Zu Hause ist da, wo es wehtut

Rückkehr Wird Dortmund eine Straße nach Mario Götze benennen? Über das Motiv der Entwurzelung
Ausgabe 30/2016
Viele Fans können Mario Götzes Heimkehr kaum erwarten
Viele Fans können Mario Götzes Heimkehr kaum erwarten

Foto: Eibner/Imago

Für die einen ist er ein feiger Deserteur, für die anderen ein guter Junge, der sich austoben, Träumen hinterherrennen und dann wieder heimkommen darf – als gemachter Mann. Immerhin hat er das Tor zur Fußballweltmeisterschaft geschossen. Das Stimmungsbarometer schwankt.

Nachdem sich der heute 24-jährige Mario Götze 2013 medienwirksam von der Borussia aus Dortmund abgenabelt hat, kehrt er nun in den Schoß seines Heimatvereins zurück. Doch wartet die schwarz-gelbe Hemisphäre mit einem mütterlichen Lächeln und offenen Armen auf ihn? Oder mit brennenden Fackeln und frisch gespitzten Mistgabeln, gewillt, ihn über den Dortmunder Borsigplatz zu jagen? Fest steht, dass Mario Götze auf die gemischten Gefühle trifft, die sein Fortgang hinterlassen hat.

Mario Götze wurde 1992 in Bayern, genauer: im oberschwäbischen Memmingen geboren, heuerte aber bereits 2001 in Dortmund an. Er ist durch und durch Eigengewächs, kurz vor der Blutgruppe Borussia. 2010 und 2011 hat er neben seiner Karriere ein kaufmännisches Praktikum in der BVB-Geschäftsstelle absolviert. Jetzt, hat Dortmunds Paladin Michael Zorc erkannt, geht es um den „sicher nicht leichten Weg, zu seinem Heimatklub zurückzukehren“.

Das Heim- oder Rückkehren ist eine eigenartige Sache, ein Motiv in der Biografie, das starke Gefühle mit sich bringt. „Home is where it hurts.“ Die Daheimgebliebenen möchten einen zurück, man selbst will das meist nicht. Man ist ja aus guten Gründen einmal fortgegangen – zum Beispiel, weil man sich versprach, anderswo etwas Besseres zu finden. Vor allem die Altersklasse Mario Götzes ist mit dem Motiv der Entwurzelung einverstanden, wenn nicht sogar darauf aus, sich andernorts selbst zu verwirklichen, etwas Eigenes zustande zu bringen, groß rauszukommen. Daher hat die Rückkehr oft den Beigeschmack eines Rückschritts und häufig auch den von Bequemlichkeit. Waren die vorangegangenen Entscheidungen falsch – oder größenwahnsinnig? So etwas möchte man sich und anderen ungern eingestehen. Vor allem den anderen. Über Irrwege nach Hause kommen, das gehört doch in die griechische Mythologie.

Wie kommt man also wieder, wenn man sich einmal abgewendet hat? Mit von Euphorie geschwollenem Lächeln, weil es nirgendwo besser sein wollte als an dem Ort, an den man sowieso immer wieder hin kann? Oder mit gesenktem Kopf und dem Gefühl, nichts anderes zu tun, als erneut zu scheitern? Ein Heimaturlaub, alle paar Monate dorthin gehen, wo einen alle kennen, wo man die Mechanismen der Umgebung versteht – das kann einen erden. Sich dem zu lange auszusetzen, kann sich anfühlen wie Blei an den Füßen.

Zu Hause ist der Ort, an dem man wahrscheinlich am meisten erlebt hat. Das führt zu starken Verbindungen, positiven und negativen. Entweder hat man die Schnauze so voll, dass man am liebsten die ganze Stadt niederreißen würde, oder man wünscht sich, irgendwann würde eine Straße nach einem benannt. Viel dazwischen gibt es eigentlich nicht.

Normalerweise steht schon während des Weggehens der Entschluss, irgendwann wiederzukommen oder nicht. Wie sehr möchte man den Ort, der am Anfang einer Biografie steht, später wieder zum Schauplatz werden lassen? Für die einen ist es ein attraktives Langzeitziel, für die anderen die zur Heimat gewordene Hölle. Zum Glück kann man sie ja immer wieder verlassen.

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