Atomdeal mit Folgen

Privatisierung Die Uranfabrik im westfälischen Gronau soll verkauft werden – so geräuschlos wie möglich. Verliert der Staat damit die Kontrolle über die Atomwaffen-Technik?
Ausgabe 51/2013
Alles unter Kontrolle? Auch in Deutschland wird Uran angereichert
Alles unter Kontrolle? Auch in Deutschland wird Uran angereichert

Foto: Uta Rademacher/ dpa

Eigentlich ist Gronau ein beschaulicher Ort in Westfalen. Rund 45.000 Menschen leben hier, direkt an der Grenze zu Holland. Gronau ist aber auch der Ort eines gefährlichen Deals: Die bundesweit einzige Urananreicherungsanlage soll verkauft werden – damit hätten plötzlich nicht mehr Staaten, sondern private Unternehmen die Kontrolle über eine Technologie, die zur Atomwaffenproduktion genutzt werden kann. Solch ein Angebot gibt es nicht alle Tage. Die Liste der Interessenten ist entsprechend lang, die potenziellen Käufer kommen aus aller Welt.

Umweltschützer warnen bereits vor „ernsthaften Sicherheitsproblemen“. Auch die Opposition im Bundestag versucht, das Thema an die Öffentlichkeit zu zerren, aber Linke und Grüne haben es nicht leicht – und mit der Großen Koalition dürfte es noch schwieriger werden.

Die Bundesregierung verhandelt hinter verschlossener Tür über die Privatisierung und speist die Abgeordneten mit leeren Phrasen ab. Die Parlamentarier haben mehrere Anfragen gestellt, die Antwort ist immer die gleiche: Die Regierung werde einem Verkauf nur zustimmen, wenn „nukleare Nichtverbreitung, Sicherung der Technologie und wirtschaftliche Solidität“ der künftigen Eigentümer sichergestellt sind. An den Verkaufsverhandlungen sei wegen der „nuklearen nichtverbreitungspolitischen Aspekte“ auch das Auswärtige Amt beteiligt. Genauere Infos? Fehlanzeige.

„Der einfachste Weg zur Atombombe“

Die Urananreicherungsanlage in Gronau darf trotz des Atomausstiegs unbegrenzt weiterlaufen – und Atomkraftwerke in aller Welt mit Brennstoff versorgen. Die Fabrik wurde von 2005 bis 2011 sogar noch ausgebaut, die Genehmigung erteilte damals die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf. Nun wird in Gronau so viel Uran produziert, dass damit 34 durchschnittlich große Reaktoren betrieben werden können.

Zwar ist es verboten, das Uran so weit anzureichern, dass damit auch Atomwaffen gebaut werden könnten – die eingesetzte Zentrifugentechnik aber ist dazu in der Lage. Michael Sailer, der die Bundesregierung in Atomfragen berät, sagt: „Die Urananreicherung ist der einfachste Weg zur Atombombe.“

Geklaute Atombomben-Pläne

Wie brisant der geplante Deal ist, zeigt auch ein Vorfall aus den siebziger Jahren: Der pakistanische Wissenschaftler Abdul Kadir Khan hat damals in der niederländischen Urananreicherungsanlage Almelo die Pläne für den Bau von Zentrifugen geklaut. Später verwendete er sie in Pakistan für den Bau von Atomwaffen und verkaufte die Technik auch an den Iran.

Wie ist er an die Blaupausen gekommen? Er hatte bei einem Zulieferbetrieb von Urenco gearbeitet – jenem mehrheitlich staatlichen Unternehmen, das die Anlage in Almelo, aber auch die in Gronau betreibt und je eine weitere Fabrik in Großbritannien und den USA.

Heute schreibt die Bundesregierung über Gronau: „Durch ein rigides System von Zugangsbeschränkungen und Kontrollen ist sichergestellt, dass nur bestimmte Personen innerhalb des Unternehmens Zugang zu einem jeweils beschränkten Teilbereich der Technologie erhalten.“ Wenn Urenco aber nun Privatkonzernen gehört, denen es vor allem um den Profit geht, wie sehr wird dann noch auf die Kontrollen geachtet?

Den Niederlanden ist die Khan-Geschichte jedenfalls eine Lehre gewesen, das Königreich ist jetzt beim geplanten Verkauf sehr vorsichtig. Der Finanzminister hat in einem sechsseitigen Brief vorsorglich schon mal zehn Kriterien formuliert, die erfüllt werden sollten. Dazu gehört etwa, dass Deutschland, Großbritannien und die Niederlande jeden Weiterverkauf genehmigen müssen und auch die künftigen Unternehmenschefs entlassen können. Auch das niederländische Parlament beschäftigt sich mit dem Thema. Anfang diesen Monats hat es Wissenschaftler zu einem öffentlichen Runden Tisch geladen.

