Reif wie Blut

Iran Mahmud ­Doulatabadis düsterer Roman „Der Colonel“ erzählt eine ­Geschichte des Iran, der reif wie Blut ist. Sie beginnt mit ­einem Schlag an die Tür, der ­das Geräusch des Klagens unterbricht

Seit kurzem ist der jüngste Roman des bedeutendsten Schriftstellers Irans, Mahmud Doulatabadi auf dem Buchmarkt: Der Colonel">Der Colonel. Das Besondere daran: Das Buch ist nicht in seiner persischen Muttersprache und im Iran veröffentlicht worden, sondern auf Deutsch und in der Schweiz: Der Colonel wartet seit fast einem Jahr auf die Genehmigung der Zensurbehörden in Teheran. Vergeblich. Vor rund sieben Monaten hat der 73-jährige Autor in einem Interview die Verantwortlichen im „Ministerium für islamische Aufklärung“ öffentlich gebeten, „dass die Behörde Gnade zeigt und die Veröffentlichung der anderen Interpretation über die iranische Revolution und den Krieg zulässt.“ Die Zensurbehörden haben bis dato keine „Gnade“ gezeigt und deshalb ist Doulatabadis Interpretation von der jüngsten Historie Irans im Ausland erschienen. Das bittere und finstere Schicksal eines Colonels der Schah-Armee ist die Haupthandlung der Geschichte. Der Colonel ist kein typischer Offizier, der blind alle Befehle seiner Vorgesetzten ausführt. Wenn er diese mit seinem Gewissen nicht vereinbaren konnte, hat er rebelliert. So befielt ihm sein Gewissen zum Beispiel Mitte der siebziger Jahren, sich an der Niederschlagung eines Aufstandes in der Provinz Dhofar im Staat Oman am Persischen Golf nicht zu beteiligen.

Eine Fahnenflucht

Diese Mission hatten Großbritannien und die USA eigentlich dem Schah-Regime zugedacht. Das habe mit seiner eigentlichen Aufgabe, der Verteidigung der Souveränität seiner hoch gelobten Heimat, seines „Mutterlands Irans“ nichts zu tun, argumentiert der Offizier. Ein gewissenhaftes und kluges Argument; für die Machthaber aber eine „Fahnenflucht“. Er wird mit dem Gefängnis bestraft. Der Colonel ändert aber seine Meinung nicht. Leidend bleibt er stur, kompromisslos aber „anständig“, bis zu seinem letzten Atemzug.

Doulatabadi erzählt in diesem 218-seitigen Roman nur 24 Stunden des Lebens ­dieses Offiziers, packt aber in ihn die wichtigsten Momente der gegenwärtigen ­Geschichte Irans. Ein historischer Alptraum, ein zerrissenes Familientableau, eine ganz undistanzierte und unreflektierte Betrachtung der Geschehnisse mit einem aufklärerischen Anspruch ist das Ergebnis.

Die Geschichte fängt damit an, dass jemand heftig an der Haustür des Colonels anklopft; ein schicksalhafter Schlag, der etwas Unheilvoles andeutet und „das Geräusch des Regens“ durchbricht. Der Colonel wird von den Vertretern der Staatsanwaltschaft aufgesucht, um die Leiche seiner von den Revolutionswächtern hingerichteten Tochter zu begraben. Während der Colonel durch die Nacht irrt, um ihre Bestattung zu organisieren, erinnert er sich an die grauenvolle Vergangenheit, an das Schicksal seiner Kinder und an gescheiterte Versuche der Unabhängigkeitsbewegung im Iran.

Da ist der verrückte Sohn Amir, der als Anhänger der kommunistischen Tudeh-Partei unter dem Schah-Regime schwer gefoltert wird und sich nun vor Angst in einem Kellerraum versteckt. Da ist der SAVAk-Geheimdienstler und Amirs Folterer, der nach der Revolution im Jahre 1979 bei ihm Zuflucht sucht. Da ist die Tochter Parwaneh, eine Anhängerin der Volks-Mudschahedin, deren Mord auf das Konto Khazar Djavid geht.

Der älteste Bruder Mohammad Taghi gehört der kommunistischen Organisation Volks-Fedajin an und wird während eines Aufstands getötet. Der jüngste Sohn Masud wird Kanonenfutter und gleichzeitig Märtyrer im iranisch-irakischen Krieg (1980-1988). Die ältere Tochter, Farzaneh, ist eine unmündige Ehefrau, die mit einem opportunistischen Funktionär verheiratet ist.

All diese Figuren und noch einige andere dienen Doulatabadi dazu, in einer Familienkonstellation über Gewalt, Religion, Elend und Politik im Iran zu erzählen. Hier ist nicht nur die Stimme des Autors aus der Vogelperspektive zu hören; fast alle Figuren kommen zu Wort und erzählen ihre Geschichten ergänzend aus ihrem eignen Blickwinkel.

Diese Vielstimmigkeit erleichtert es, die Charaktere und Geschehnisse nachzuvollziehen. Nur der Mutter wird die Möglichkeit vorenthalten, ihre eigene Interpretation von ihrem Schicksal zu schildern. Sie wird aus der männlichen Sicht des Erzählers als eine Prostituierte ohne Moral und Anstand dargestellt, die die Ehre der Familie be­schmutzt und einen grausamen Tod verdient. Sie wird tatsächlich auch mit unzähli­gen Messerstichen umgebracht – von dem Colonel. Der Sohn Amir schaut zustimmend und tatenlos zu; es ist auch seine Ehre, die verletzt worden ist.

Die ungeöffnete Melone

Ehrenvoll aber erduldet der Colonel sein bitteres Schicksal, das als unheilvolle Geschichte einer Generation dargestellt wird; die Generation des Colonels, die unfähig war, ihre historische Erfahrung der nächsten Generation zu vermitteln: „Die Geschichte glich einer noch nicht aufgeschnittenen Melone, über deren Qualität man Wetten abschließen konnte. Die einen behaupteten, die Melone sei kahl wie Seife, und die anderen meinten, sie sei reif, wie das Blut. Und niemand besaß ein verlässliches Messer und genügend Mut und Kraft, um die Melone aufzuschneiden. Also blieb die Geschichte verschlossen, bis sie verfaulte und verdarb.“

Verderben, Tod, Wahnsinn, Folter, Verzweiflung, Resignation und Qual. Mit diesen düsteren Linien markiert der Altmeister der iranischen Literatur die Umrisse der gegenwärtigen Geschichte seiner Heimat. Die Haltung seiner Hauptfigur: Den Kopf hochhalten! Vielleicht ist das auch die Haltung der meisten Demonstranten, die in diesen Tagen im Iran immer noch gegen den Wahlbetrug auf die Straße gehen.




Mahmud Doulatabadi, aus dem Persischen und mit einem Nachwort von Bahman Nirumand. Unionsverlag, Zürich 2009, 224 S., 19,90

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