Anti-Atom-Bewegung im Stand-by-Modus

Protest Trotz des dramatischen Vorfalls im AKW Fessenheim sind keine Massenproteste geplant. Doch die Bewegung ist immer noch stark – das zeigen die Demos nach Fukushima
Ausgabe 10/2016
Anti-Atomkraft-Demo zum dritten Jahrestag von Fukushima
Anti-Atomkraft-Demo zum dritten Jahrestag von Fukushima

Foto: Sebastien Bozon/AFP/Getty Images

Welch ein Horrorszenario: Der Atomreaktor lässt sich nicht mehr steuern. Offiziell war es nur ein kleiner Störfall im französischen Fessenheim nahe der deutschen Grenze. Inzwischen aber hat sich herausgestellt, dass die Lage im April 2014 dramatischer war als bisher bekannt. Eine solche Situation hat es nach Expertenmeinung in Westeuropa noch nicht gegeben. Sind wir nur knapp an einem zweiten Tschernobyl vorbeigeschrammt? Für Atomkraftgegner müsste die Nachricht eigentlich eine Steilvorlage sein. Seit Jahren fordern sie die Abschaltung des Kraftwerks in Fessenheim, das älter ist als jedes deutsche AKW. Doch bundesweit organisierte Massenproteste sind auch jetzt nicht geplant. Die Anti-Atom-Bewegung befindet sich im Stand-by-Modus.

Die Reaktorkatastrophe von Fukushima ist rund fünf Jahre her. Damals wurden hierzulande innerhalb weniger Tage riesige Menschenmassen mobilisiert. Am 26. März gingen 250.000 Personen auf die Straße. Wenn es drauf ankommt, ist die Bewegung also immer noch stark. Es gibt weitere Beispiele: Als die schwarz-gelbe Bundesregierung die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verlängern wollte, beteiligten sich Zehntausende an den Protesten. Und dass zuvor nur wenig von der Anti-Atom-Bewegung zu sehen war, lag vor allem daran, dass durch den rot-grünen Atomkonsens – so sehr man ihn kritisieren mag – die Sache mit den AKW insgesamt doch erledigt schien.

Betroffenheit und Veränderung

Im Kern sind es zwei Dinge, die die Leute auf die Straße treiben: emotionale Betroffenheit und reale Chancen auf Veränderungen. Nach der Katastrophe von Fukushima kam beides zusammen: die schockierenden Bilder vom explodierenden Reaktorgebäude und die abwartende Haltung der deutschen Bundeskanzlerin. Angela Merkel ließ vorläufig acht alte Reaktoren vom Netz nehmen (ohne Stromausfälle!) und spätestens da war klar: Der Druck der Straße kann Atomkraftwerke stilllegen. So kam es dann auch: Die Anlagen blieben dauerhaft abgeschaltet.

Es gibt eine NGO, die hat sich auf diese Art effektiver Realpolitik spezialisiert. Sie heißt Campact und versorgt mehr als 1,7 Millionen Menschen mit ihrem Newsletter. Immer, wenn eine wichtige Entscheidung auf der Kippe steht, wenn die Regierung unentschlossen ist, ruft Campact zum Online-Protest auf, weil die Chancen auf Veränderung dann besonders hoch sind. Das ist sinnvoll, doch eine schlagkräftige Bewegung sollte sich nicht auf das Campact-Prinzip beschränken. Sie muss am Thema dranbleiben, ungeachtet der politischen Konjunktur. Sie muss Experten haben, die das Geschehen kontinuierlich verfolgen. Sie muss auch bei kleineren Entscheidungen versuchen, Einfluss zu nehmen. Und sie muss immer wieder neue Leute gewinnen, damit genügend Menschen auf die Straße gehen, wenn es ernst wird. Der Stand-by-Modus spart zwar Energie, aber er frisst sie auch. Doch das ist nötig.

Kann der Vorfall im AKW Fessenheim die Bewegung wachrütteln? Zwar ist keine emotionale Betroffenheit vorhanden, weil es – zum Glück – keine Opfer gegeben hat, die Gefahr bleibt abstrakt. Zudem steht die Uralt-Anlage in Frankreich und damit weniger im Fokus der deutschen Öffentlichkeit. Der Störfall zeigt aber, dass Fessenheim ein europäisches Sicherheitsrisiko ist. Nun soll das AKW womöglich noch in diesem Jahr vom Netz gehen. Doch nach dem Hin und Her der französischen Regierung sollte man darauf nicht vertrauen. Der Druck von der Straße könnte entscheidend sein. Also raus aus dem Stand-by-Modus.

Lesen Sie zu Fukushima auch das Interview über die Verharmlosung der gesundheitlichen Folgen

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