Wahlkampf auf Georgisch

Parlamentswahlen Werden in Tbilisi die Straßen erneuert, stehen in Georgien wieder Wahlen an. Nachdem während des heißen Augustes der Wahlkampf ruhte, wurde er nun wieder aufgenommen.

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Wahlkampf kann mitunter auch wörtlich verstanden werden. Vier Tage vor den Wahlen explodiert eine Autobombe in Tbilisis Innenstadt. Wie durch ein Wunder überleben die Insassen – der Oppositionspolitiker Giwi Targamadse und sein Fahrer – die Explosion. Es ist ein vorläufiger Höhepunkt eines für europäische Verhältnisse recht gewalttätigen Wahlkampfes. Mitte Mai wurden bei einer Wahlkampfveranstaltung im westgeorgischen Kortskheli Politiker der Oppositionspartei United National Movement (UNM) von professionellen Schlägern überfallen. Die betroffenenen Politiker der Partei des ehemaligen Präsidenten Mikhail Saakaschwili beschuldigten Energieminister Kakha Kaladse die Täter angeheuert zu haben. Dieser wies jede Beteiligung von sich und verwies im Gegenzug auf gewaltätige Übergriffe auf ihn während des Wahlkampfs 2012. Ende September kam es während einer TV-Debatte zweier Politiker zu einer Prügelei vor laufender Kamera, nachdem einer den anderen beschuldigt hatte, eine russlandtreue Linie zu fahren. Die Sendung musste abgebrochen werden. Und am 02. Oktober wurden während einer Wahlkampfveranstaltung in Gori Schüsse auf den ehemaligen Verteidigungsminister Irakli Okruashvili abgefeuert, die zwei seiner Mitarbeiter verletzten.

Doch auch andere demokratisch fragwürdige Vorfälle bestimmten den Vorwahlkampf. So wurden im März diesen Jahres intime Videos von Oppositionspolitikern online veröffentlicht. Und auch hier kam es zu Schuldzuweisungn von verschiedenen Seiten. Die einen verdächtigten die Regierungspartei Georgian Dream (GD), da schließlich die Opposition durch die Veröffentlichung verunglimpft wurde. Andere vermuten die UNM, da es während ihrer Regierungszeit unter dem damaligen Präsidenten Saakaschwili zu massiven Abhöraktionen und Videoaufnahmen von Journalisten, Aktivisten und Politikern kam. Und auch Russland wird verdächtigt, da dieses Chaos der Reputation Georgiens im Westen schaden könnte.

Geringe Überlebensrate politischer Parteien

Pünktlich zum Ende der Sommerferien begann zudem die Ausstrahlung einer Fernsehserie, die die Amtsszeit des Ex-Präsidenten Saakaschwili thematisiert. Kurz vor der Wahl 2012, die Saakaschwili aus dem Amt fegte, tauchten Überwachungsvideos aus Gefängnissen auf, die zeigten, wie die Inhaftierten auf grausamste Art und Weise verprügelt und gequält wurden. Die TV-Serie hat genau diese Vorfälle zum Thema und portraitiert Saakaschwili als koksenden Politiker, der sich gerne mit Prostituierten vergnügt. Auftraggeber der TV-Produktion ist der milliardenschwere businessman Bidsina Ivanishwili – Gründer, Financier und Hintermann der Regierungspartei Georgian Dream. Hoch oben über dem Freedom Square im Zentrum Tbilisis erhebt sich seine Mansion, die große Ähnlichkeit mit dem geheimen Hauptquartier eines James Bond-Bösewichts aufweist. Der Wert des von dem japanischem Architekten Shin Takamatsu entworfenen Anwesen soll sich auf 50 Millionen US-Dollar belaufen. Eine aktive Rolle spielt Iwanischwili im derzeitigen Politbetrieb Georgiens nicht, doch kann man sich laut des Politikexperten Dr. Ghia Nodia die GD ohne ihn nicht vorstellen. "Die Überlebensrate von politischen Parteien in Georgien ist nicht sehr hoch. Sie hängen stark von ihren Führern ab. Georgian Dream ist da keine Ausnahme. Sie wird nur von Iwanischwilis Persönlichkeit zusammengehalten – auch wenn das im Hintergrund stattfindet", so Nodia – Bildungs- und Wissenschaftsminister unter der Saakaschwili-Administration und jetziger Hochschulprofessor an der Ilia State University.

