Während in Großbritannien oder in den USA traditionell mit einer „spielerische Postmoderne“ experimentiert werde, herrsche hierzulande der „heilige Ernst“, sagt Architekturtheoretiker Stephan Trüby. Unter „Rechten Räumen“ versteht er vor allem den Sound urbaner und ländlicher Räume.
der Freitag: Im April 2018 haben Sie in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ einen kritischen Artikel über die neue Frankfurter Altstadt veröffentlicht. Im Jahr darauf kuratierten Sie das Heft „Rechte Räume. Bericht einer Europareise“ der Architekturzeitschrift „ARCH+“. Beide Veröffentlichungen haben heftige Reaktionen hervorgerufen. Was war der Auslöser?
Stephan Trüby: Es ist ja ein bekanntes Phänomen, dass die Überbringer von schlechten Nachrichten hingerichtet werden. In meinem Falle ging es erfreulicherweise nicht so weit. Aber durch meine schlechte Botschaft, dass die erste politische Initiative für die Teilrekonstruktion der 2018 eingeweihten Neuen Frankfurter Altstadt aus dem extrem rechten politischen Spektrum kamen, fühlten sich diejenigen aus der so genannten „Mitte der Gesellschaft“, die das Projekt jahrelang publizistisch oder politisch unterstützt haben und dann auch realisierten, in ihrer Feierlaune natürlich leicht gestört. Mit dem ARCH+-Heft zeigten wir kurze Zeit später die internationale Dimension von rechten Räumen.
Sie sind auch persönlich angefeindet worden.
Ja – aber wer im Zeitalter sozialer Medien keine Anfeindungen bekommt, muss sich vielleicht fragen, ob das Herz noch schlägt. Die Todesdrohungen waren in meinem Falle nie konkret genug für echte Sorge, zeigen aber die gesellschaftliche Relevanz von Themen wie Architektur und Stadtbild.
Was sind denn „rechte Räume“?
„Rechte Räume“ sind politisch rechts konnotierte Räume, die durch Handlungen, Nutzungen und Zuschreibungen entstehen. Diese Räume können völlig unterschiedlich aussehen. Es gibt meines Erachtens so gut wie keine „rechte“ oder „linke Architektur“ im Sinne etwa eines Stils oder gebauten Artefakts. Mit „Rechten Räumen“ ist vor allem der „Soundtrack“ von Architekturen und urbanen oder ländlichen Räumen gemeint. Aber auch die Handlungsweisen in ihnen.
Trotzdem ist Architektur doch immer politisch?
Das ist zweifellos richtig. Jedes Bauwerk entsteht in einem bestimmten politischen oder ökonomischen Kontext, der für Historiker:innen und Theoretiker:innen zu analysieren und zu kontextualisieren ist. Überspitzt gesagt: Politische Kontexte bzw. Ideologien führen zu Gebäuden, aber die meisten Gebäude sprechen in dieser Hinsicht nicht für sich selbst. Man kann nur selten politische Ideologien an Bauwerken eindeutig ablesen, dazu ist Recherche nötig.
Haben Sie ein Beispiel für eine eindeutige Verbindung von Bauwerk und Ideologie?
Ich denke, dass Inschriften in den allermeisten Fällen helfen, Bauwerke in einem politischen Kontext eindeutig zu verorten. Wenn zum Beispiel beim Palazzo della Civiltà Italiana in Romeingemeißelt steht „Ein Volk der Dichter, der Künstler, der Helden, der Heiligen, der Denker, der Wissenschaftler, der Seeleute, der Wandernden“, und wenn man gleichzeitig weiß, dass es sich hierbei um ein Zitat aus der Kriegserklärung Benito Mussolinis an Äthiopien vom 1935 handelt, dann ist diese Eindeutigkeit sicher gewährleistet. Dann spreche auch ich nicht nur von „Architektur im Faschismus“, sondern von „faschistischer Architektur“. Ich finde es übrigens sehr irritierend, dass diese Bauwerke seit einigen Jahren nicht nur als Zentrale des italienischen Modekonzerns Fendi, sondern auch immer wieder als Bühnenbild für völlig unkritische Image- und Fashion-Videos dieser Firma dienen. Oftmals unter Beteiligung von Karl Lagerfeld, der ab Mitte der 1960er Jahre bis zu seinem Tod bei Fendi unter Vertrag stand.
