Klapprige Trolleybusse poltern in der moldauischen Hauptstadt Chişinău den Boulevard Ştefan cel Mare entlang. Daneben schieben sich schwarze SUVs durch den Feierabendverkehr und an Regierungsgebäuden, Restaurants sowie der Filiale des moldauischen Mobilfunkkonzerns Moldcell vorbei. Für dieses Unternehmen war Chiril Gaburici tätig, bevor er sich einer vergleichbaren Aufgabe in Aserbaidschan zuwandte. Das war ein paar Jahre vor seiner Zeit als amtierender Ministerpräsident in der Republik Moldau, dem ärmsten Land Europas. Der kometenhafte Aufstieg des heute 38-Jährigen steht exemplarisch dafür, wie in dem 3,5 Millionen Einwohner zählenden Land Politik gemacht wird.
Nach den Wahlen im November 2014 hatte es zunächst so ausgesehen, als ob die proeuropäische Koalition aus der Liberal-demokratischen Partei, der Demokratischen Partei und den Liberalen mit dem von Brüssel favorisierten Iurie Leancă als Premierminister im Amt bleiben würde. Christoph Heusgen, außenpolitischer Berater von Kanzlerin Angela Merkel, flog Anfang Februar 2015 nach Chişinău, um die proeuropäischen Parteien auf eine Fortsetzung des EU-Kurses einzuschwören und eine Kooperation mit der Partei der Kommunisten Moldaus zu verhindern. Allen Zusagen seiner Gesprächspartner zum Trotz kam es wenig später im Parlament zu einem Misstrauensvotum, bei dem Leancăs Kabinett die Mehrheit verlor. Es roch nach einem parteiinternen Putsch, den Leancăs Parteigenosse Vlad Filat eingefädelt hatte – ein milliardenschwerer Oligarch, den Leancăs Korruptionsbekämpfung gestört haben dürfte. Die Liberaldemokraten und Demokraten bildeten nun bei parlamentarischer Tolerierung durch die Kommunisten ein Minderheitskabinett und boten den weitgehend unbekannten Geschäftsmann Gaburici auf, um den Posten des Regierungschefs zu besetzen. Für die Ewigkeit ist dieses Machtkonstrukt sicher nicht gedacht. Man weiß schließlich, seit der Unabhängigkeit von 1991 wurde die Republik Moldau im steten Wechsel von proeuropäischen und pro-russischen Parteien gelenkt. Welche Interessen sich jeweils damit verbanden, ist schwer zu durchschauen.
„Die Russlandkeule wird von hiesigen Politikern gern geschwungen, um Wähler zu erreichen und sich Beistand aus der EU zu holen. Letzten Endes sind jedoch die hiesigen Politiker eine größere Gefahr für das Land als Russland“, meint ein westlicher Diplomat in Chişinău. Einen überzeugenden Beleg für diese Auffassung lieferte im Vorjahr das spurlose Verschwinden von EU-Hilfsgeldern in Höhe von einer Milliarde Euro, immerhin Kapital im Wert von 15 Prozent des moldauischen Bruttoinlandsproduktes. Über dubiose Kreditvergaben floss das Geld durch diverse Kanäle und liegt heute aller Wahrscheinlichkeit nach auf Offshore-Konten im Ausland. Gleichfalls 2014 wurde bekannt, dass – ermöglicht durch das einheimische Banken- und Justizsystem – über die Republik Moldau Gelder in zweistelliger Milliardenhöhe gewaschen wurden, die der organisierten Kriminalität sowie korrupten Einzelpersonen zugeordnet werden.
„Die politischen Akteure dieses Landes betrachten Politik als einen Wirtschaftszweig und sich selbst als Geschäftsleute“, erklärt Igor Botan von der Association for Participatory Democracy (ADEPT) die Mentalität der Machthaber. Das legitimiere seinen Verband als Bindeglied zwischen Zivilgesellschaft und Administration. „Eigentlich haben wir keine politischen, sondern nur geopolitische Parteien“, so Botan. Die Menschen müssten sich zwischen Gruppierungen entscheiden, die Moldaus Zukunft – zumindest rhetorisch – entweder in einer Annäherung an die EU oder im Verbund mit Russland sehen. Dadurch sei auch die Bevölkerung gespalten, was den Kurs des Landes angehe. Tatsächlich scheint Einigkeit nur im Urteil über die politische Klasse zu herrschen. Laut Umfragen misstrauen vier Fünftel der Moldauer so gut wie jedem Politiker. Warum gibt es angesichts dieser geballten Skepsis und Frustration keine Demonstrationen, kein Aufbegehren?
Der ADEPT-Aktivist Botan lächelt müde: „Die Menschen sind lethargisch. Viele denken, dass die EU diese Politiker unterstützt, also soll Brüssel sich auch darum kümmern, was weiter geschieht. Wissen Sie, nach den gefälschten Wahlen 2009 wurde auf die Straße gegangen und das Parlament angezündet. Aber wer kann es sich leisten, jedes Mal auf diese Weise seinem Widerstand freien Lauf zu lassen?“
Derzeit liegt das Durchschnittseinkommen bei etwa 200 Euro im Monat, so dass viele Menschen zur Subsistenzwirtschaft übergegangen sind. Auf dem Markt im Zentrum von Chișinău verkaufen Großmütter mit Kopftuch gepresstes Öl oder Samen für Radieschen und Erbsen. Viele Moldauer haben auf die schlechte wirtschaftliche Lage reagiert und das Land verlassen: Sie gehen zum Arbeiten nach Russland oder in die EU. In ländlichen Gebieten bleiben inzwischen häufig nur Großeltern und Enkel zurück. Dass dadurch ganze Dörfer aussterben können, liegt auf der Hand.
