"Der Tag wird kommen, an dem alles, alles gut wird", schreibt ein junger iranischer Blogger in seinem virtuellen Tagebuch auf Persisch. Das klingt wie ein Dialog aus einem schlechten Hollywood-Film, der Satz markiert aber den Tenor des ersten Buches von Nasrin Alavi. Denn er verrät zwar etwas über die optimistische Grundhaltung der im Iran geborenen Autorin, die nach dem Studium in London in den neunziger Jahren an britischen und nordamerikanischen Universitäten lehrte. Das bedeutet freilich nicht, dass Alavi bei der Auswahl von Texten aus der jungen iranischen Weblog-Szene, die sie zusammengetragen hat, nur die hoffnungsvollen Einsichten ausgesucht hätte. Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs ist nämlich auch ein Buch voller Bitterkeit, Verzweiflung, Resignation und ein Zeugnis der allgemeinen Unzufriedenheit.
Das liegt vor allem an seinem Aufbau. Auf der einen Seite werden die wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Ereignisse im Iran gestern und heute aufgelistet. Mit herber Enttäuschung sprechen Iraner über diese für das Land und die Region wichtigen Geschehnisse, die sich immer wieder gegen sie wendeten. Sie markieren dennoch die unstillbare Sehnsucht einer Nation nach Demokratie, Unabhängigkeit und menschenwürdigen Lebensverhältnissen: Die konstitutionelle Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts, der CIA-Putsch im Jahr 1953, die islamische Revolution 1979, der von der US-Regierung unterstützte achtjährige Krieg zwischen Iran und Irak von 1980 bis 1988, die islamische Reformation, für die sich Ex-Präsident Chatami von 1997 bis 2005 eingesetzt hat, um nur einige markante Daten zu nennen. Alavi schildert diese zunächst selbst und belegt oder ergänzt sie dann mit den Kommentaren und Interpretationen der Weblogger.
Weblogs, die erst vor etwa fünf Jahren in persischer Sprache ins Netz gestellt wurden, sind bei den knapp acht Millionen Internet-Nutzern im Iran besonders beliebt. Diese setzen die Tradition einer Art persischer Graffiti fort, mit denen die Stadtmauern und öffentlichen Toiletten während der Revolution 1979 beschmiert waren. "Freiheitssäulen" nannten die Studenten etwa die Universitätstoiletten, auf der die Menschen freimütig das despotische Schahregime kritisierten, ohne die staatlichen Repressalien fürchten zu müssen. In dieser "angstfreien Zone" bewegen sich nun im Iran täglich die "normalen Bürger" und schreiben offen ihre regimekritischen Gedanken in etwa 64.000 Blogs nieder, ohne sich den üblichen Repressionen der Zensur ausgesetzt zu fühlen. So befriedigen sie ihre Bedürfnisse nach freier Meinungsäußerung, von der kaum eine Spur in den offiziellen Printmedien zu finden ist.
Um die rasche Verbreitung des Bloggens im Iran zu stoppen, verhaftete das Mullah-Regime vor kurzem erstmals einen Weblogbetreiber, Sina Motallebi. Dennoch haben die staatlichen Zensurbehörden keine dauerhafte Kontrolle über diese "angstfreie Zone" ausüben können. Alavi hebt besonders diese Aspekte des grenzenlosen geistigen Austausches in ihrem Buch hervor, um zu belegen, dass sich die Weblog-Szene im Iran nicht leicht einschüchtern lässt. Wo die Quelle der Widerstandskraft der einfachen Menschen liegt, kann man auch den Weblog-Einträgen entnehmen: Sie hat weniger mit Mut oder Übermut der einzelnen zu tun als mit dem tiefen und antreibenden Gefühl einer quälenden Unzufriedenheit wie die Webloggerin Atash (Feuer) in ihrem Tagebuch im Jahr 2003 schreibt. Mitten im Wahlkampf für die iranische Präsidentschaft notiert sie: "Ich habe die Nase voll von ihren leeren Versprechungen, ihrem Ekel erregenden falschen Lächeln, der Scheinheiligkeit und Lügen ... So viele Wahlplakate überall in Teheran ... Ich möchte kotzen und nirgendwo findet man einen Ort dafür ... Ich möchte kotzen, zerspringen, explodieren ... Als mein Blick auf das Plakat fiel, stand ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ich wollte meinen Schleier herunterreißen und ihn auf das Haar und den Bart des Typen auf dem Plakat kleben, sodass man nur das Gesicht sehen würde .... Ich wollte meinen Schleier gegen diesen Kopf schlagen".
Atash gehört zu den jungen Menschen, die unter 30 Jahre alt sind und rund 70 Prozent der Bevölkerung im Iran ausmachen. Sie zählt auch zum weiblichen Anteil der Studienanfänger, der im vergangenen Jahr bei 65 Prozent lag. Alavi glaubt, dass die religiösen Machthaber im Iran sie kaum länger ignorieren und auf ihre Stimme verzichten können. Denn diese Generation, so Alavi, wird letztendlich die Zukunft des Landes bestimmen.
Generationen- und geschlechterübergreifend vermitteln die Einträge in dem Buch ein buntes, liberales und hoffnungsvolles Bild von der heutigen iranischen Gesellschaft. Schnörkellos und mit einer ungewöhnlich nüchternen Sprache malt Alavi dieses Bild nicht nur an Hand politischer Themen wie der Ausschaltung gewaltloser Dissidenten, von Massenhinrichtungen und Folter, sondern auch wenn sie Fragen behandelt wie Liebe, Ehe, Verbrechen und Strafe, die Medienkontrolle und wie man sich ihr entzieht oder wie man über Naturkatastrophen berichtet beziehungsweise schweigt.
Obwohl die Themen, die in den Blogs zur Sprache kommen, sehr unterschiedlich sind, bleibt die unverwechselbare Botschaft der Autorin, die vor einigen Jahren ihre Managerinnen-Karriere in London aufgegeben hat, um bei einer NGO in Teheran zu arbeiten, immer dieselbe: Iran ist nicht nur das Land des religiösen Fanatismus. Alavi sieht dort eine potenzielle Kraft heranreifen, die sich nach grundlegenden Umwandlungen sehnt. Den Bloggern geht es nicht nur um Kleidungs- und Frisurfreiheit, sondern auch um Konzepte zur Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit, Drogen und Prostitution. Die jungen Iraner warten auf eine bessere Zukunft, schreibt der Webloger Saeededigar: "Dieses Regime hat nicht gemerkt, dass die Kinder des Iran heute ganz Kinder ihrer Zeit sind - und irgendwann, sobald sie selbst es wollen, mit eigener Stimme sprechen werden."
Nasrin Alavi: Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs - die junge persische Weblog-Szene. Aus dem Englischen von Violeta Topalova und Karin Schuler. Kiepenheuer, Köln 2005, 380 S., 9,90 EUR
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