Die politische Rechte definiert sich vor allem durch Feindbilder. Welche Art von Architektur bekämpfen die Rechten?
Das lässt sich nicht eindeutig sagen. Es gibt eine patriotische, manchmal auch antikapitalistische Rechte, die in vielen Fällen etwas gegen moderne, zeitgenössische Architektur hat. Gleichzeitig gibt es neoliberale, libertäre, anarchokapitalistische Rechte, die manchmal genau diese zeitgenössische Architektur propagieren. Ein gutes Beispiel hierfür ist der derzeit bekannteste deutsche Architekt, nämlich Patrik Schumacher. Als Chef von Zaha Hadid Architects und Parteigänger der Österreichischen Schule der Ökonomie plädiert er für die Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus und die Einschränkung von Mieterschutzgesetzen.
Zur Person
Stephan Trüby ist Professor für Architekturtheorie und Direktor des Instituts für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGmA) der Universität Stuttgart. Rechte Räume. Politische Essays und Gespräche (288 S., 29,95 €) ist im Birkhäuser Verlag erschienen
Gibt es denn demokratische Architektur?
Genauso wie ich in den meisten Fällen nicht von einer „faschistischen Architektur“, aber von einer „Architektur im Faschismus“ spreche, bevorzuge ich von einer „Architektur in der Demokratie“ zu sprechen. „Architektur in der Demokratie“ meint vor allem Verfahrensgerechtigkeit. Wir partizipationsgeübten Menschen müssen uns allerdings an den Gedanken gewöhnen, dass Partizipationsverfahren, wenn sie direkt Architektur zum Gegenstand haben, in vielen Fällen problematisch sind. Sie stärken nostalgische Ansätze und wirken sich nachteilig auf künstlerisch anspruchsvolle, experimentelle oder auch avantgardistische Entwürfe aus.
Sind Architektur und Stadtplanung besonders anfällig für rechtes Gedankengut?
Ja, das liegt erstens daran, dass Architektur nur dann entsteht, wenn Menschen mit Macht oder Geld einen Bauauftrag erteilen. Zweitens kommt noch der Opportunismus vieler Architekt:innen hinzu, sich aus Angst vor Auftragsverlusten politisch zu äußern. Ein erfolgreicher Architekt wie der kürzlich verstorbene Schweizer Luigi Snozzi, der sich immer klar links positionierte, ist eine Ausnahme. Drittens kommt im kriegsversehrten Deutschland noch verschärfend hinzu, dass Architektur und Stadtplanung in vielen Städten zu einem Instrument geschichtsrevisionistischer Rekonstruktionstendenzen geworden sind. Das geht manchmal auch einher mit einer Diskreditierung von moderner und zeitgenössischer Architektur als „Schuldkult-Architektur“. In der Welt des Theaters oder in der Literatur wäre eine solche Schlussstrich-Mentalität unvorstellbar – in der Architektur und Stadtplanung scheint sie zu einer Selbstverständlichkeit geworden.
In der Architektursoziologie, der Humangeografie und den Kulturwissenschaften sind ihre Thesen interessiert rezipiert worden. Von Architekturkritikern und anderen Architekten haben Sie dagegen besonders scharfen Gegenwind erfahren. Viele haben sich schützend vor ihre inkriminierten Kollegen gestellt.
Ich habe auch viel Unterstützung von Architekt:innen erhalten, aber in der Tendenz ist Ihre Beobachtung nicht falsch. Eine Zeitlang habe ich in der Tat fast nur noch Vorträge zum Thema „Rechte Räume“ in Theatern, Kunstmuseen oder Universitäten gehalten – also jenseits von Architekturinstitutionen im engeren Sinne. Es war und ist noch immer eine spannende Erfahrung zu sehen, wie ein Architekturfachdiskurs auf fruchtbaren Boden jenseits der Architekturwelt im engeren Sinne fällt, also jenseits beispielsweise der Verbände.
