1985: Versenkte Unschuld

Zeitgeschichte In den Geheimdienstanschlag auf das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior ist auch die französische Regierung eingeweiht. Paris kauft zwei verurteilte Täter frei
Ausgabe 28/2015
In der Rückschau eher kontraproduktiv: der Anschlag von Auckland
In der Rückschau eher kontraproduktiv: der Anschlag von Auckland

Foto: Ross White/AFP/Getty Images

Ein Schlag erschüttert das Greenpeace-Schiff. Es ist eine halbe Stunde vor Mitternacht und die Rainbow Warrior liegt im Hafen von Auckland, Neuseeland. Nun schwankt sie, das Licht geht aus. Die Explosion kam vom Maschinenraum, sie hat ein zwei mal zwei Meter großes Loch in die Schiffswand gerissen. Riesige Mengen an Wasser schießen hinein, innerhalb weniger Sekunden neigt sich das Schiff gefährlich zur Seite.

Unter den Besatzungsmitgliedern bricht Panik aus, der Kapitän befiehlt: alle Mann von Bord! Der Schiffsarzt bewahrt die Ruhe und kontrolliert die Kabinen. Er sieht noch, wie der Fotograf Fernando Pereira in seine Kajüte rennt, um seine teure Kameraausrüstung zu retten. Da gibt es eine zweite Explosion. Die übrigen Greenpeace-Aktivisten schaffen es aufs Land. Dort stellen sie fest, dass ihr Freund Fernando fehlt. Der 36-Jährige ertrinkt im Bauch des Segelschiffes. Am nächsten Tag wird seine Leiche von Tauchern geborgen.

Noch ahnt von den Umweltschützern niemand, wer hinter dem Attentat steckt – oder sie wollen es nicht glauben. „Eigentlich konnte sich keiner von uns so richtig vorstellen, dass ein Staat wie Frankreich oder die USA so etwas machen würde“, sagt der Schiffsarzt Andy Biedermann später in einem Zeitungsinterview.

Operation „Satanic“

Die Greenpeace-Aktivisten waren damals auf dem Pazifischen Ozean unterwegs, um gegen französische und US-amerikanische Atomwaffentests zu protestieren. Der Atommacht Frankreich war das offenbar ein gewaltiger Dorn im Auge, also wurde der Auslandsgeheimdienst angewiesen, dagegen vorzugehen. Dort heckte man die Operation „Satanic“ aus: Die erste Bombe sollte die Crew zur Flucht bewegen, die zweite das Greenpeace-Schiff irreparabel beschädigen.

Die Geschichte der Rainbow Warrior zeigt, dass Geheimdienste auch gewaltsam gegen politische Gegner vorgehen – selbst wenn es sich um gewaltfreie Umweltschützer handelt. Und sie zeigt, wie Staaten mit Macht und Geld ihre Geheimdienstmitarbeiter vor rechtsstaatlichen Strafen bewahren.

Frankreich testet immer wieder seine Atomwaffen – seit 1966 auf den Inseln Mururoa und Fangataufa im Südpazifik. Greenpeace, im Jahr 1971 gegründet, ist von Anfang an nicht nur eine Umwelt-, sondern auch eine Friedensorganisation. Im Jahr 1985 will Greenpeace mit einer Flotte nach Mururoa aufbrechen, angeführt von der 44 Meter langen Rainbow Warrior. Der Regenbogenkämpfer, so der deutsche Name, macht sich schon im März auf den Weg, von Florida aus. Das Schiff hilft zunächst, Bewohner der Südseeinsel Rongelap auf eine andere Insel umzusiedeln, weil ihre Heimat durch Atomwaffentests der USA verseucht ist, viele Menschen leiden an Krebs. Dann legt die Rainbow Warrior einen Zwischenstopp in Neuseeland ein, geht im Juli im Hafen von Auckland vor Anker.

Das Schiff ist für die Pazifik-Fahrt aufwendig hergerichtet worden. Rund sieben Jahre zuvor hat Greenpeace das Schiff gekauft, nun wurden die Maschinen erneuert, ein modernes Funk- und Radarsystem angeschafft. Friedenstauben zieren die Schiffswand, auf den Bug ist ein Regenbogen gemalt.

Doch auch die Gegenseite hat aufgerüstet – mit Waffen und Spionen. Im April kommt eine junge Frau ins Greenpace-Büro von Auckland, sie stellt sich als Frédérique Bonlieu vor. Weil Ehrenamtliche gesucht werden, wird sie in der Umweltorganisation schnell integriert, verschickt Infomaterial, nimmt Anrufe entgegen. Doch in Wirklichkeit heißt sie Christine Cabon und leitet wichtige Informationen an den französischen Geheimdienst weiter. Derweil wird der Angriff auf das Schiff vorbereitet. Unter den Geheimdienstlern sei das Vorgehen strittig gewesen, berichtet später einer. Manche meinten, die Bomben seien zu riskant. Die Vorgesetzten sollen jedoch gesagt haben, die Operation sei von oben angeordnet worden.

