Ein Schützenfest für die Verfassung

Eventkritik Politiker ließen sich auf der Geburtstagsfeier für das Grundgesetz nicht blicken. Sie blieben im Reichstag. Vor dem Brandenburger Tor wurde recht billig jubiliert

Man kann den sechzigsten Geburtstag des Grundgesetztes kaum unwürdiger feiern. Die Menschen, die das Grundgesetz geschrieben haben, das am 23. Mai 1949 in Kraft getreten ist, hatten zwölf Jahre einer faschistischen Diktatur durch- und überlebt. Sie haben keinen literarischen Klassiker geschaffen, kein Werk, das die Emotionen der Leser direkt anspricht. Und trotzdem eines, das die Kraft hat, den Leser zu rühren. Das Grundgesetz ist beseelt vom Wunsch nach Frieden von Freiheit und geschrieben im Geiste einer modernen Aufklärung. Seine Autoren waren weitsichtig, nicht kleingeistig. Dass das Grundgesetz heute von der Bundesregierung nicht immer in diesem Sinne ausgelegt wird, steht eigentlich auf einem anderen Blatt.

Die Bundesregierung ist jedoch Veranstalterin des Geburtstagfestes für das Grundgesetz, das in diesen Tagen sechzig Jahre alt wird. Sie hat das Fest ausgerichtet, wie sie Gesetze auslegt und ihm ein Schützenfest geschenkt. In Berlin, das sich so gern als Weltstadt gibt, konnte man am 23. Mai deutsche Provinzluft schnuppern.

Die Doppelbühne am Brandenburger Tor, das Zentrum des „Bürgerfestes“ zum Republikgeburtstag, wurde ergänzt durch Buden mit teurem Bier und schlechter Currywurst. Die Straße des 17. Juli säumten bis auf halbem Weg zur Goldelse Stände der Bundesministerien, die über ihre Arbeit informierten, vor einem bayrischen Zelt gab es Folklore.

Dass sich Politiker nicht blicken lassen konnten, weil sie im Reichstag sitzen und Horst Köhler wählen mussten, hat man genutzt, um ein lockeres Fest ohne trockene Reden zu feiern. Damit ließ sich beweisen, dass die Deutschen nicht immer so bierernst sind wie ihnen häufig vorgeworfen wird. Das ist legitim. Man hat sich leider entschlossen, die abwesenden Politiker durch Thomas Gottschalk zu ersetzen. Britta Elm macht die Bühnenmoderatorin und kündigt Gottschalk überschwänglich an, während englische Touristen vorbeikommen, die enttäuscht sind, dass ihnen der Zugang zum Brandenburger Tor versperrt ist. Elm erklärt jeden Auftritt auf der Bühne zum Höhepunkt und ermuntert das Publikum mit den Worten: „Das Wetter ist kaiserlich“ die Bundesrepublik zu feiern.

Gottschalk betritt schließlich die Bühne, verkündet, heute werde nicht an Krisen gedacht, genauso wenig wie – das sagt er später – man noch an die Wende denken mag und will noch eineinhalb Stunden Spaß haben, „bis gleich Beethoven kommt.“ Der Spaß besteht für Gottschalk darin, „Wetten, dass...“ ohne Wetten vor das Brandenburger Tor zu holen. Peter Kraus soll „Sugar sugar Baby“ playback vorführen, darf noch ein paar Sätze sagen und wird dann schnell von der Bühne gejagt, weil der nächste Höhepunkt dran ist. Das ist Gerd Klein, der mit der Bundesrepublik Geburtstag hat und dem Gottschalk gratuliert, „das hat deine Mutter ja gut geplant“. Dafür darf Klein zwei Nächte in einem Luxus-Hotel an der Ostsee verbringen. Dass das Hotel noch nicht seit sechzig Jahren zur Bundesrepublik gehört, wird hier wie später noch öfter – ups! – vergessen.

Als es um Mode geht, gibt es eine Modenschau, die die Mode seit den Fünzigern revue passieren lässt und auch das Motto „Bundesregierung presents sechzig Jahre Bulimie“ hätte tragen können. Gottschalk fragt Kai Pflaume, der in Leipzig aufgewachsen ist, ob Mode auch im Osten möglich gewesen sei. Zwischendurch treten immer wieder One-Hit-Wonder vergangener Jahrzehnte auf, die wohl nicht mehr für Konzerte gebucht werden. Die dürfen zu ihrer einzigen bekannten Nummer aus der Konserve die Lippen bewegen.

Wenig weiter trifft man die Bürgerfestbesucher beim abspannen auf den Steelen des Denkmals für die ermordeten Juden Europas.

Deutschland gibt sich billig zu seinem sechzigsten Geburtstag. Das Programm, das Gottschalks Show folgt, setzt diese Linie mit Udo Jürgens und der Band „Pur“ fort. Es ist schön, dass Deutschland sich nicht freudlos ernst feiert. Es ist schade, dass es die Mittel von ProSieben und RTL2 wählt, um so etwas wie nationale Identität bei den Bürgern zu stiften.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden