Große Probleme erfordern offenbar große Worte: Bundesumweltminister Peter Altmaier von der CDU spricht von einem „Durchbruch“ in der Diskussion über ein Atommüll-Endlager, der SPD-Chef und frühere Umweltminister Sigmar Gabriel gar von einer „historischen Entscheidung“. Nach monatelangen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern haben sich hochrangige Politiker von Union, FDP, SPD und Grünen jetzt auf einen Kompromiss zur Endlagersuche geeinigt. Transparent und vor allem ergebnisoffen soll die Suche sein, noch vor der Sommerpause soll der Bundestag ein Gesetz beschließen. Altmaier schwärmt bereits: „Damit werden wir jetzt auch den seit Jahrzehnten bestehenden Konflikt um ein atomares Endlager beenden.“
Doch diese Jubelmeldung hat mehr mit dem Erfolgsmarketing eines Umweltministers im Wahlkampf zu tun als mit der Realität. Denn die Endlagerfrage ist keinesfalls gelöst. Die Suche beginnt neu, das alte Problem aber besteht weiterhin: Der Salzstock im niedersächsischen Gorleben bleibt als Standort im Rennen. Dabei wird dadurch eine ergebnisoffene Suche erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Schließlich wurden für die Untersuchung Gorlebens bereits 1,6 Milliarden Euro ausgegeben, die AKW-Betreiber werden darum weiter darauf drängen, möglichst wenig Geld für die Erkundung anderer Standorte zu zahlen.
Schwieriges Wahlversprechen
Geplant ist nun eine Enquete-Kommission mit Vertretern aus Politik und Gesellschaft, die bis Ende 2015 nochmal über das Auswahlverfahren diskutiert. Das Suchgesetz soll trotzdem noch vor der Bundestagswahl in diesem Jahr beschlossen werden. Atomkraftgegner wie Jochen Stay von der Initiative Ausgestrahlt höhnen bereits über die Arbeit der Kommission: „Wer würde an einem Fußballspiel teilnehmen, bei dem das Ergebnis schon vorher feststeht?“ Die merkwürdige Reihenfolge lässt sich durch parteipolitisch motivierte Taktiererei erklären. Ob das aber der Endlagerproblematik gerecht wird, ist eine andere Frage.
Schon seit mehr als einem Jahr verhandeln die Parteispitzen von SPD und Grünen mit dem CDU-Umweltminister – zunächst mit Norbert Röttgen, später mit Peter Altmaier. Sie alle zeigen sich fest entschlossen, gemeinsam die Endlagersuche neu zu starten. Doch dann waren die niedersächsischen Sozialdemokraten im Wahlkampf und grätschten die Parteiführung aus. Der damalige Spitzenkandidat und jetzige Ministerpräsident Stephan Weil bezog klar Position: „Der Standort Gorleben darf bei der Suche nach einem Endlager keine Rolle mehr spielen, er muss runter von der Liste möglicher Standorte.“
Das ist aber mit Altmaier nicht zu machen. Auch Rot-Grün im Bund ist gegen ein jetziges Aus für Gorleben, und setzt stattdessen darauf, dass der Salzstock später im Auswahlverfahren durch strenge Kriterien rausfliegt. Weil aber SPD und Grüne in Hannover ihr Wahlversprechen nicht schon wenige Wochen nach dem Regierungswechsel offen brechen wollen, wurde nun die Enquete-Kommission ersonnen. Wenn das Gremium Ende 2015 seinen Abschlussbericht vorgestellt hat, soll das Gesetz nämlich noch einmal überprüft und eventuell geändert werden. Ein Aus für Gorleben vor dem eigentlichen Auswahlverfahren ist theoretisch also noch möglich.
Die Verhandler haben es eilig
Aufgabe der 24-köpfigen Enquete-Kommission ist „die Erörterung und Klärung von Grundsatzfragen für die dauerhafte Lagerung von hochradioaktiven Abfallstoffen“. In der Runde sind nicht nur Umweltverbände, Kirchen, Wissenschaftler, Wirtschaft und Gewerkschaften vertreten, sondern zur Hälfte auch Politiker aus Bund und Ländern. Weil Entscheidungen mindestens mit Zweidrittel-Mehrheit getroffen werden müssen, ist davon auszugehen, dass die Beschlüsse von den meisten Politikern mitgetragen werden und somit später in Bundestag und Bundesrat eine Mehrheit bekommen. Allerdings werden die Empfehlungen wohl auch nicht allzu deutlich von dem Gesetz abweichen, welches schließlich zuvor schon von allen 16 Bundesländern und allen Bundestagsfraktionen außer der Linken abgenickt werden soll.
