Nun will also der Okzident "den neuen Orient" entdecken. So muss man es wohl sehen, dass eine Kunstgalerie sich einmal nicht um politische Aspekte oder geschichtliche Rückblicke kümmert, sondern nur um das Aufspüren der zeitgenössischen Kunst aus dem Morgenland. In diesem Sinne präsentiert die Kölner Galerie Zeugma Werke von fünf Künstlern: 14 beeindruckende Gemälde des türkischen Altmeisters Osman Polat (1948-2005), Bilder des 1970 in Ostanatolien geborenen Malers Ali Zülfikar, 18 Werke des 52-jährigen Syrers Bahram Hajou, der sein Handwerk an der Kunstakademie Münster gelernt hat, Bilder des 1959 in Baku (Aserbaidschan) geborenen Mamedov Schachpelenk und 19 Skulpturen und Objekte des in Alma-Ata (Kasachstan) geborenen, 64-jährigen Bildhauers Roman Manevitch, der in seiner künstlerischen Karriere hauptsächlich verschiedene Großplastiken für sowjetische Städte realisiert und sich damit in der russischen Kunstszene einen Namen gemacht hat.
So bunt die kulturellen Ursprünge der Künstler sind, so unterschiedlich sind auch ihr Stil und ihre Ausdrucksformen. Diese unterscheiden sich ebenfalls von der Art der Darstellung der westeuropäischen Künstler wie Delacroix, Ingres und Matisse, die im 19. Jahrhundert den Orient entdeckten, dorthin reisten, um sich und ihre Imaginationen von dieser Kultur beleben zu lassen. So malt Matisse etwa Bilder wie Statuette und Vase auf orientalischem Teppich (1908) und Früchte und Bronze (1910), in denen die orientalischen Teppiche mit ihren bunten und leuchtenden Mustern beinahe die ganze Leinwand füllen. Das Bild Arabisches Kaffeehaus (1913), das eine besondere Ruhe und Klarheit ausstrahlt, zeigt, dass die reale Welt des Orients nicht nur den Maler beeinflusst hat, sondern auch seine Kunst. Denn dieses Meisterwerk weist unübersehbar große Ähnlichkeiten mit der Miniatur des iranischen Meisters des 16. Jahrhunderts Aga Resa Der Herrscher und sein Mentor, auf. Matisse dürfte dieses Bild 1913 noch vor seiner zweiten Marokkoreise in Paris auf der Ausstellung im Museum der dekorativen Kunst gesehen haben.
Das Orientbild des artistischen Quintettes, das in der Galerie Zeugma ausgestellt ist, unterscheidet sich noch von dem orientalischen Trendbild, das sich in den neunziger Jahren durch die Werke der berühmten iranischen und arabischen Künstler wie Shirin Neshat, Kaveh Golestan und Nadine Toumas entwickelt hat. Ihre Werke sind vor allem von den kulturell authentischen Elementen wie Ssols-Kalligraphie, Tschador, Kufi-Schrift und klassischen Gedichten der namhaften Dichter aus dem Abendland gekennzeichnet. Die Darstellung des "neuen Orients" in der Galerie Zeugma ist stilistisch eher von den modernen westlichen Kunstströmungen geprägt. Thematisch setzen sich die fünf Künstler sowohl mit den universellen Themen als auch mit den orientalisch anmutenden Leitgedanken auseinander. Vor allem die meist verwendeten Materialien in einigen Werken und die Farbauswahl markieren die orientalische Grundprägung neben der individuellen Handschrift der Künstler.
Der vor kurzem verstorbene türkische Maler Osman Polat, der sich inhaltlich ausschließlich mit dem Ursprung der Natur und der Welt beschäftigt hat, stellte nicht nur selbst die verwendeten Farben aus Pflanzen her, sondern demonstrierte auch durch bestimmte Farbtöne seine von der Religion geprägten Grundgedanken. Besonders strahlt ein leuchtendes, intensives und reines Blau, das für islamische Malerei und Architektur charakteristisch ist und seinen Werken eine besondere räumliche Tiefe verleiht, seine philosophisch-orientalische Auffassung aus. Durch den Bildaufbau erzielt Polat jene rhythmische Gestaltung und Komplexität, die er der Natur zuschreibt. Um die Unermesslichkeit der Schöpfung zu huldigen, verteilt und verschiebt er formfreie und kontrastreiche Farbflecken als Symbol des Ursprungs auf der Oberfläche seiner abstrakten Bilder. Die hellen Kantenstreifen, die mit ihrem lebendigen Rhythmus das monumentale Ornament in seinen Werken durchbrechen, deuten merklich die Geheimnisse der Natur an.
Die figurativen Bilder des türkischen Künstlers Ali Zülfikar ergründen die Geheimnisse der Natur auch im Material. Denn er malt seine Gemälde mit Wollfarben und selbst entwickelten pflanzlichen Farbstoffen nach orientalisch-traditionellen Rezepten, um eine besonders leuchtende Farbkraft der Erd-Töne zu erreichen. Er klebt außerdem Stücke herkömmlicher Kelim-Teppiche mit ihren geometrischen Ornamenten in die Bilder hinein und verarbeitet ostanatolischen Sand, damit seine Figuren - meistens westlich gekleidete Mädchen mit Turnschuhen, die die Ferne beobachten - an Flächigkeit gewinnen und nicht mit dem Hintergrund verschmelzen.
Der Verlust der Heimat, nach der sich die Figuren Zülfikars sehnen, ist zwar groß, aber nicht erdrückend. Bedrückt wirken aber fast alle Menschen, die der syrische Maler Bahram Hajou mit sparsamsten künstlerischen Ausdrucksmitteln gestaltet. In seinem Streben nach höchster Expressivität variiert Hajou neue Themen immer wieder in alten Gestalten von sich selbst und von seiner Frau. Die statische Ruhe in den Bildern vermittelt er nicht nur durch seine zum Betrachter gerichteten Figuren, sondern auch durch die akkurat aufgetragenen, dunklen Farben. Im Bild Mann (2004) setzt er sich mit dem von der orientalisch-patriarchalischen Kultur geprägten Begriff "Männlichkeit" kritisch auseinander: Vor einem leeren und lichtlosen Hintergrund sitzt ein Mann im Spagat und starrt gebannt auf sein Glied. Die dekorativen, dunklen Farbnuancen lassen das räumliche Erscheinen des Mannes flach wirken, als ob er ein Schattenbildnis wäre. Nur das Sinnbild seiner Männlichkeit füllt das Zentrum des Bildes. Offensichtlich hat er sonst nichts anderes zu bieten.
Am wenigsten "orientalisch" wirken in dieser Ausstellung die impressionistischen Werke des Aserbaidschaners Schachpelenk und die Objekte des experimentfreudigen Bildhauers Manevitch aus Kasachstan. Dieser arbeitet mit unterschiedlichstem Material: Bronze, Granit, Stahl und Holz. Er sucht seine Themen in der Geschichte (Spartakus, Stalin, Lenin), in den Realitäten des Lebens (Putzfrau, Bär mit Fisch) und im Zauberreich der Phantasie (Geheimnis, Mutter Erde), die durchaus mit den Komponenten der westlichen Moderne versehen sind. Insofern entdeckt der Okzident in dieser Ausstellung nicht nur "den neuen Orient", sondern begegnet auch sich selbst aus dem Blickwinkel des Orients. Könnte das die beiden nicht verbinden?
Kunst des neuen Orients. Galerie Zeugma, Köln. Noch bis zum 5. Oktober
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.