Viele Zeichen sprechen dafür, dass nicht nur die Politik, sondern auch die Filmlandschaft im Iran von Männern bestimmt wird, obwohl auch viele Filme bekannter Regisseurinnen in den vergangenen Jahren auf den internationalen Filmfestivals ausgezeichnet wurden: Die verborgene Hälfte von Tahmine Milani etwa in Los Angeles und Kairo; Unter der Haut der Stadt von Rakhschaneh Bani Etemad auf dem Festival in Moskau; Die schwarze Tafel von Samira Makhmalbaf in Cannes; Der Tag, an dem ich Frau wurde von Marsieh Meschkini - der diese Woche in einige deutsche Kinos kommt - in Venedig und Toronto, um nur einige Beispiele zu nennen.
Die iranischen Filmemacherinnen haben mit einer mächtigen, kulturell bedingten Sittlichkeit zu ringen: Sie übertreten mit ihrer Berufswahl die ihnen eng gesteckten Grenzen von Tradition und Moral. Schon die bescheidene Anzahl der Filmemacherinnen während des Schah-Regimes erklärte sich durch diese strengen Normen und Vorurteile. Zusammen mit Shahla Riahi und ihrem Film Mardjan, Kobra Saiidi mit Mani und Mariam gehörte Forugh Farokhzad, zugleich die berühmteste Lyrikerin des Iran, und Das Haus ist schwarz zu den wenigen international bekannten Filmemacherinnen jener Zeit. Diese Studie über Leprakranke ist eine realistisch-poetische Anklage gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit mit einer mystischen Filmsprache, die bis heute die Dokumentarfilm-Tradition des Iran prägt.
Die tendenziöse Einstellung gegenüber den weiblichen Filmschaffenden verstärkte sich zunächst nach der Revolution von 1979 durch die Islamisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse (Schleierordnung, Geschlechter-Trennung). Mittlerweile aber bewegt sich die neue Generation der Regisseurinnen in dieser Hinsicht freier.
Auffällig sind in erster Linie die Schauplätze der meisten Dokumentarfilme, die von Frauen oder über sie zuletzt gedreht wurden: Öffentliche Toiletten (Weiblich), psychiatrische Kliniken (Frauen ohne Schatten) und staatliche Krankenhäuser (Die Geburt des Todes und ...wenn ich wieder spreche). Dank der unaufwändig zu handhabbaren Digitalkameras ist die Anzahl der Dokumentationen in letzter Zeit erheblich angestiegen. Allein während des Dok-Filmfestivals Forugh (ein umstrittenes, weil nicht staatliches Festival benannt nach der erwähnten Lyrikerin und Dokumentaristin Farugh Farokhzad) wurden letztes Jahr 36 neue Filme gezeigt. Beim internationalen Filmfestival Fajr waren es immerhin 21.
Neben ethnografischen und kritisch-gesellschaftlichen Motiven widmen sich die Filmemacherinnen am häufigsten Themen wie dem Alter, dem Leben der Kunst- und Kulturschaffenden und der bilderreichen Begegnung mit der Natur. Eine poetische Art des Kommentars, die in der persischen Kultur stark verwurzelt ist, prägt den größten Teil der Werke. In dem Kurz-Dokumentarfilm von Mahnaz Mohamadi Frauen ohne Schatten etwa werden der Blick und das Lächeln einer alten Frau mit mädchenhafter Frisur zur zentralen Handlung: Fasziniert betrachtet sie einen Zeichentrickfilm im Fernsehen. Plötzlich löst sich ihr Blick vom Bildschirm und sie starrt verworren ins Leere. Nach einer Weile bewegen sich zögernd die Lippen, formen sich zu einem herzlichen und anmutigen Lächeln, das einen zahnlosen Mund zur Schau stellt. Kein Filmstar könnte das nachahmen.
Die alte Frau ist keine Schauspielerin. Sie lebt seit Jahren in einer psychiatrischen Klinik in Teheran. Ihr Blick steht für die Suche der jungen Regisseurin nach einer cineastischen Klärung der Frage nach den Grenzen zwischen Verrücktheit und Vernunft, zwischen Sinn und Wahnsinn.
Afghanistan, die verlorene Wahrheit der Regisseurin Yasmin Malek Nassr bearbeitet zwar ein ethnologisches Thema, stellt zugleich aber eine unverwechselbare Dokumentation voll Hoffnung und Poesie dar. Ganz ohne die üblichen Verweise auf Elend und Armut, Hunger und Qual stellt die Regisseurin bewusst ein anderes Bild des Landes heraus: Eine neugierige Kamera entdeckt die Schönheit der historischen Gebäude, die Faszination der Natur, den Zauber von Dichtung und Musik. Das verwüstete Land wird zum Schauplatz einer ansteckend fröhlichen Hoffnung.
Im Gegensatz zu dieser Weite ist der Schauplatz des Films Weiblich sehr verengt: Es handelt sich um eine öffentliche Frauen-Toilette in einem Park in Teheran. Dieser Ort ist Sammel- und Treffpunkt von Prostituierten und Mädchen, die von Zuhause weg gelaufen sind. Die Frauen treten einzeln ein und werden in ein intimes und unvorbereitetes Gespräch über ihr bitteres Leben, über flüchtige Freuden und enttäuschte Hoffnungen verwickelt. Der Film lebt von Spontaneität und Improvisation; der Regisseurin ist es gelungen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie nicht mehr als Filmemacherin, sondern auch als "Vertraute" der Betroffenen wahrgenommen wird, die mit ihr vorbehaltlos über ihr düsteres Schicksal sprechen können.
Düster könnte auch die Zukunft für die unabhängigen Kulturschaffenden im Iran werden, wenn die Hardliner, die vor kurzem die Parlamentswahlen gewonnen haben, den liberalen Kulturkurs der Reformer nicht mehr fortsetzen. Viele politische Zeichen sprechen dafür.
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