"Ohnesorgs Tod hat der Stasi geschadet"

Interview Der Journalist Uwe Soukup, Autor eines Buches über den Tod von Benno Ohnesorg, im Interview über die Stasi-Tätigkeit von Karl-Heinz Kurras

Nein. Nach allem, was wir jetzt wissen, war es ja nicht die Tat eines Stasi-Mannes. Kurras war Berliner Polizist und als solcher hat er gehandelt. Dazu kommt: Die Berliner Polizei hat nicht vernünftig ermittelt und die Justiz, die Kurras zweimal vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen hat, hat nicht vernünftig geurteilt. Die Empörung über Ohnesorgs Tod war groß. Das kann man ja nicht abstreiten.

Es gibt einen Antrag auf Wiederaufnahme der Ermittlungen sowie eine Strafanzeige gegen Kurras. Sind die Chancen für eine Verurteilung heute größer als damals?

Die Tat ist jetzt 42 Jahre her. Da ist es wahnsinnig schwer, noch herauszukriegen, was wirklich am Abend des 2. Juni 1967 passiert ist. Es sind ja auch schon etliche Zeitzeugen und Tatzeugen tot. Einige Polizisten, die eigentlich etwas wissen müssen, schweigen bis heute. Ich fände es aber trotzdem richtig, wenn das Verfahren nochmal aufgerollt werden würde, weil in diesem Fall der Rechtsfrieden seit 42 Jahren gestört ist. Und wir wissen ja, mit welchen Folgen. Die Forderung, den Fall neu aufzurollen, hat Tilman Fichter schon vor zwei Jahren gestellt. Sie hat jetzt eine neue Aktualität, weil der Fall Kurras jetzt eine andere böse Färbung hat. Man muss natürlich auch sehen, dass wir uns für die Person Kurras nur deshalb interessieren, weil er eben Ohnesorg erschossen hat. Sonst wäre das eine kleine Spionagegeschichte, nach der kein Hahn mehr krähen würde.

Halten Sie es für vorstellbar, dass Kurras Ohnesorg im Auftrag der Stasi erschossen hat?

Das klingt sehr nach Verschwörungstheorie. Mein Eindruck ist, dass der Tod von Ohnesorg der Stasi mehr geschadet als genutzt hat. Denn man darf ja nicht vergessen, dass die Stasi deshalb ihren besten Mann in der Berliner Polizei verloren hat. Vom 2. Juni an stand Kurras im Blick der Öffentlichkeit. Das ist schlecht für einen Spion. Deshalb fuhr die Stasi den Kontakt zu Kurras sehr stark zurück.

Was war bedeutsamer für den Tod von Benno Ohnesorg: Dass Kurras für die Stasi arbeitete, oder dass die Berliner Polizei einen kompromisslosen Konfrontationskurs verfolgte?

Der Konfrontationskurs der Berliner Polizei ist für mich nach wie vor ein großes Rätsel. Ich bin bei den Recherchen für mein Buch auf mehrere Zeugen gestoßen, die gesagt haben, sie hätten ganz deutlich gehört, dass die Polizisten mehrmals informiert worden sind von ihren Vorgesetzen: „Die haben einen von uns umgebacht“. Inzwischen habe ich sogar noch weitere Zeugen dafür aufgetrieben. Man hat die Polizisten damit aufgeputscht. Es ist eindeutig so, dass die Polizei dadurch und durch das Abdrängen der Demonstranten vor der Deutschen Oper in die Krumme Straße die Stimmung in unverantwortlicher Weise angeheizt hat. Sie hat die Leute dann in den Hinterhof gedrängt und das Gelände abgeriegelt. Dann ist dort der Schuss gefallen. Das war meiner Meinung nach kriminell. Aber ob es Absicht war, die zu dem Schuss führte, weiß ich nicht.

Wäre die Tätigkeit von Kurras für die Stasi 1967 schon bekannt gewesen, wäre der 2. Juni dann auch zum Gründungsmoment einer ganzen Bewegung geworden?

Die Leute hätten sich vielleicht noch weniger an der DDR orientiert als sie es sowieso schon getan haben. Es war ja keine DDR-freundliche Bewegung. Was da entstand, war nicht pro-DDR, sondern es war oppositionell. Man hätte vielleicht noch klarer das Gefühl gehabt, dass die etablierten Gesellschaften im Westen genauso Scheiße wie im Osten waren. Aber geändert hätte es weder etwas an dem Tod Ohnesorgs, noch an all den anderen Dingen, die die eigentlichen Gründe für die 68er-Bewegung waren – vom Schahbesuch bis zum Vietnamkrieg.


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Uwe Soukup

, geboren 1956 in Westberlin, studierte Pädagogik. Seit 1993 arbeitet er als freier Journalist. Er war Redakteur bei der Tageszeitung Junge Welt, zuletzt als Ressortleiter Innenpolitik. Soukup ist Autor des Buches

Wie starb Benno Ohnesorg Der 2. Juni 1967 und seine Folgen

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Das Interview führte Felix Lüttge
Geschrieben von

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