"Als ob man selbst neben dem Schwein stünde"

Massentierhaltung Wie es in deutschen Tierställen wirklich zugeht, das zeigen neue 360-Grad-Videos der Organisation Animal Equality. Die Vorsitzende Ria Rehberg erläutert die Hintergründe

Der Freitag: Frau Rehberg, Ihre Organisation Animal Equality veröffentlicht heute mehrere 360-Grad-Videos über das Leben eines Schweines in der Massentierhaltung. Ein normaler Film wäre deutlich einfacher gewesen, warum haben Sie sich dagegen entschieden?

Wir haben uns gefragt: Wie können wir möglichst viele Menschen erreichen? Und wir glauben, dass viele Leute bei konventionellen Videos nicht mehr hinschauen. Unser Projekt iAnimal besteht aus einer interaktiven Website, auf der Videoaufnahmen aus Zucht-, Mast und Schlachtbetrieben zu sehen sind. Das Spannende ist, dass zum ersten Mal jeder Mensch die Möglichkeit hat, sich selbst in einem Tierbetrieb umzuschauen.

Kann ich mir das vorstellen wie bei Google Street View?

Grundsätzlich schon. Aber bei uns sind es tatsächlich Videos, also bewegte Bilder. Die werden abgespielt, aber jeder hat selbst die Entscheidung: Wo gehe ich hin, wo gucke ich hin?

Eingebetteter Medieninhalt

Wie funktioniert das konkret?

Man kann nach links klicken, dann sieht man, was links passiert. Man kann noch oben klicken, dann sieht man was oben passiert. Und wenn man sagt, ich möchte weiter nach vorne gehen, dann öffnet sich ein neues Video, das an der Stelle aufgenommen wurde. Man hat wirklich das Gefühl, dass man im Betrieb neben dem Schwein steht.

Kann ich das an meinem Computer ansehen oder brauche ich dazu eine spezielle Brille?

Man kann sich das alles von zu Hause angucken. Das ist uns auch wichtig, dass dieser 360-Grad-Einblick für alle Menschen möglich ist. Zusätzlich kann man es sich aber auch mit Virtual-Reality-Brillen anschauen. Man sieht zwar das gleiche Video, aber es wirkt nochmal anders, wenn man diese Brille trägt.

Was ist auf den Videoaufnahmen zu sehen?

Wir zeigen alle Stationen im Leben eines Schweines. Das fängt an mit den Muttersauen, die wochenlang in Kastenständen stehen und sich dort nicht einmal umdrehen können. Das geht weiter über die Geburt der Ferkel, von denen viele in den ersten Tagen von der Mutter erdrückt werden, weil sie nicht sehen kann, ob ihre Kinder unter ihr liegen. Dann erleben wir, dass die Ferkel kastriert werden, dass ihnen Marken in die Ohren geschossen werden – alles ohne Betäubung. Die Ferkel werden größer, werden in Gruppenhaltungen gesteckt, viele Tiere werden aufgrund der Enge verrückt, verletzen sich gegenseitig, haben blutige Wunden. Am Ende kommen wir zum schlimmsten Teil, der Schlachtung. Da sehen wir, dass nicht alle Schweine vorher ausreichend betäubt werden. Allein in Deutschland werden bis zu 500.000 Schweine pro Jahr bei vollem Bewusstsein getötet.

Die Aufnahmen stammen alle aus Deutschland?

Nein, bei iAnimal handelt es sich um ein internationales Projekt. Wir haben auch in England, Italien, Spanien und Mexiko gefilmt. Aber wir haben darauf geachtet, dass alle Aufnahmen, die wir auf der deutschen Website präsentieren, solche Zustände zeigen, die bewiesenermaßen in Deutschland existieren. Wir haben bewusst Szenen rausgenommen, die wir in Mexiko gefilmt haben, wo Schweine mit Elektroschockern traktiert wurden, weil das in Deutschland nicht bei allen Schweinen erlaubt ist.

Wie sind Sie in die Anlagen gekommen?

In vielen Ländern haben unsere Ermittler monatelang daran gearbeitet, das Vertrauen der Menschen in den Tierbetrieben zu gewinnen. Dann haben sie die Genehmigung bekommen, dort zu filmen. In anderen Ländern sind wir so vorgegangen, wie das typischerweise bei Recherchen in der Tierindustrie geschieht: Es wird nachts gefilmt und wenn ein Betrieb offen steht, geht man rein und macht die Aufnahmen.

Was wollen Sie mit den Videos erreichen?

Wir finden, dass Menschen darüber informiert sein sollten, woher ihr Essen kommt. Nur dann können sie entscheiden, ob sie solche Zustände durch ihren Fleischeinkauf unterstützen wollen oder nicht.

Ria Rehberg, 27, ist zweite Vorsitzende von Animal Equality Germany

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