„Kein Fairtrade aus autoritären Ländern"

Nachgefragt Die Forderung nach gerechten Löhnen zieht allmählich Kreise. Claudia Brück erläutert den neuen Standard, der diese Art der Bezahlung bei Unternehmen voranbringen soll

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„Kein Fairtrade aus autoritären Ländern"

Foto: Nicky Loh/Getty Images

Hannes Koch: Frau Brück, in Kürze gibt es einen neuen Sozial-und-Öko-Standard für Fairtrade-Textilien. Warum war der nötig?

Claudia Brück: Früher hatten wir nur einen Standard für den Baumwollanbau. Und immer stand die Frage im Raum: Was ist mit den anderen Stufen der Textilherstellung, den Spinnereien, Färbereien, den Nähfabriken? Sollten dort nicht auch bessere Bedingungen herrschen? Der neue Fairtrade Textilstandard deckt deshalb die gesamte Produktionskette ab.

Wann können Verbraucher die ersten Textilien kaufen, die den verbesserten Regeln entsprechen?

Hoffentlich wird es nächstes Jahr so weit sein. Wir arbeiten jetzt daran, Firmen zu finden, die die strengeren Kriterien umsetzen wollen.

Nehmen wir als Beispiel eine deutsche Firma, die T-Shirts oder Jeans mit dem Fairtrade-Label anbietet. Diese lässt die Textilien in der Türkei oder Bangladesch nähen. Was muss das Unternehmen demnächst anders machen als bisher?

Das Handelsunternehmen selbst und alle seine Lieferanten müssen sicherstellen, dass die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) entlang der gesamten Handelskette eingehalten werden. Sie müssen beispielsweise nachweisen, dass Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten gewährleistet sind. In den Färbereien kann das bedeuten, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter Arbeitsschutzkleidung zur Verfügung gestellt bekommen und tragen, wenn sie mit Färbemitteln zu tun haben. In der Produktion müssen die Arbeitsplätze so gestaltet sein, dass Fluchtwege nicht verstellt sind. Und die Beschäftigten müssen das Recht und die Möglichkeit haben, über Arbeitsbedingungen und Löhne mit den Unternehmen zu verhandeln. Das schließt die Versammlungsfreiheit ein.

Gibt es Länder, in denen Firmen nicht das Fairtrade-Siegel für ihre Textilien bekommen können?

Der Standard wird nicht in Ländern eingesetzt, in denen die Versammlungsfreiheit nicht garantiert ist. In diesem Fall hat Fairtrade keine Chance gegen eine autoritäre Regierung. Hier werden wir aber alternative Programme anbieten – allerdings ohne Fairtrade-Siegel.

Claudia Brück

Claudia Brück ist geschäftführender Vorstand von Fairtrade Deutschland. Sie ist dort zuständig für Kommunkation, Politik & Kampagnen

Beinhaltet der neue Standard, dass die Beschäftigten der Nähfabriken existenzsichernde Löhne erhalten?

So soll es sein. Unternehmen, die das Siegel verwenden, müssen zusichern, Schritt für Schritt in einem Zeitfenster von sechs Jahren existenzsichernde Löhne zu zahlen. Das gilt auch für die Arbeitnehmer, die in der Fabrik keine Fairtrade-Produkte fertigen. Dieser hohe Maßstab unterscheidet uns von allen anderen Standards. Er ist uns wichtig, weil die Beschäftigten so bezahlt werden sollen, dass sie die Grundbedürfnisse ihrer Familien wie Ernährung, Kleidung, Wohnen und Mobilität decken können sowie außerdem Mittel für Bildung, Sozialversicherung und Altersvorsorge zur Verfügung haben.

Warum sollen die Firmen den höheren Lohn erst nach sechs Jahren zahlen?

Es muss schon im ersten Jahr eine erhebliche Verbesserung geben. Da aber die Arbeitskosten steigen, hängt es auch von der Nachfrage ab, ob und wie schnell die Firmen die besseren Gehälter zahlen können. Sie wollen ja weiterhin im Wettbewerb bestehen können. Wir überlegen, wie wir diesen Prozess der Annäherung an das Ziel gegenüber den Verbrauchern kommunizieren. Eventuell wird es zusätzliche Informationen an den Produkten geben, wenn die Unternehmen den Standard noch nicht komplett erfüllen.

Müssen die Löhne auch in der Baumwollproduktion sowie den Färbereien und Spinnereien steigen?