Warum haben es die Verhandler überhaupt so eilig und wollen das Gesetz unbedingt noch vor der Wahl durch den Bundestag bringen? Jede Partei hat ihre eigenen Motive. Umweltminister Altmaier ist erst seit knapp einem Jahr im Amt und könnte nun sein erstes richtig wichtiges Projekt durchbringen. Ein Ministeriumssprecher bezeichnet das Endlagersuchgesetz als ein „ganz, ganz wichtiges Vorhaben“ und Atomkraftgegner Stay mutmaßt über Altmaier: „Der braucht einfach ein Erfolgserlebnis.“ Der Umweltminister könnte der CDU außerdem generell zeigen, dass er wichtige Verhandlungen erfolgreich führen kann.
Das wiederum stärkt die Verhandlungsposition der niedersächsischen Landesregierung. Sie macht sich mit den Verhandlungskompromissen zwar wenige Freunde unter den Atomkraftgegnern in Gorleben, glaubt aber, derzeit dem Bundesumweltminister mehr Zugeständnisse abtrotzen zu können als nach der Bundestagswahl.
Bei SPD und Grünen im Bund ist die Motivation für einen Endlager-Kompromiss vor der Wahl etwas komplizierter: Es gibt Politiker wie den Grünen Jürgen Trittin, die sich gern staatstragend zeigen und hoffen, dass ihnen dann eher Regierungsfähigkeit attestiert wird. Es gibt Politiker, die sehen es als großen Erfolg an, wenn die CDU von ihrer Gorleben-Fixierung abrückt und andere Endlagerstandorte selbst unter den Atomfans als möglich erscheinen. Und es gibt Politiker, die den Druck der Parteibasis fürchten, wenn Rot-Grün nach der Wahl im Herbst eine Mehrheit in Bundestag und Bundesrat haben sollte. Dann nämlich könnte Gorleben in einem Gesetz von vornherein ausgeschlossen werden. Das Risiko: Vier Jahre später macht eine CDU-Regierung das rückgängig und die Diskussion geht wieder von vorne los.
Die Atomindustrie droht
Es gibt einen weiteren Grund, weshalb sich viele Politiker mit einem Aus für Gorleben schwertun: Die AKW-Betreiber könnten sich weigern, die neue Endlagersuche zu bezahlen. Ein Sprecher des Atomforums kündigte bereits an: „Für die Übernahme zusätzlicher Kosten durch die Betreiber infolge alternativer Standorterkundungen vor einer abschließenden Bewertung zur Eignung Gorlebens gibt es nach unserer rechtlichen Auffassung keine Grundlage.“
Möglich wäre jedoch auch, dass die AKW-Betreiber die neue Suche zahlen, aber im Gegenzug die 1,6 Milliarden Euro für Gorleben zurückfordern. Juristisch schwierig könnte es vor allem werden, wenn der Standort aus politischen und nicht aus geologischen Gründen ausgeschlossen wird. Konkrete Klageabsichten sind dem Atomforum zwar nicht bekannt, sagte der Sprecher des Lobbyverbands. Das sei aber auch Aufgabe der einzelnen Unternehmen. Beim Umweltministerium heißt es zu möglichen Schadensersatzforderungen nur, man beteilige sich nicht an Spekulationen.
Durch die Drohgebärden der Atomindustrie wird leider die sinnvollste Lösung der Endlager-Problematik immer unwahrscheinlicher: Wenn Gorleben nicht von vornherein ausgeschlossen werden, aber die Suche trotzdem ergebnisoffen sein soll, müssen als erstes die Alternativen zu Gorleben geprüft werden. Die Gorleben-Erkundung muss solange gestoppt werden, bis die Untersuchung anderer Standorte auf einem ähnlichen Niveau ist. Das kostet zwar nochmal Milliarden, ist aber immer noch billiger als die möglichen Folgen eines unsicheren Endlagers.
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