Merkel 1.5

Kampagnenkritik Angela Merkel setzt im Wahlkampf auf soziale Netzwerke. Hat Obama ja auch geholfen. Kleiner Schönheitsfehler: Die Kanzlerin kümmert sich nicht um die Nutzer

Es wird zwar bald gewählt in Deutschland, aber Wahlkampf macht noch keiner. Wenigstens im Internet geht es jedoch langsam los. Die SPD gibt sich notgedrungen offensiv, der zweite Treffer für eine Suchanfrage nach "Wahlkampf" bei Google ist das Wahlkampfportal der Sozialdemokraten. Die CDU, in diesem Jahr lediglich ein Synonym für Merkel, geht die Sache schüchterner an. Unter den ersten Treffern taucht sie bei in der Suchmaschine gar nicht auf.

Dabei versucht die Kanzlerin schon seit 2006, das Internet zu nutzen. Auf ihrer Webseite richtet sie sich seitdem wöchentlich mit einem Podcast an die Deutschen. Im bisher so halbherzigen Wahlkampf versucht sie es jetzt mit sozialen Netzwerken. Barack Obama hat es ja vorgemacht. Über studiVZ, Facebook und der CDU-eigenen Plattform teAM Deutschland startete Merkel jetzt ihre Kampagne "Frag Angie". Darüber können die Nutzer der Netzwerke Fragen an sie stellen, von denen sie die beantwortet, die als Sieger aus einer Abstimmung hervorgehen. Allerdings: Fragen dürfen bei dem Spiel nur die Nutzer, die sich über das Netzwerk mit Merkel "angefreundet" und somit als CDU-Anhänger geoutet haben, denn wer mit wem "befreundet" ist, wird in den Netzwerken angezeigt.

12.000 dieser Freunde hat Merkel bei Facebook, 57.000 sind es bei studiVZ. In ihrem Profil dort gibt sie sich oben mit Werbebannern professionell und unten persönlich: Richard Wagner hört sie gern, Gustav Mahler und - schnell noch eine Ost-Band untergebracht - Karat, kann man dort lesen. In ihr Gästebuch kann man Kommentare schreiben, ein Nutzer beschwert sich darin, dass einer seiner Einträge gelöscht wurde, weil er wohl zu kritisch gewesen sei. Kritischen Diskussionen im Internet stellt sich Merkel einfach nicht, Antworten auf Fragen bei Abgeordnetenwatch verweigert sie sich konsequent.

Da ist es wieder, das Phänomen, dass etablierte Akteure, seien es Politiker oder Unternehmen, das neue Internet noch nicht verstanden haben. Interaktiv zu sein heißt im Web 2.0 auch interkommunikativ zu sein. Einseitig kommunizieren kann man mit Plakaten oder Werbespots. Die Nutzer im Netz wollen aber mitreden, auf Kampagnen reagieren und ihrerseits eine Reaktion bekommen. Und vor allem wollen sie sagen dürfen, was sie denken. Schließlich wird nirgendwo sonst die freie Meinungsäußerung so vehement und manchmal über ihren Sinn hinaus verteidigt wie im Internet.

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