Alle Firmen in der Produktionskette eines T-Shirts, das das Fairtrade-Siegel trägt, sollen existenzsichernde Löhne zahlen. Für die Baumwolle gilt das jedoch nicht, denn dort arbeiten wir mit Kooperativen selbstständiger Landwirte zusammen. Diese profitieren vom höheren Fairtrade-Garantiepreis. So erhalten Kooperativen eine Prämie von 5 Eurocent pro Kilo Fairtrade-Baumwolle. Außerdem sind die meisten Fairtrade-zertifizierten Baumwollbauern auch Bio-zertifiziert und bekommen dadurch zusätzlich einen Bio-Zuschlag.

Beschäftigen diese Bauern keine Landarbeiter, die ebenfalls in den Genuss ausreichender Bezahlung kommen sollten?

Fairtrade bewegt sich Stück für Stück auf dieses Ziel zu. Seit Januar 2014 sind alle Fairtrade-zertifizierten Plantagen zur schrittweisen Einführung existenzsichernder Löhne verpflichtet. Auch für Arbeiter, die dauerhaft auf kleinbäuerlichen Kooperativen angestellt sind, haben wir das Ziel, existenzsichernde Löhne schrittweise einzuführen. Das wird dort allerdings viel schwieriger und langwieriger zu erreichen sein, wenn die Arbeitgeber selber in prekären Bedingungen leben. Wichtig ist, dass beide Gruppen gleichermaßen profitieren.

Warum hat Fairtrade so lange gebraucht, bis sich die Organisation zu existenzsichernden Löhnen bekannte?

Unter anderem, weil es eine langwierige, komplizierte Diskussion gibt, was ein existenzsichernder Lohn ist und wie man ihn berechnet. International existiert weder eine verbindliche Methode zur Ermittlung noch irgendeine zuständige oder allgemein akzeptierte Institution. Also muss Fairtrade hier Pionierarbeit leisten und gleichzeitig den Konsens und die Akzeptanz anderer Akteure suchen. Das ist eine erhebliche Herausforderung und Investition. Wir wenden die derzeit beste Methode an. Wir entwickeln Benchmarks für den Textilstandard für jede Region eines Landes, um das richtige Lohnniveau zu ermitteln. Und natürlich ist es für viele unserer Partnerfirmen eine hohe Hürde, die Bezahlung zu verdoppeln oder zu verdreifachen. Wir müssen viel Überzeugungsarbeit leisten. Fairtrade war übrigens die erste Organisation überhaupt, die existenzsichernde Löhne in ihre Standardbestimmungen aufgenommen hat. Auch da sind wir Pionier.

Steigen mit dem neuen Standard auch die Anforderungen an ökologische Nachhaltigkeit?

Ja. In diesem Herbst überarbeiten wir beispielsweise die Liste der verbotenen Pestizide, die nicht mehr in der Baumwollproduktion eingesetzt werden dürfen.

Fairtrade bedeutet aber nicht immer „biologisch hergestellt“?

Nein, wir bieten aber einen hohen ökologischen Standard bei konventioneller Produktion. Bestimmte, als unproblematische geltende synthetische Pflanzenschutzmittel sind im Fairtrade-System jedoch erlaubt – anders als in der biologischen Produktion.

Führt der höhere Standard dazu, dass Fairtrade-Textilien in den Geschäften teurer werden?

Das wird in vielen Fällen die Folge sein. Denn stark erhöhte Löhne und kürzere Arbeitszeiten führen zu höheren Produktionskosten. Diese müssen die Unternehmen zum Teil an die Verbraucher und Verbraucherinnen weitergeben.

Dass die Firmen in der Lieferkette den Standard einhalten, wollen sie von der Organisation Flocert kontrollieren lassen. Besuchen die Prüfer die Produktionsstätten unangemeldet?

Sie kommen sowohl angemeldet als auch ohne Vorwarnung. Wenn es um eine Prüfung der Bücher und Lohnabrechnungen geht, muss man den Besuch ankündigen. Sonst verbringt man zu viel Zeit mit dem Suchen der Unterlagen. Wollen die Kon-trolleure hingegen die Arbeitssicherheit und die Fluchtwege untersuchen, ist es ratsam, ohne Ansage zu erscheinen.

Was passiert, wenn Sie Verstöße feststellen?

In der Regel bekommt die jeweilige Firma eine gewisse Zeit, um die Missstände zu beheben. Kann sie das nicht nachweisen, verliert sie das Fairtrade-Siegel und damit die entsprechenden Aufträge.

Dieser Beitrag ist Teil des Freitag-Extra in Zusammenarbeit mit TransFair e.V.

Foto: Transfair e.v.
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