Wahrheit oder Leben

Glaubenskampf Mit seinem Erlebnisbericht über die Zeit als junger Mullah im Iran wendet sich Reza Hajatpour gegen die religiöse Unvernunft

Alle sprechen in diesen Tagen vom Preis der Freiheit, doch Reza Hajatpour redet vom brennenden Geschmack der Freiheit. Das macht einen kategorialen Unterschied. Der Untertitel seines Erinnerungsbuches lautet: Mein Leben als junger Mullah im Iran. Dieser 1958 geborene Mann ist nun kein Mullah mehr, sondern wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Iranistik an der Universität Bamberg in Deutschland. Das relativ sichere Leben im Exil hat ihn jetzt ermutigt von Leid, Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten zu sprechen, denen er in seiner Heimat unter dem Khomeini-Regime ausgesetzt war.

Seine Entscheidung, Mullah zu werden, hatte er jedoch in den siebziger Jahren unter der Schah-Regierung getroffen. Zu dieser Zeit hatten die meisten der jungen Iraner, die aus unteren Schichten stammten, zwischen drei Alternativen zu entscheiden: entweder dem Militär beizutreten, als Arbeiter nach Kuwait auszuwandern oder sich den Geistlichen anzuschließen und mit einer Mullah-Ausbildung anzufangen. Die letzte Option war die übelste Wahl. Denn die Mullahs stießen besonders in dieser Zeit bei einem Großteil der Bevölkerung auf Vorurteile; man beschimpfte sie öffentlich als "Schmarotzer", weil sie von den Spenden und den Steuern der Gläubigen lebten und immer noch leben.

Den Sohn als Mullah zu sehen, begeisterte die Eltern des Autors auch nicht. "Das ist nicht der richtige Beruf für dich", sagte die Mutter, als ihr Hajatpour von seiner Entscheidung erzählt hatte. Bevor er etwa zwei Jahre vor der Revolution 1979 den festen Entschluss fasste, Geistlicher zu werden, beschäftigte er sich mit dem Schachspielen, dem Fußball und selbstverständlich "mit den Mädchen". Politik erschien ihm "so unverständlich und weit entfernt wie fremde Planeten".

Bald musste er aber, nachdem er seinen Mullah-Turban entgegen nahm, seine Meinung ändern und sich als symbolischer Repräsentant eines theokratischen Staates mit der Politik auseinander setzen. Hinnehmen musste er auch die Arbeit mit den Mullahs, die er "unsympathisch" fand. Er versuchte freilich, derartige Antipathien von sich zu weisen. Denn "alle Mullahs waren Soldaten des zwölften Imams der Schiiten, der sich nach schiitischem Glauben in einer großen Verborgenheit befindet und erst am Ende der Zeiten wieder zurückkehren wird, und daher verdienten sie zumindest meinen Respekt."

Nachdem aber diese "unsympathischen" Mullahs ihm Schwierigkeiten bereiteten und er im Gefängnis landete, war es nicht nur mit dem Respekt, sondern auch mit seinem festen Glauben vorbei. Ausschlaggebend war aber in diesem Prozess, dass Hajatpour feststellte, Opfer eines religiösen Machtmissbrauches geworden zu sein. Bei dieser Mullah-Intrige spielten Hajatpours sexuelle Bedürfnisse, seine Beziehung zu Frauen und die geistliche Sippe seiner ersten Ehefrau große Rollen. Hajatpour berichtet in seinem Buch facettenreich und bedrückend über seine Gefängniserlebnisse, die dunkle Spuren in seinem Leben hinterließen. Um sich von der Qual dieser bitteren Erinnerungen zu befreien, flüchtet er an die Front, wo die irakische Armee stets mit ihren schweren Panzern zu Blitzoffensiven auf iranischem Boden ausholt und dadurch unzählige Menschen und Soldaten tötet. In dieser, im wahrsten Sinne des Wortes mörderischen Situation hat Hajatpour begriffen, dass "die einzige Wahrheit das Leben ist. Nicht die Wahrheit ist das Prinzip. Sondern das Leben."

Nach der Beendigung seines Diensts an der Front beschäftigt er sich aber nicht mit dem "Leben", sondern mit der Philosophie, wohl wissend, dass die Philosophen in der Hierarchie des Mullah-Regimes kaum als religiöse Autoritäten anerkannt werden. Als ein "unbequemer" Rechtsgelehrter, der stets regimekritische Reden hielt, wird er auf seinem Weg zur theologischen Selbständigkeit immer wieder von Hizbollah-Anhängern bedroht, bis er schließlich aus der Leitung der theologischen Schule in Qom entlassen wird. Er erhielt dann keine finanzielle Unterstützung mehr.

"Es war ein langsamer Tod, der mich verfolgte. Es war der passende Augenblick, eine Entscheidung zu treffen; zwischen der Absurdität des Unmöglichen und dem Triumph des Möglichen." Eine letzte Rede gegen das Mullah-Regime und gegen die hochrangigen religiösen Machthaber machte ihm den Weg frei, zu entscheiden. "Eine Entscheidung gegen die religiöse Unvernunft, gegen die Herrschaftssucht vieler Theologen, gegen den sinnlosen Krieg zwischen Iran und Irak, gegen den psychischen und physischen Terror der Hizbollah-Kampagne ... gegen all das, was von den Menschen Heuchelei und Unterwerfung erforderte. Ich ergriff die Flucht, nicht nur vor dem ungewissen politischen Schicksal, sondern vor einem mich befremdenden Lebensgefühl".

Von diesem nachvollziehbaren Gefühl spricht Hajatpour mit einer eleganten Sprache und sehr ausführlich. Man erfährt viel von Ereignissen, die hinter den Kulissen des Machtkampfes zwischen den diversen Flügeln der Mullah-Regierung stattfanden, leider aber weniger als vom inneren Konflikt eines Menschen, der sein heiliges Gewand mit seinem unruhigen Gewissen nicht in Einklang bringen konnte.

Reza Hajatpour: Der brennende Geschmack der Freiheit. Mein Leben als junger Mullah im Iran. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, 228 S., 10 EUR


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