Total undurchsichtig

In Deutschland hingegen mauert die Bundesregierung. Sie sieht derzeit „keinen Anlass für eine weitergehende Beteiligung der Öffentlichkeit“ und werde „im Lichte der weiteren Entwicklungen über die Unterrichtung des Deutschen Bundestags entscheiden“, heißt es immer wieder auf Anfragen von Abgeordneten. Bisher ist der Deal total undurchsichtig: Von offiziellen Stellen gibt es weder Informationen zu möglichen Käufern noch zu konkreten Auflagen bei einem Verkauf.

Der linke Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel ist empört. „Das ist eine Unverschämtheit, auch der Bevölkerung gegenüber, dass die Informationen nicht transparent gemacht werden.“ Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen fordert eine öffentliche Anhörungen im Bundestag. „Was in den Niederlanden möglich ist, muss doch auch in Deutschland machbar sein.“

Rot-Grün plappert nach

Pikanterweise unternimmt auch die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen keine großen Anstrengungen, um den Verkauf der Urananreicherungsanlage zu verhindern oder zumindest die Risiken öffentlich zu diskutieren. Im Düsseldorfer Landtag gab es schon mehrere Anfragen der Piratenpartei zum Thema, aber die Landesregierung plappert einfach die Position der schwarz-gelben Bundesregierung nach.

Sollte wirklich die „wirtschaftlich Solidität bei Urenco sichergestellt“ werden? Atomkraftgegner meinen, die Landesregierung billige mit solchen Aussagen den Weiterbetrieb der Anlage in Gronau – obwohl im Koalitionsvertrag die Abschaltung gefordert wird.

In Wirklichkeit geht es darum, dass die Urenco für die Stilllegung und die Entsorgung von radioaktiven Abfällen finanzielle Rücklagen bildet. Wenn die Urenco von Unternehmen gekauft wird, die nach wenigen Jahren pleite sind, bleibt nämlich der Staat auf den Kosten sitzen.

Die Anlage läuft und läuft und läuft

Die Düsseldorfer Landesregierung hat schon einmal versucht, die Stilllegung der Anlage zu erzwingen. Nordrhein-Westfalen brachte im Jahr 2011 eine Bundesratsinitiative ein, die jedoch abgelehnt wurde. Die schwarz-gelbe Bundesregierung war mit dem Weiterbetrieb zufrieden: „Die Anlage in Gronau unterscheidet sich grundlegend von Kernkraftwerken und den Sicherheitsgründen, aus denen deren Abschaltung beschlossen worden ist.“

Auch die neue schwarz-rote Bundesregierung will die Anlage weiterlaufen lassen und akzeptiert damit die Belieferung von Atomkraftwerken in aller Welt. Im Koalitionsvertrag findet sich kein Wort zu Gronau.

Dabei könnte Bundesregierung den Verkauf komplett verhindern – wenn sie wollte. Vor mehr als 40 Jahren wurde nämlich ein kompliziertes rechtliches Konstrukt ersonnen, um zu verhindern, dass die Anreicherungs-Technologie in falsche Hände gerät. Im Vertrag von Almelo ist festgehalten, dass die Regierungen von Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden gemeinsam über den Urenco-Konzern wachen. Alle drei müssen zustimmen, wenn die Unternehmensstruktur geändert werden soll. Allerdings dürfte sich die Bundesregierung viel Ärger einfangen, wenn sie alleine blockiert. Die verkaufswilligen Eigentümer könnten dann vor einem Schiedsgericht klagen.

Und zu den verkaufswilligen Eigentümern gehören auch Großbritannien und die Niederlande. Die beiden Länder besitzen jeweils etwa ein Drittel von Urenco, das restliche Drittel teilen sich zu gleichen Teilen die deutschen Energieriesen Eon und RWE.

Der große Ausverkauf

Nun kommt der große Ausverkauf: Die britische Regierung hat schon vor längerer Zeit angekündigt, mehrere Staatsunternehmen privatisieren zu wollen. Nach dem Atomausstieg in Deutschland haben Eon und RWE nachgezogen. Offiziell erfährt man von ihnen nur, Urenco gehöre „nicht mehr zum strategischen Fokus“. Grund dürfte die wirtschaftlich allgemein schwierige Lage der Energiekonzerne sein. Zudem ist die Beteiligung an der Anlage in Gronau nicht besonders populär, Umweltschützer protestieren immer wieder dagegen.

Inzwischen wollen auch die Niederlande ihre Anteile loswerden: Die Beteiligung an einem mehrheitlich privaten Unternehmen sei nicht wünschenswert, erklärte die Regierung. Bei dem vom Parlament organisierten Runden Tisch gab es auch Stimmen, die forderten, das Königreich solle die Anteile nicht verkaufen, sondern stattdessen zum Mehrheits-Eigentümer werden.