Saakaschwili selbst hat derzeit das Amt des Gouverneurs in Odessa inne, wo er die Korruption bekämpfen soll. Auf den Straßen der ukrainischen Hafenstadt äußern sich die Menschen gegensätzlich zu ihm. Eine 25-jährige lobt ihn, kann aber nicht genau sagen, welche Verdienste ihm zuzurechnen seien. Ein alte Dame lacht verächtlich und sagt, dass er bisher nichts bewirkt hätte. Und eine Mittvierzigerin kann beim besten Willen nicht zu ihm sagen, da er ihrer Meinung nach bisher nicht in Erscheinung getreten sei. Zu Beginn des Sommers kündigte Saakaschwili an nach Georgien zurückkehren, falls seine UNM die Wahlen gewinnen sollte. Stellt sich die Frage, ob das so einfach geht, hat er doch seine georgische Staatsangehörigkeit aufgegeben. Bei einer so naiven Frage eines Ausländers wird in Tbilisi nur müde gelächelt, schließlich sei das mit genügend Geld in Georgien kein Problem. Unklar ist, wie willkommen der Ex-Präsident in seiner Heimat ist. Hier gehen die Meinungen völlig auseinander. Steht er für die einen für Fortschritt, die Entwicklung einer modernen Infrastruktur und einem effektivem Kampf gegen die Korruption, haben andere die Bilder von gewaltsam niedergeschlagenen Demonstrationen, den Folteraufnahmen aus den Gefängnissen und nicht zuletzt den desaströsen Krieg mit Russland im August 2008 vor Augen. Dies betrifft vor allem die jüngere Generation, während sich die Älteren gut an die katastrophalen 1990er Jahre erinnern können, an denen Stromausfälle, Korruption und eine hohe Kriminalitätsrate an der Tagesordnung waren.

Vorteile vom Assoziierungsabkommen?

Seitdem hat sich viel in dem Kaukasusstaat verändert. Georgien verfolgt einen pro-europäischen Kurs, nimmt an NATO-Manövern teil und unterzeichnete im August 2014 ein Assoziierungsabkommen (AS) mit der Europäschen Union. Diese Orientierung Richtung europäischer Gemeinschaft äußert sich besonders augenfällig in der EU-Beflaggung vor nahezu jedem öffentlichen Gebäude. Trotzdem bleibt fraglich inwiefern sich das AS und das ebenfalls beschlossene Freihandelsabkommen mit der EU positiv auf den Alltag der Menschen auswirken kann. In erster Linie würde die EU von einem neuen Exportmarkt profitieren. Georgiens Hauptexportschlager wie Wein und Agrarprodukte treffen in der EU auf gesättigte Märkte und vor allem Frankreich und Italien hätten etwas gegen einen neuen Anbieter von Weinen auf dem gemeinsamen Markt. Positiv könnten sich ausländische Investitionen in die georgische Wirtschaft auswirken. Für Nodia ist es aber noch zu früh, um über eventuelle Effekte zu sprechen. Trotzdem sieht er auch Risiken: "Es würde Regulationen bedeuten für die wir hier noch nicht vorbereitet sind und auch ein Anstieg der Preise ist zu befürchten", so der Politikwissenschaftler.

Studierendenproteste und grüne Initiativen

Ein Preisanstieg und EU-Regularien würden einen großen Teil der Bevölkerung hart treffen. Die Armutsrate und die Arbeitslosenquote sind hoch und würden sich noch erhöhen, wenn die nicht lizenzierten Taxifahrer, die Obst- und Gemüseverkäufer oder die Großmütter, die ihre Sonnenblumenkerne am Straßenrand verkaufen, ihrem Geschäft nicht mehr nachgehen könnten. Besonders Altersarmut und das Thema der Renten sind ein Thema des diesjährigen Wahlkampfes. Alle Parteien versprechen mal mehr, mal weniger realistische Rentenkonzepte.

Andere Steine des Anstoßes sind die Bildungspolitik gegen die sich mit dem Studierendenbündnis Auditoria #115 massiver Widerstand formierte, der sich nach Demonstrationen und Besetzungen des Universitätsgeländes im Frühjahr und nach gescheiterten Verhandlungen Ende September in Zusammenstößen mit der Polizei entlud. Auch ökologische Themen, wie die schlechte Luftqualität in Tbilisi sowie die Bevorzugung von prestigeträchtigen Bauprojekten wie Shopping Malls und Hotels gegenüber grüner Initiativen in der Hauptstadt bilden die Grundlage für Bürgerproteste.

In den letzten Tagen vor den Wahlen mobilisieren die Parteien ihre Anhänger bei letzten Kundgebungen vor dem Wahlsamstag. Die Stadt ist gefüllt mit Flaggentragenden Menschen und der Hoffnung, dass die letzten Tage vor dem Votum weitgehend ruhig verlaufen werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Felix Weiß

Blogger und Journalist aus Berlin| interessiert an Osteuropa, EU-Politik und Menschenrechten | derzeit in Tbilisi/Georgien

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