Steinmeier arbeitet auch viel mehr

Staatsbesuch Politik zum Anfassen. Die Bundesregierung lädt am Tag der offenen Tür zum Rundgang durch das Berliner Kanzleramt, das Bundespresseamt und die Ministerien ein

Berlin-Mitte ist voll an diesem Samstag, den 22. August. Zu den üblichen Touristen und dem Sportpublikum des Marathons der Leichtathletikweltmeisterschaft gesellt sich eine dritte, seltenere, Besuchergruppe: die Politiktouristen. Die Bundesregierung lädt zu einem Tag der offenen Tür. Er heißt neckisch: „Einladung zum Staatsbesuch“. Dem „Staatsgast“ wird im Kanzleramt, im Bundespresseamt und in den Ministerien „Politik zum Anfassen“ versprochen.

Wer es an der Marathonstrecke und den Sicherheitskontrollen vorbei ins Kanzleramt schafft, kann darin tatsächlich einiges anfassen. Vor dem Eingang dürfen sich die Besucher auf Motorräder der Polizeieskorte setzen, daneben spielt eine Blaskapelle des Bundespolizei Orchesters. Im Foyer gibt es Staatsgeschenke von anderen Regierungschefs zu sehen. Nicht über alle scheint sich Angela Merkel gefreut zu haben: Eine DVD-Box, die George W. Bush ihr einmal mitgebracht hat, steht eingeschweißt in der Vitrine.

Bei der Arbeit mag sich die Kanzlerin allerdings nicht über die Schulter blicken lassen. Die Türen zu den Büros bleiben verschlossen. Wichtiger scheint der Kanzlergarten zu sein. Dort spielt eine zweite Blaskapelle und es gibt schwäbische Spezialitäten zu essen. Vor einem Pavillon, in dem Tassen und Schlüsselanhänger mit Kanzleramtlogo verschenkt werden, bilden sich lange Schlangen.

Gähnende Leere dagegen vor einem Stand der Bundesbeauftragten für Migration, der die Besucher über den Einbürgerungstest informiert. Kein Wunder: Einwanderer, die Deutsche werden wollen oder es geworden sind, mögen sich sonstwo aufhalten. Beim „Staatsbesuch“ sind sie jedenfalls nicht. Und so landet in den Stofftaschen mit der Aufschrift „Auf den Inhalt kommt es an“ Werbung. Der Tag der offenen Tür im Kanzleramt passt gut zu Merkels Strategie, sich ohne Programm in eine zweite Amtszeit hineinzuwarten.

Ganz anders geht es bei Frank-Walter Steinmeier zu. Steinmeier, das weiß man ja, ist eher ein ernster Typ. Der macht das alles anders und scheint auch mehr zu arbeiten als Angela Merkel. Zwar stehen auch im Protokollhof des Auswärtigen Amtes Polizeimotorräder zum Aufsitzen. Aber hier gibt es immerhin Arbeitsräume zu sehen. Abteilungen des Auswärtigen Amtes stellen sich vor. In einem halbstündigen Crashkurs können die Besucher Japanisch lernen, können Arbeitswege und Karrierechancen im Auswärtigen Amt erkunden und im „Diplomatischen Klassenzimmer“ in 15 ­Minuten Diplomaten werden.

Das ist natürlich sehr klassisch und irgendwie spießig, aber trotzdem interessant. Steinmeier lässt seine Gäste sogar in sein Büro. Das birgt nicht nur Akten und zwei Telefone, da stehen auch Bücher im Regal, gerade liest der Außenminister über den Islam. In einem Zwischenzimmer stehen, als hätte er sie zwischen zwei Treffen gelesen, die gesammelten Schriften des Kunsthistorikers Werner Spies. Man sieht, hier wirkt ein Intellektueller. Der allerdings eins nicht mit seinen Gästen teilen will: das Bad. Die Mitarbeitertoiletten bleiben den Besuchern verschlossen.

Wird der Deutschland regieren? Ein Mitarbeiter des Wachpersonals will keine Prognosen abgeben. Dem Personal, soviel lässt er durchblicken, wäre eine weitere Amtszeit der Großen Koalition nicht unrecht. „Dann müssten wir keine neuen Bilder aufhängen.“

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