Schneeweißchen und rosentot

DVD Rache wird hier kalt serviert, und sie hat Quentin Tarantino inspiriert: „Lady Snowblood“ aus dem Jahr 1973
Ausgabe 42/2015

Ein Film, so schön, dass es einem beim Betrachten immer wieder den Atem verschlägt: Drei Männer bluten sterbend in den Schnee, während eine junge Frau im Schmetterlingskimono ungerührt ihr Schwert in den Griff eines Schirms zurückschiebt, diesen Schirm aufspannt und ihrer Wege geht.

Yuki Kashima, die junge Frau, wurde von ihrer Mutter zur Welt gebracht, um Rache zu nehmen. Rache für die Ermordung von Yukis Vater und Bruder, Rache für die Vergewaltigung der Mutter durch eine Gruppe von Kriminellen. Schon nach dem ersten Auftritt der Protagonistin ist klar, weshalb Toshiya Fujitas Lady Snowblood (Shurayuki-hime) von 1973 zu einem Klassiker des japanischen Kinos geworden ist: eine ikonenhafte Präzision der Bilder, ein meisterhafter Umgang mit Farbe, eine gelungene Balance zwischen tiefer Melancholie und dem Pathos des ästhetisierten Tötens. Der Kölner Verleih Rapid Eye Movies macht Fujitas Film nun erstmals in Deutschland in angemessener Qualität, auf Blu-Ray, verfügbar.

Zu Beginn verschränkt Lady Snowblood die Gegenwart Yukis mit der Geschichte der Mutter, die einen der Mörder noch selbst umbringen konnte. Kurz darauf wird sie jedoch verhaftet und muss die Rachearbeit an die Tochter übergeben. Erzählt wird all das in einer Folge von Zeitsprüngen, die durch unterschiedliche Stilmittel gegliedert werden. In den Rückblenden greift der Film auf Zeichnungen und historische Fotos zurück und gibt über den Off-Kommentar und in Standbildern Hintergrundinformationen. Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen schließlich im Rachefeldzug Yukis an den drei verbliebenen Peinigern der Mutter.

Meiko Kajis Verkörperung von Yuki knüpft an frühere Rollen der Schauspielerin an, in denen Kaji als Gangleaderin, Outlaw und Gefangene jugendliche Coolness und den Geist der Rebellion der späten 1960er Jahre verkörperte. Kaji spielt Yuki als nüchtern-berechnende Killerin, und so sehr ihre Verkörperung den Film insgesamt trägt, so fügt sie sich zugleich ein in die Geschichte, die die Rache der Tochter für das Leid ihrer Mutter als Naturgewalt zeigt.

Wie Yukis Handeln von ihrer Mission, die drei verbliebenen Peiniger zu töten, bestimmt ist, so werden die wiederkehrenden überwältigenden Naturaufnahmen gebändigt von einem strengen Farbregime. Toshiya Fujita und Kameramann Masaki Tamura betonen das Wogen der Handlung durch den Wechsel zwischen einerseits vielfarbigen Landschaftsaufnahmen oder Stadtszenen, in denen Erdtöne dominieren, die nur Yukis leuchtende Kimonos hervorstechen lassen, und andererseits den Szenen des Tötens, in denen leuchtendes Weiß und Rot aufeinandertreffen.

Lady Snowblood basiert auf einem Manga von Kazuo Koike, der gemeinsam mit Kazuo Uemura auch das Drehbuch zum Film schrieb. Regisseur Toshiya Fujita hatte zuvor für das in die Krise gekommene Nikkatsu-Studio eine Reihe von Filmen gedreht, die zwischen Halbstarkenfilm und Softporno lagen. Lady Snowblood entstand außerhalb des japanischen Studiosystems mit minimalem Budget. Wie in den USA oder Italien bot das Exploitation-Kino in Zeiten der Krise für viele große Produzenten auch in Japan die Möglichkeit, formale Experimente mit Genre-Elementen zu verbinden. Auch Fujitas Filmvereinigt Genreelemente und einen ausgeprägten Gestaltungswillen in sich. Nach der Fertigstellung wurde der Film vom japanischen Studioriesen Toho in den Verleih genommen.

Quentin Tarantinos Verneigung vor der Tradition des japanischen Exploitation-Kinos in den beiden Teilen von Kill Bill (2003/04) griff unzählige Versatzstücke des Films auf und der Soundtrack, zu dem auch Meiko Kajis Titelsong zu Lady Snowblood gehörte, führte zu einer Wiederentdeckung von Kaji als Sängerin. Letztlich hat Lady Snowblood dank Tarantino seinen Platz in der Filmgeschichte gefunden, neben Klassikern des B-Kinos wie Django oder Foxy Brown, die das Kino in den 60er Jahren neu erfanden und die ebenfalls Material zur Wiederaneignung für Tarantino boten.

Info

Lady Snowblood (Shurayuki-hime) Toshiya Fujita Japan 1973, 102 Min., PAL, Sprache: Japanisch, UT: Deutsch, Blu-Ray bei Rapid Eye Movies.

Arte zeigt den Film am 2. November

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