Dafür spräche zumindest, dass der Urenco-Konzern durchaus profitabel ist: Im vergangenen Jahr erwirtschaftete er einen Netto-Gewinn von mehr als 400 Millionen Euro, der Weltmarktanteil liegt nach eigenen Angaben bei 31 Prozent. Urenco verkauft seinen Atombrennstoff in 18 Länder, beispielsweise wurde auch der japanische Reaktorbetreiber Tepco beliefert. Der britische Telegraph schätzt den Wert von Urenco auf acht bis zwölf Milliarden Euro.

Keine Kontrolle mehr

Atomkraftgegner wollen die Privatisierung verhindern. „Jeder Verkauf von Anteilen an Dritte vergrößert das Risiko einer Weiterverbreitung der militärisch bedeutsamen Urananreicherungstechnologie“, sagt Dirk Seifert von der Umweltorganisation Robin Wood.

Besonders große Sorgen bereitet den Umweltschützern ein möglicher Börsengang. Eon-Chef Johannes Teyssen habe auf der Unternehmens-Hauptversammlung im Mai ein „offenes Bieterverfahren“ angekündigt. Auch die niederländische Regierung steht dieser Option grundsätzlich positiv gegenüber. Udo Buchholz vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz warnt: „Bei einem Börsengang kann im Prinzip jeder – und sei es über Strohfirmen – die Anteile am Urananreicherer Urenco erwerben. Am Ende kann überhaupt nicht kontrolliert werden, wer bei Urenco die Mehrheit hat.“

Lange Liste an Interessenten

Wer sind denn die potenziellen Käufer? Die Bundesregierung erklärt, sie beteilige sich nicht an „Spekulationen“. Auch Nordrhein-Westfalens Landesregierung liegen nach eigenen Angaben „keine verlässlichen Angaben“ vor, sie wären zudem vertraulich.

Im Branchenblatt vdi-Nachrichten ist jedoch eine lange Liste von Interessenten zu lesen: der französische Atomkonzern Areva, der kanadische Uranhändler Cameco, der britisch-japanische AKW-Bauer Toshiba Westinghouse, die russischen Atomkonzerne Tenex und Rosatom sowie ein Miliardär aus Hongkong und diverse Kapitalgesellschaften aus Großbritannien, Luxemburg und den USA.

Auch in Indien wird über einen Kauf nachgedacht. Ein Artikel des Institute for Defence Studies and Analyses empfiehlt, dass sich indische Firmen um Anteile bemühen sollten. Brisant: Indien hat den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben, der die Weiterverbreitung von atomwaffenfähigem Material verhindern soll.

Das große Schweigen

Dass eine Urananreicherungsanlage zum Privatverkauf steht, ist wohl weltweit einmalig. Laut Peter Diehl vom Online-Informationsportal WISE Uranium wird derzeit nur in Japan eine Anlage von einem Konsortium mehrerer Energiekonzerne betrieben. Alle anderen Fabriken seien mehrheitlich oder komplett in staatlicher Hand. Die Bundesregierung und Internationale Atomenergieorganisation IAEO können oder wollen nicht sagen, wie viele Urananreicherungsanlagen sich derzeit teilweise, mehrheitlich oder komplett in Privatbesitz befinden.

Großes Schweigen auch zur Frage, wie lange es bei einem Versagen der Kontrollen dauern würde, bis in Gronau waffenfähiges Material hergestellt werden könnte. Dabei sind Bundesregierung und IAEO für die Kontrollen zuständig. In Gronau wird das Uran angereichert, indem es durch mehrere Zentrifugen geschickt wird. Bei Urenco heißt es bloß, die Infrastruktur sei auf die zivile Nutzung ausgelegt. „Etwas anderes ist weder möglich noch erwünscht oder gedanklich ein Thema.“

Atombombe in wenigen Wochen

Nicht möglich? Wolfgang Liebert widerspricht. Der Professor am Wiener Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaft sagt dem Freitag: „Obwohl es sehr unwahrscheinlich ist, dass das in Gronau passiert: Wenn man die Verschaltung für einen kleineren Teil der Zentrifugen ändert und das geschickt anstellt, könnte man innerhalb von wenigen Wochen hoch angereichertes Uran für eine oder mehrere Kernwaffen produzieren. Vielleicht fällt das nicht einmal auf.“

Wenn eine kleine Gruppe an Personen die ganze Anlage unter Kontrolle habe, gehe das sogar noch schneller. „Das zeigt, dass die Zentrifugen-Technologie höchst ambivalent ist.“

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