Auch die Stadt, die niemals schläft, wacht erst morgens zwischen sechs und sieben Uhr richtig auf. Es ist noch dunkel, als am nordwestlichen Ende des Union Squares sieben Menschen zwischen Zwanzig und Vierzig zusammenkommen, die sich noch nie zuvor gesehen haben. Viermal in der Woche findet hier der größte Wochenmarkt New Yorks statt.Hier steigt um, wer mit der U-Bahn aus Brooklyn nach Manhattan kommt; Straßenhändler bieten Sonnenbrillen und weiße T-Shirts mit dem roten „I love NY“-Herz an. Von alldem ist aber jetzt noch nicht viel zu sehen. Nur der Markt ist zu erahnen, die ersten Händler bauen ihre Stände auf.
Die sieben Frühaufsteher – vier Frauen, drei Männer – haben sich einander vorsichtig genähert: „Wartest Du auch auf die Yes Men?“, fragen sie einander, möglichst leise. So, als hätten sie es lieber nicht gesagt, man will keinen Unwissenden in die noch geheime Mission einweihen. Keiner von ihnen weiß genau, wofür sie hier sind. Sie haben sich in einen E-Mail-Verteiler der Yes Men eingetragen, einer Aktivistengruppe, die mit humoristischen Aktionen die Welt verbessern will.
Letztes Jahr haben die Yes Men eine gefälschte Ausgabe der New York Times in der Stadt verteilt, die auf der Titelseite das Ende des Irakkrieges verkündete, 2004 haben sie sich als Vertreter von Dow Chemicals ausgegeben und live in einer BBC-Sendung Schadensersatzzahlungen für das Bhopalunglück in Höhe von zwölf Milliarden Dollar angekündigt. Was sie dieses Mal vorhaben, haben sie noch nicht verraten, in den E-Mails haben sie nur etwas „sehr Großes, sehr Lustiges, sehr Albernes und sehr... Ernstes“ versprochen. Dafür haben sie um Unterstützung gebeten. An neun Plätzen in New York bräuchten sie am 21. September Helfer – und zwar morgens um sechs.
Eine junge Frau kommt auf die Gruppe zu. „Seid ihr alles Freiwillige?“ Als die Gruppe bejaht, fordert sie sie auf, ihr zu folgen. Sie führt die Helfer um eine Straßenecke vor einen Minibus. Dort bekommt jeder Freiwillige einen Briefumschlag mit Anweisungen. Aus dem Bus hievt eine andere Frau Zeitungen, zu jeweils hundert Stück zusammengeschnürt. Der ein oder andere ist enttäuscht, sich so früh aus dem Bett geschält zu haben, um jetzt Zeitungen zu verteilen. Das gab es doch schon mal, letztes Jahr mit der New York Times, ist das nur eine Neuauflage des alten Gags?
Nicht ganz. Statt der renommierten Times haben die Yes Men und Umweltaktivisten aus ihrem Umfeld diesmal das Boulevardblatt New York Post gefälscht. Und noch etwas ist anders: Die Times, die im November 2008 verteilt wurde, war auf den 4. Juli 2009 vordatiert. Die Artikel waren utopisch: Der Irakkrieg sei beendet, Condoleezza Rice habe sich öffentlich für ihre Kriegslügen entschuldigt, der damalige Präsident George W. Bush sei wegen Hochverrats angeklagt worden. Die gefälschte New York Post ist keine Ausgabe aus der Zukunft, sondern vom 21. September 2009. Auch die Artikel berichten nicht über Fiktives. Aber über ein für die Klatschpresse untypisches Thema: den Klimawandel.
Der war für die Post bisher kein Thema, ganz im Gegenteil, sie hält ihn für einen Mythos. „We’re Screwed“ („Wir sind verarscht worden“) lautet nun die Schlagzeile auf der Post-Ausgabe der Yes Men. Sie erscheint einen Tag, bevor UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon die Staatschefs der Welt in New York zur Reduzierung ihres CO2-Ausstoßes bewegen will – eine Konferenz im Vorfeld des großen UN-Klima-Gipfels im Dezember in Kopenhagen.
Das Titelthema der Fake-Zeitung behandelt die Ergebnisse eines Berichtes über mögliche Folgen des Klimawandels in New York, den der Bürgermeister in Auftrag gegeben hatte. Der Bericht war im Februar veröffentlicht worden, fand aber wenig Resonanz in der Presse. Andere Artikel behandeln die anstehende Kopenhagen-Konferenz, die – so die Yes Men – durch die USA zu einem „Flopenhagen“ werden könnten. Oder die alarmierte Reaktion des Pentagons auf die Erderwärmung und deren Folgen für die Sicherheitspolitik. Dieses Mal rügten die Yes Men aber nicht nur: Initiativen, die um Nachhaltigkeit bemüht sind, werden gelobt, etwa das Vorhaben der New Yorker Polizei, ihre Autos und Motorräder durch Hybridfahrzeuge zu ersetzen.
„Das hier könnte und sollte die echte New York Post sein“, sagt Andy Bichlbaum, einer der beiden Yes Men. „Der Klimawandel ist die größte Bedrohung, der die Menschheit je gegenüberstand. Er sollte in den Schlagzeilen jeder Zeitung sein, jeden Tag, bis wir das Problem gelöst haben.“ David Solnit von der Umweltschutzorganisation „Mobilization for Climate Justice West“ sagt: „Die Geschichte zeigt, dass Staatschefs erst dann handeln, wenn die Leute auf der Straße es verlangen. Und das muss jetzt passieren.“
Mit ihrer Ausgabe der New York Post haben die Aktivisten die Diskussion um den Klimawandel einer Leserschaft nahe gebracht, die sich sonst kaum damit konfrontiert sieht – sondern mehr mit Boulevard und Sensationalismus. Der reißerische Stil bedient ihr Leseverhalten. Viele Post-Leser haben erst spät oder gar nicht bemerkt, dass sie nicht die echte Zeitung in der Hand halten. Ein wichtiger Unterschied zur gefakten Times: Auf die utopischen Nachrichten fielen zwar auch einige hinein, aber die meisten sind ihnen eher skeptisch begegnet.
Es ist auch PR für ihren Film
Nebenbei machen die Yes Men mit der Aktion auch noch ein wenig Eigen-PR. Ihr FilmThe Yes Men fix the Worldkommt Anfang Oktober in den USA in die Kinos. Da schadet es nicht, im Vorfeld mal wieder in den Abendnachrichten aufzutauchen.
Hundert Exemplare verteilen die Freiwilligen am Union Square in einer Dreiviertelstunde. Dann holen sie sich neue Zeitungen, verteilen weiter. Als sie um neun zur Arbeit oder in die Vorlesung gehen, nehmen manche die U-Bahn, obwohl sie laufen könnten. Nur, um in die Gesichter der Menschen zu sehen, die auf sie hereingefallen sind.
Zu der gefakten New York Post gibt es auch eine dazugehörende Webseite. Die Zeitung als Pdf kann man sich hier herunterladen. Und ein Video der Aktion gibt es ebenfalls online.
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