Die Übermacht der herrschenden Meinung kann Argumente schlicht überflüssig machen. Wenn sich die politische Klasse einig ist, braucht sie ihre Vorstellungen nicht näher zu begründen, abweichende Meinungen haben keine Chance.
In der deutschen Atompolitik beispielsweise ist der Umgang mit dem hochradioaktiven Müll zwar heftig umstritten, doch es gibt einen „Grundsatz, der uns alle eint“, wie es Bundesumweltminister Peter Altmaier kürzlich in seiner „Regierungserklärung zur nuklearen Entsorgung“ formulierte. Jeglichem Atommüllexport erteilte der CDU-Politiker eine Absage: „Die in Deutschland angefallenen Abfälle müssen auch in Deutschland entsorgt werden, das gebietet das Prinzip der nationalen Verantwortung.“
Was das Prinzip der größtmöglichen Sicherheit gebietet, spielt offenbar nur noch eine untergeordnete Rolle, und zwar über alle Parteigrenzen hinweg. Dabei ist ein nationaler Alleingang so ziemlich das Dümmste, was man sich bei einem grenzen- und generationenüberschreitenden Problem wie dem Umgang mit Strahlenmüll ausdenken kann.
Umweltverbände auf den Barrikaden
Realpolitisch mag ein Exportverbot im Augenblick sinnvoll erscheinen, denn hierzulande sind die Sicherheitsanforderungen wegen einer starken Umweltbewegung noch vergleichsweise hoch. Doch die Folgen einer ablehnenden Haltung gegenüber sämtlichen Atommüllexporten sind verheerend: Eine Chance auf ein internationales System hoher Sicherheitstandards wird damit von vornherein aufgegeben.
Dass sich Altmaier im Bundestag überhaupt gezwungen sah, sich zu der Sache zu äußern, liegt an einer EU-Richtlinie, die in deutsches Recht umgesetzt werden muss. Im ersten Gesetzentwurf war der Atommüllexport nicht explizit ausgeschlossen, die Umweltverbände liefen Sturm, danach auch die Opposition im Bundestag, von SPD bis Linkspartei.
Um die schwierigen Verhandlungen über einen Neustart in der (nationalen) Endlagersuche nicht zu gefährden, verspricht Altmaier inzwischen, dass der Grundsatz der Atommülllagerung im Inland „ganz klar zum Ausdruck“ gebracht werde, wenn – nun nach der Bundestagswahl – die EU-Richtlinie umgesetzt wird.
Furcht vor der Billiglösung
Warum ist der umweltpolitische Nationalismus so erfolgreich, und zwar bei allen Parteien? Umweltschützer fürchten eine Billiglösung des Atommüllproblems auf Kosten der Sicherheit. Die Angst ist berechtigt, denn bislang wurden radioaktive Abfälle schon des Öfteren nach Russland gebracht und dort unter extrem fragwürdigen Bedingungen gelagert. Vor wenigen Tagen hat die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen angekündigt, dass Atommüll aus der Forschungsanlage Jülich in die USA exportiert werden soll – aber nicht, weil es dort besonders sicher wäre, sondern weil die Betriebsgenehmigung für das Atommülllager in Jülich ausläuft.
Die Konservativen haben andere Gründe für den Nationalismus in der Endlagerfrage. Vermutlich spielt ein generelles Misstrauen gegenüber Ländern wie Russland eine Rolle, verbunden mit einer Angst vor der Kritik der Umweltschützer. Schon der Begriff „Atommüllexport“ weckt die Assoziation: aus den Augen, aus dem Sinn.
Was heißt hier "Verursacherprinzip"?
Dabei geht es eigentlich um die Frage, ob es sinnvoll ist, dass jedes Land ein eigenes Endlager für die strahlenden Abfälle sucht. Einen geologischen oder physikalischen Grund gibt es dafür sicher nicht. Auch das gerne zur Begründung herangezogene „Verursacherprinzip“ zieht nicht, und zwar aus zwei Gründen.