Sie weisen auf eine Eigenart deutscher Architekturdebatten hin, die mit dem Erbe von 1968 zu hat. Inwiefern unterscheidet sich die BRD von ihren Nachbarstaaten?
Der 68er-Generation verdanken wir viele emanzipatorische Erfolge in allen möglichen Lebensbereichen – nicht zuletzt auch eine größere Sensibilität für die Grenzen des Wachstums und ein größeres Umweltbewusstsein. Im Bereich der Architektur und Stadtplanung steht diese Generation für die emanzipatorischen, aber auch die regressiven Potentiale der Postmoderne. Zu Ersteren würde ich beispielsweise partizipative Planungsverfahren zählen, ebenso diverse Versuche einer populären Architektursprache, wie sie insbesondere im angelsächsischen Raum erprobt wurde – etwa von Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour mit ihrem Buch Learning from Las Vegas. In der BRD fruchteten die subversiven, ironischen Potentiale einer postmodernen Architektursprache allerdings kaum. Hier entwickelten sich manche aus der 68er-Generation zu kulturpessimistischen Anhänger:innen einer rückwärtsgewandten „Europäischen Stadt“, einer Vorliebe für traditionalistische Fassaden und einem Hass auf die DDR-Architektur, sofern sie nicht aus der Stalinzeit mit ihren Traditionsarchitekturen kam. Der spielerischen Postmoderne, wie sie vor allem in Großbritannien und den USA praktiziert wurde und teils noch immer wird, korrespondiert in Deutschland leider vor allem der heilige Ernst einer rekonstruierten „besseren“ Geschichte. Die gebauten Ergebnisse dieses Rollbacks kann man beispielsweise am Berliner Stadtschloss, aber auch in Potsdam, Dresden oder Frankfurt am Main begutachten.
Sie unterstützen die Forderung des deutschen Gegenwartsarchitekten Arno Brandlhuber, der dazu aufruft, dass Architektur ideologischer werden müsse. Warum?
Wie Arno Brandlhuber diagnostiziere auch ich einen Wunsch vieler Architekt:innen im Deutschland nach 1945, das Thema der Ideologie aus der eigenen Praxis auszuklammern. Das ist einerseits vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte verständlich. Andererseits macht das viele Spielarten von Architektur aus Deutschland doch latent eher langweilig – im Sinne von „bereits bekannt“ und anti-experimentell. Ausnahmen wie Frei Otto und in jüngerer Zeit Werner Sobek oder Achim Menges bestätigen hier die Regel. Das Postideologische tendiert ja schon immer zum Konservatismus, denken wir etwa an Francis Fukuyama. In Rechte Räume plädiere ich daher für eine ideologisch bewusster gewordene Architektur, die ihre politisch-ökonomischen Ziele im Sinne einer besseren Gesellschaft präziser formuliert – entweder gemeinsam mit der Politik oder auch in Antithese zu ihr. Solche Projekte gibt es übrigens bereits in Ansätzen, wenn man sich Initiativen wie „Architects Declare“ anschaut, die den Klimakollaps und den Verlust der Biodiversität als die größten Probleme unserer Zeit definieren – und viele bekannte Architekturbüros als Unterstützer gewinnen konnten.
Was sagt die aktuelle Architektur über unsere Gegenwartsgesellschaft aus?
Es fällt uns offenbar schwer, ein positives Projekt einer besseren Zukunft zu formulieren. In Deutschland kann im Bereich Architektur und Stadtplanung vor allem das Projekt einer besseren Vergangenheit mittels Rekonstruktionen ausgemacht werden. Das Projekt „Bessere Zukunft“ gibt es auf gesellschaftlicher Ebene eher in der Schrumpfversion einer Verhinderung: Verhinderung der Klimakatastrophe, auch mithilfe einer Transformation des Bausektors, die überspitzt lauten könnte: weg vom Beton- und hin zum Holzbau. Hier wird es in Zukunft sicherlich auch darum gehen, diese wichtige Umorientierung zwar durchzusetzen, aber dabei nicht in das Fahrwasser zu einem rechten Heimatschutz zu geraten, der ja schon einmal zu einer „Blut und Boden“-Architektur geführt hat.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.