff wies die Forderung in der Zeitschrift Film und Fernsehen mit Verweis auf den „Anti-Sowjetismus und Anti-Kommunismus“ der Serie zurück und verwies auf den „konsequenten Antifaschismus“ der DDR.
Wer die Debatten liest, die Schieber zu einzelnen Filmen anreißt, gewinnt den Eindruck, dass es keine klare Trennung zwischen Antifaschismus und einer Positionierung zum Antisemitismus gab – und dass die Unterscheidung letztlich nicht gewünscht war, weil sie Defizite in der Gegenwart der DDR offenbart hätte, die denen in der BRD ähnlicher waren als gewünscht.
Mit ihrem Buch hat Elke Schieber eine filmische Welt erschlossen. Wissenschaftliche Arbeiten zu Holocaust und jüdischem Leben im Film der DDR sind in Arbeit, da macht Schieber deutlich, dass es einige der von ihr aufgelisteten Filme im Fernsehen und Kino wiederzuentdecken gäbe. Das gilt vor allem für Dokumentarfilme, die ab Ende der 70er Jahre individuellere Zugänge zu dem Thema fanden. Aber auch für den Kurzfilm von Karlheinz Mund.
Info
Tangenten. Holocaust und jüdisches Leben im Spiegel audiovisueller Medien der SBZ und der DDR 1946 bis 1990. Eine Dokumentation Elke Schieber Bertz + Fischer 2016, 30 Abb., 692 S., 29 €
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