Juden im Iran

Dekonstruktion Dalia Sofers Roman "Die September von Schiras" führt zurück zur iranischen Revolution von 1979

Es geschah an einem Teheraner Herbsttag. Es war noch hell, als zwei bewaffnete Männer die Hauptfigur des Debütromans der aus dem Iran stammenden New Yorker Autorin, Dalia Sofer, verhaftet haben. Das Buch trägt den Titel Die September von Schiras. Diese wunderschöne Stadt im Süden Irans spielt eine große Rolle im Schicksal des Verhafteten. Er heißt Isaac Amin. Wie sein Vorname verrät ist er Jude. Sein Nachname deutet an, dass er ein vertrauenswürdiger Geschäftsmann ist. Wenn man einen Blick auf seinen Terminkalender und die Eintragung "Hrn N. wg. Perlen anrufen" wirft, stellt man fest, dass er kein einfacher Geschäftsmann, sondern ein erfolgreicher Juwelier ist.

Auf der ersten Seite erfährt man, dass sich die Geschichte des Romans unmittelbar nach der so genannten "Islamischen Revolution" von 1979 im Iran abspielt; genauer gesagt: am 20. September 1981. All diese konkreten Angaben auf der ersten Seite schüren die Vermutung, es handele sich um eine authentische Geschichte. Das ist aber ein falscher Eindruck. Denn die ausführlich geschilderte Haltung der bewaffneten Männer, ebenfalls auf der ersten Seite, richtet sich nach dem westlich anmutenden Auftritt der Kommissare à la Sherlock Holmes und nicht dem der revolutionären Passdaran im Iran: "Wir kommen im Auftrag der Revolutionswächter" Das Vokabular und die Ausdrucksweise der "Beauftragten" lässt ebenfalls nicht auf Authentizität schließen: "Du bist verhaftet, Bruder"! Abgesehen davon, dass solch eine filmreife Aufführung der Realität nicht entspricht, passt diese Attitüde nicht zu den Charakteren der Revolutionswächter und ihrer "Männer".

Was diese Wächter gerade ausmacht, ist, dass sie Konventionen und Bestimmungen jeglicher Art (auch Regeln bei der Inhaftnahme) verachten und ablehnen. Sie fühlen sich niemandem gegenüber verpflichtet, irgendwelche Erklärungen abzuliefern. Besonders, während sie ihre geladenen "Gewehre auf Isaac gerichtet" haben und geschwind auf ihn losgehen. Ihre Waffe ist ihre Visitenkarte. Das höchste Gebot der Revolutionswächter, wie die Autorin später auch schildert, lautet: Willkür und Erniedrigung. So rufen sie ihr "Opfer" auch nicht "Bruder". So nennt man einen Mitbürger, der zur religiösen Gemeinschaft der Muslime - Omaat - angehört. Die iranischen Juden werden unter der Kategorie "Mellat" eingeordnet; einfaches Mitglied der iranischen Gesellschaft mit seinen Rechten und Pflichten. Arash Abaie, Vertreter der jüdischen Gemeinschaft im staatlichen Institut für Religions-Dialog im Iran und Gründer des jüdischen Monatsmagazins Bina, erklärt die Verbundenheit der Juden mit diesem Land so: "Volkshistorisch sind sie weltweit die ältesten und beständigsten Juden. Sie leben seit dem König Kyros II. (539 v. Chr.) in den Gebieten des heutigen Irans ... Man könne den Iran also weltweit als die zweite jüdische Heimat bezeichnen."

König Kyros erlaubte sogar per Verordnung die Rückkehr der Juden in ihre Heimat und gab ihnen die in Babylon geraubten Wertgegenstände wieder zurück. Erst unter den Safawiden und mit der Entstehung des schiitischen Klerus (1501-1736) ging der Stern der Glückseligkeit der Juden in Persien allmählich unter. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts und mit dem steigenden Einfluss des Westens verbesserte sich ihre Lage in Persien wieder. Ende der siebziger Jahre lebten im Iran mehr als 100.000 Juden. Seit dem Sturz der Pahlavi-Dynastie im Februar 1979 haben sich bis zu 70 Prozent der iranischen Juden für die Diaspora entschieden, hauptsächlich in den USA und Europa. Gründe der Auswanderung: Repressalien des Islamischen Regimes, insbesondere in der ersten Dekade der Machtübernahme, dann der Iran-Irak Krieg (1980-1988) und schließlich die Wirtschaftssanktionen. Soziales Elend und eine fehlende Demokratie waren und sind nicht nur für die iranischen Juden, sondern auch für viele Iraner Gründe genug, um auszuwandern.

Isaac Amin, der vermögende Jude und die Hauptfigur des Romans, gehört auch zu der Gruppe von Auswanderern. Er wird im ersten Kapitel mit dem Vorwurf "Spionagetätigkeit für die Zionisten" verhaftet. Im 36. Kapital wird er nach etwa einem Jahr frei gelassen. Er erkauft seine Freiheit mit seinem ganzen Ersparten von einem Revolutionswächter: "eine großzügige Spende zur Unterstützung der Revolution". Im 47. Kapitel verlässt er das Land mit seiner Frau und kleinen Tochter, nachdem er einen Menschenschieber mit viel Geld "zufrieden stellt" und sein Haus einem "bösen" Angestellten "unentgeltlich" überschreibt. Er hat nur ein paar "Steine" in der Tasche, als er über die Türkei bei Nacht und Nebel flüchtet: Diamanten in einem kleinen Säckchen.

Zwischen den ersten und 47. Kapiteln erzählt die im Alter von zehn Jahren in die USA geflüchtete Dalia Sofer einfühlsam und ausführlich von Folter, menschenunwürdiger Situation in islamischen Kerkern, von Hinrichtungen und Repressalien der islamischen Regierung. Sie schildert auch die Schicksale der Familie Amins im noblen Viertel Teherans, Niyavaran, und in Brooklyn, wo der Sohn Parviz studiert und seinen Trost in der jüdischen Gemeinde findet. Die spannend erzählten Kapitel, die sich im Gefängnis abspielen, lösen sich stets mit Teilen ab, die sich auf die Beschreibung des Alltages und kraftloser Dialoge in der Außenwelt der Figuren beschränken. So wandelt sich abwechselnd auch die anfänglich als Polit-Krimi konstruierte Geschichte in eine Art psychologischen Text. Natürlich leidet die Spannung unter dieser Verzerrung. Bei dieser sukzessiven Dekonstruktion bleibt ein nichtintegrierter Rest aus Psychologie, moralischer Botschaft und Sozialdiagnose: Da redet und denkt Issac allmählich wie ein Altmeister der Philosophie und die Ehefrau wie seine treue Anhängerin: Beide sind Muster einer Schwarz-Weiß-Malerei der menschlichen Seele. Demnach trübt nicht einmal ein Hauch von Boshaftigkeit ihr Gemüt, obwohl sie gleichzeitig der Boshaftigkeit der Menschen in ihrer Umgebung vollkommen ausgeliefert sind, und zwar, das ist die Begründung der Autorin, einfach weil sie Juden sind.

Dalia Sofer: Die September von Schiras. Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth. Hanser, München 2007, 333 S., 19,90 EUR


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