Verträge sind einzuhalten, darauf pocht die Regierung unerbittlich, wenn es um Griechenland oder die Einhaltung des europäischen Stabilitätspakts geht. Im Streit der EU mit China um den Marktwirtschaftsstatus scheint es Angela Merkel mit der Einhaltung von Verträgen nicht ganz so genau zu nehmen.
Als China 2001 der Welthandelsorganisation beitrat, setzte sich die EU mit der Forderung durch, die Volksrepublik vorerst nicht als Marktwirtschaft anerkennen zu müssen. Die Begründung: China war noch zu sehr Planwirtschaft. Die EU wollte sich das Recht vorbehalten, Billigimporte aus Fernost mit Antidumping-Schutzzöllen belegen zu können. Das sollte Marktverzerrungen ausgleichen – aber nur für eine Übergangszeit von 15 Jahren. Genau auf dieses Versprechen berief sich die chinesische Führung, als Merkel Anfang der Woche zu Besuch in Peking war.
Die Kanzlerin flüchtet sich in den Hinweis, dass Deutschland über diese Frage nicht alleine entscheide, sondern die EU-Kommission. Formell ist das zwar richtig. Doch in Wirklichkeit versucht sie all jene deutsche Firmen zufriedenzustellen, die Groll auf Chinas billige Stahlimporte hegen. Sie weiß zugleich um die deutschen Konzerne, für die China inzwischen der wichtigste Markt ist und die einen Handelskrieg fürchten, sollte die EU den Chinesen ihren Wunsch verweigern.
Hinter den Kulissen bastelt Merkel daher an einem Regelwerk, das China zwar den Status einer Marktwirtschaft verleiht, gleichzeitig Strafzölle auf bestimmte chinesische Waren auch weiter ermöglicht – geschickt und typisch für Merkel, aber nicht ehrlich.
Auch die chinesische Seite ist erstaunt. Zwei Jahrzehnte lang war das Land gut damit gefahren, durch eine Mischung aus Protektionismus und schrittweiser Hinwendung zum Welthandel die eigene Wirtschaft vor allzu aggressiven Zugriffen aus dem Ausland zu schützen. Wenn die kommunistische Führung in Peking nun mit Verve den Marktwirtschaftsstatus einfordert, folgt sie damit selbst dem marktliberalen Mantra.
Dabei ist ungehemmter Freihandel weder im Interesse Chinas noch im Interesse der übrigen Welt. Die chinesische Führung sollte mit Merkel lieber über ein Regelwerk verhandeln, das mehr Handelsbeschränkungen vorsieht. Zugegeben: Es ist eine surreale Vorstellung.
Kommentare 7
nur wenn man davon absieht,
daß zu einer (kapitalistischen)markt-wirtschaft
ein freier arbeits-markt mit freier assoziation
der lohn-abhängig-beschäftigten in gewerkschaften, streikrecht und begehbare rechts-wege gehören,
kann man der chinesisischen ökonomie
dieses prädikat verleihen: also gar nicht.
alles andere ist mogelnde merkel/gabriel-politik.
Das ist doch ein witz! Ein land, dass der WTO beitritt, soll also um einen "status" betteln!? Da sollten sich die hohen damen und herren der westlichen WTO-länder doch mal gedanken über ihre eigenen wirtschaften machen. Denn wenn es um handel geht, verdienen sie den "status" markltwirtschaft selbst nicht. Der agrarmarkt wird bis zur völligen ausserkraftsetzung von markmechanismen von den G7-ländern verzerrt, die USA behalten sich gegen jeden und jederzeit strafmassnahmen vor, die inustrialisierungsbemühungen in der sog. Dritten Welt werden gezielt sabotiert...
Also was soll's? Die hüter der marktwirtschaft sind selbst keine "marktwirtschaften". China wird es also verschmerzen, wenn das Merkelin einen ihrer berühmten eiertänze aufführt. Früher oder später ist China so und so die weltgrösste volkswirtschaft - und wird daher viele regeln selbst bestimmen, ob es Merkelin & Co. gefällt oder nicht.
Wenn die kommunistische Führung in Peking nun mit Verve den Marktwirtschaftsstatus einfordert, folgt sie damit selbst dem marktliberalen Mantra.
Sorry, aber dieser Satz ist kompletter Unfug. Es geht um die formale Verleihung eines Prädikats, weil damit gewisse handelspolitische Vorteile verbunden sind - und nicht um eine reale Veränderung der Politik Beijings oder eine echten Hinwendung zum 'Markt'.
Beijing kombiniert Elemente aus Markt- und Planwirtschaft, um die Privatwirtschaft zur Erreichung der politisch gesetzt Planziele einzuspannen - und ist damit in den letzten Jahrzehnten ziemlich gut gefahren, deutlich besser als Staaten, die die wirklich essentiellen Fragen (z.B. Währungskurs, FDI, Bankwesen) dem 'freien Markt' überlassen haben. Das erkennen immer mehr Staaten und schwenken auf das chinesische Modell (bzw. Elemente davon) um.
Wunderbar auf den Punkt gebracht, genau diese Gedanken sind mir durch denkKopf gegangen beim Lesen des Artikels.
Es passt zu dieser Frau von anderen einzufordern was sie gerade in Europa abgeschafft hat und noch weiter demontiert.
Eine infame Scharade.
Nicht die einzige die gegen andere Staaten durchgefürht wird, siehe Russland, Ukraine. Die neueingegliederten EU-Länder, nur zum Mißbrauch.
Überfallen, zerstören, weiterziehen.
Kann mich nur anschließen. Gerade Deutschland und die EU überschwemmen afrikanische Märkte mit hochsubventionierten Lebensmitteln. Die dortige Landwirtschaft kann mit den Preisen nicht mithalten und geht zugrunde.
Deutschland verdankt seine "Exportstärke" massivem Lohndumping, wenn man den europäischen Kontext betrachtet. Die Arbeiter*innen können ein Lied von Löhnen singen, die über zwei Jahrzehnte mehr oder weniger stagnierten.
Und Merkel spielt sich als Hüterin einer Marktwirtschaft auf, die ohnehin mehr als fragwürdig ist, weil sie nur den Starken nutzt und die Schwachen ihrem Schicksal überlässt.
Vor wenigen Jahren noch wurde China als weltgrößter Importeur von Stahl gescholten, weil die Stahlpreise ins unermessliche stiegen. Damals hatte die europäische Bauindustrie zu meckern. Heute meckern halt die europäischen Stahlproduzenten.
In China ist nicht alles zum Besten bestellt. Aber die Kritik an Chinas Wirtschaftsgebaren ist mehr als verlogen und wird je nach Windrichtung immer den aktuellen Klagen irgendeines Industriezweigs angepasst.