Am 10. Juli ist es so weit. Am Abend legen zwei Kampftaucher mit ihrem Schlauchboot im Hafen an. Sie schlüpfen in ihre Anzüge und tauchen mit Sauerstoffflaschen in Richtung der Rainbow Warrior. Von außen befestigen sie zwei Minen, stellen die Zeitzünder ein und tauchen zurück. Als die Bomben explodieren, sind sie in sicherer Entfernung.

„Es sind unsere Geheimdienst-Agenten“

Der Anschlag mit einem Todesopfer sorgt nicht nur bei Greenpeace für Entsetzen, sondern in ganz Neuseeland. Die Polizei gründet eine Sonderkommission mit rund 100 Beamten und bekommt zahlreiche Hinweise. Unter anderem haben Nachtwächter von einem Bootsclub durch ihre Ferngläser zwei Personen gesehen, die Gegenstände von einem Schlauchboot in ein Wohnmobil geladen haben. Weil sie Diebe vermuteten, schrieben sie das Autokennzeichen auf. Die Polizei findet heraus, dass der Wagen gemietet wurde, angeblich von zwei Urlaubern aus der Schweiz: Alain und Sophie Turenge. Als sie das Auto zurückgeben, werden sie festgenommen.

Erst ein Telefonat, das die Frau im Hotel geführt hat, bringt die Ermittler auf die heiße Spur. Sie können mit der Pariser Telefonnummer zwar nichts anfangen, fragen aber beim französischen Innenministerium nach. Das ist in die Aktivitäten des Auslandsgeheimdienstes nicht eingeweiht und gibt bereitwillig Auskunft: Es handelt sich um eine Telefonnummer des Geheimdienstes. Auch die Pässe sind gefälscht, in Wirklichkeit wurden Alain Mafart und Dominique Prieur festgenommen. Die anderen Geheimdienst-Mitarbeiter haben sich mittlerweile aus dem Staub gemacht.

Die sozialdemokratische Regierung in Paris weist zunächst jegliche Schuld von sich. Am 17. September berichtet die Zeitung Le Monde, dass der Geheimdienstchef Pierre Lacoste und der Verteidigungsminister Charles Hernu von der Operation wussten. Drei Tage später tritt Hernu zurück. Lacoste wird entlassen. Am 22. September tritt Premierminister Laurent Fabius vor die Presse und erklärt offiziell, was alle mindestens ahnten: „Es sind unsere Geheimdienst-Agenten, die das Boot versenkt haben. Sie haben auf Anweisung gehandelt.“

Dem Präsident François Mitterrand lässt sich keine Verantwortung nachweisen, er bleibt im Amt. Erst nach seinem Tod im Jahr 1996 veröffentlicht Geheimdienstchef Lacoste seine Memoiren. Darin schreibt er, die Aktion sei mit Hernu abgestimmt gewesen. Auch Mitterrand habe er informiert, der habe ebenfalls seine Zustimmung gegeben.

Befördert statt bestraft

Im November 1985 beginnt der Prozess gegen die geschnappten Agenten, Mafart und Prieur. Obwohl mehr als 100 Zeugen geladen sind, dauert die Verhandlung lediglich 34 Minuten. Es gibt einen Deal zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft. Die Angeklagten bekennen sich des Totschlags und der Sachbeschädigung schuldig, sie werden zu jeweils zehn Jahren Haft verurteilt. Doch dazu kommt es nicht. Die französische Regierung setzt nämlich Neuseeland unter Druck, sie droht damit, in der Europäischen Gemeinschaft die Einfuhr von neuseeländischen Lebensmitteln zu blockieren.

Es wird ein Kompromiss gefunden: Die Importe werden erlaubt und Neuseeland erhält sieben Millionen Dollar Entschädigung, dafür werden Mafart und Prieur aus dem Gefängnis geholt und auf eine französische Militärbasis auf dem Hao-Atoll verlegt. Dort sollen sie drei Jahre lang unter Hausarrest stehen. Doch Mafart wird wegen Magenbeschwerden nach Frankreich verlegt, die auf dem Atoll angeblich nicht zu behandeln sind. Und Prieur wird schwanger, sie ist fast 40 und wird ebenfalls nach Frankreich gebracht. Beide kehren nicht zurück. Zwei Jahre nach dem Attentat sind sie wieder frei. Sie werden sogar noch befördert, machen Karriere.

Greenpeace erhält von Frankreich 8,1 Millionen Dollar an Schadenersatz, einen Teil des Geldes steckt die Organisation in den Bau eines neuen Flaggschiffs, der Rainbow Warrior II. Der Anschlag brachte zudem neue Spenden und Mitglieder – und Sympathien für das Anliegen. Im Jahr 1996 hat die französische Regierung die Atomtests im Pazifik beendet. Das Wrack der Rainbow Warrior wurde nach einer forensischen Untersuchung in einer Bucht von Neuseeland versenkt. In 30 Metern Tiefe liegt es auf dem Grund. Heute ist es ein beliebtes Ziel von Tauchern.

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