Mit Hammer und Sichel
Wie geteilt das Land ist, zeigt schon ein Blick in die Restaurants der Hauptstadt. Während das Loft, in dem viele Diplomaten verkehren, als Zugeständnis an westliche Mägen Wiener Schnitzel auf der Karte hat, besticht das Haus Kommunal durch liebevoll kultivierten Sowjetcharme und ein Kotelett Kiew. Doch gibt es auch Hybridformen, bei denen zwei Ketten gemeinsam ein Restaurant betreiben.
Nachdem sie sich für eine Pizza Diavolo entschieden hat, erzählt Maria Popova, dass sie sich entschlossen habe, in Chișinău zu leben. Sie studierte in Moskau Internationale Beziehungen und hätte in Russland bleiben können. „Ich weiß, dass es hier schwierig ist, aber es ist doch immer noch meine Heimat“, sagt die 24-Jährige. Sie engagiert sich in der Nichtregierungsorganisation Ecovisio, die für Umweltschutz eintritt. Im Vorjahr hat sie mit Freunden einen Platz im Zentrum gesäubert, begrünt und mit Bänken ausgestattet. „Wir möchten junge Leute inspirieren und ihnen zeigen, dass sie etwas ändern können, wenn sie nur wollen.“
Auf der anderen Seite des Flusses Dnjestr lebt ein junger Mann, der sich ebenfalls entschlossen hat, in seiner Heimat auszuharren – nur wird die international wie ein Pariastaat behandelt und nicht anerkannt. Andrej Smolensky lebt in Tiraspol, der Hauptstadt Transnistriens oder Pridnestrowiens, wie man an diesem Ufer des Flusses sagt. Nachdem Smolensky früher die deutschsprachigen Nachrichten von Radio Transnistrien sprach, arbeitet er heute als Fremdenführer für ausländische Touristen. Die meisten kommen aus Großbritannien, den USA und Deutschland in das knapp 600.000 Einwohner zählende Land, das weltweit wohl das einzige ist, das noch Hammer und Sichel im Wappen führt.
Smolensky scheint so etwas wie ein inoffizieller Botschafter Transnistriens zu sein. Er holt seine Kunden in Chişinău ab, gibt an der Demarkationslinie Anweisungen, wie man möglichst unkompliziert an den Grenzposten vorbeikommt, die einem keinen Stempel geben, sondern einen Zettel in den Pass legen. Er führt ins Restaurant, oder auch zu Treffen mit Politikern, wenn es sein muss.
Auf den ersten Blick unterscheidet sich die transnistrische Hauptstadt Tiraspol nur wenig von Chişinău. Die vielbeschworene Verbundenheit mit der sowjetischen Vergangenheit nimmt sich bei genauerer Prüfung bescheidener aus als erwartet: eine Lenin-Statue vor dem Parlament, gegenüber ein Mahnmal zur Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg inklusive Panzer und orthodoxer Kapelle. Und neben großflächigen Plakaten, auf denen Transnistrien den 25. Jahrestag seiner Unabhängigkeit feiert, fällt stets das Sheriff-Logo auf. Gegründet Anfang der 90er Jahre von zwei ehemaligen Milizionären, ist der Sheriff-Konzern heute im Groß- und Einzelhandel tätig. Außerdem gehören dem Unternehmen Tankstellen, eine Mobilfunkfirma, der Fußballverein FC Sheriff Tiraspol nebst Stadion und – wie böse Zungen behaupten – auch ein Teil der Regierung.
Anatolij Dirun steht diesem Machtzentrum auch deshalb kritisch gegenüber. „Die Interessen der Mittelschicht werden von dieser Regierung nicht vertreten. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter“, sagt der 36-jährige Politiker. Neben einem „unprofessionellen Wirtschaftsmanagement“ beklagt er, dass derzeit etwa ein Drittel des Gehalts von Lehrern, Ärzten und anderen Staatsangestellten einbehalten werde. Eigenständig lebensfähig wäre Transnistrien ohnehin nicht. „Ohne die Hilfe Russlands hätten wir schwere Probleme. Niemand kann sagen, wie lange wir sonst überleben würden“, gibt Dirun zu, der sein Land am liebsten als Teil der Russischen Föderation sieht. Doch bisher wurde jedes Beitrittsgesuch abgelehnt. Ein zweites Kaliningrad kann Moskau nicht gebrauchen. „Wir sind im positiven Sinne neidisch auf die Krim“, meint Dirun. Nicht mal anerkannt hat Moskau den schmalen Landstreifen. Auch wenn der Politiker überzeugt ist, dass Transnistrien eines Tages zur Russischen Föderation gehören wird, sind ihm die Beziehungen zur EU wichtig. „60 Prozent der transnistrischen Ausfuhren gehen in EU-Staaten. Beispielsweise werden bei uns österreichische Uniformen gefertigt.“
Nennenswerte Unterschiede, was den Lebensstandard in den beiden Landesteilen betrifft, gibt es nicht: Löhne, Renten und die Korruption sind diesseits wie jenseits des Dnjestr auf etwa dem gleichen Niveau. Deshalb vermag sich die transnistrische Bevölkerung auch nicht so leicht für einen moldauischen Pass zu begeistern. Die im April 2014 in Kraft getretene Visafreiheit für moldauische Bürger, die in die EU reisen wollen, ist zweifellos ein wirksames Argument. 75.000 Transnistrier sollen schon einen moldauischen Pass beantragt haben. Diese Zahl kann allerdings in Tiraspol nicht bestätigt werden.
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