Erstens könnte man dann auch in jedem Bundesland mit Atomkraftwerk ein eigenes Endlager errichten oder gar in jeder Stadt, die Atomstrom genutzt hat. Sollte man nicht jedem (ehemaligen) Atomstromkunden ein kleines Fass Strahlenmüll in den Keller stellen?
In der Zukunft wird das niemand verstehen
Wie absurd so eine Diskussion ist, zeigt sich im Moment bei der Suche nach Zwischenlagern für den Müll, der aus den Wiederaufarbeitungsanlagen im englischen Sellafield und im französischen La Hague zurück nach Deutschland soll. Eigentlich war Gorleben als Ziel vorgesehen, aber diese Transporte soll es jetzt vorerst nicht mehr geben, um keine weiteren Fakten für den umstrittenen Endlagerstandort zu schaffen. Also sucht die Politik nach Alternativen.
Geografisch günstig liegen die Zwischenlager an den AKW-Standorten in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, die Transportwege könnten so minimiert werden. Aber die dortigen Regierungsparteien SPD und Grüne wollen auch die (unions-regierten) Bundesländer Hessen und Bayern als große Atommüllproduzenten in die Pflicht nehmen. Es wird also wahrscheinlich gefährliche Atomtransporte geben, nur für das „Verursacherprinzip“.
Es gibt noch einen zweiten Grund, weshalb das Verursacherprinzip als Argument für ein nationales Endlager nicht taugt. Betroffen wären nämlich in jedem Fall überwiegend Menschen, die den Atommüll überhaupt nicht verursacht haben – weil sie in der Zukunft leben. In 10.000 Jahren wird niemand verstehen, weshalb heute bei der Sicherheit gespart wird, nur weil die Welt gerade in Staaten mit mehr oder weniger willkürlich gezogenen Grenzen aufgeteilt ist.
"Akzeptanzmaßnahme" für Atomkraft
Das zeigt auch das eigentliche Problem: die fehlende Regulierung auf internationaler Ebene. Mit der EU-Richtlinie gibt es nun zwar einen europäischen Rahmen, aber letztlich bleibt die Atompolitik Aufgabe der einzelnen Staaten. Die Richtlinie zeigt auch, wie schwierig eine internationale Regulierung ist. Ursprünglich wollte die EU-Kommission den Export radioaktiver Abfälle in Nicht-EU-Staaten verbieten, aber die Mitgliedsstaaten waren dagegen. Nun sind solche Exporte unter gewissen Auflagen erlaubt.
Zudem werden viele Arten von Atommüll von der Richtlinie gar nicht erfasst, etwa Müll aus militärischer Nutzung oder der Urangewinnung. Die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms hält die Richtlinie daher für „in weiten Teilen so schwach, dass es sich eher um eine Akzeptanzmaßnahme für die Nutzung der Atomenergie handelt“ als um eine echte Regulierung. Sie weiß aber auch von den Schwierigkeiten, europäische Regeln durchzusetzen. „Die Mitgliedsstaaten haben ihre eigenen Regulierungsbehörden und wollen ihre Kompetenzen nicht aus der Hand geben. Die sind oft sehr widerspenstig.“
Nationale Angelegenheiten
Problematisch ist auch die Rechtsgrundlage der europäischen Atompolitik. Im Jahr 1957 wurde der atomkraftfreundliche Euratom-Vertrag unterschrieben, damals im Glauben, die Atomkraft könne die Energieprobleme ein für allemal lösen. Ziel von Euratom ist daher die „schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien“. Der Vertrag gilt bis heute, immer noch zahlt Deutschland über Euratom jährlich mehrere Millionen Euro für eine europaweite Atomkraftforschung.
Ursprünglich wurde mit Euratom die europäische Atompolitik vergemeinschaftet, spaltbares Material sollte unter gemeinsame Kontrolle gestellt werden. Heute hingegen verhindert der Vertrag eine stärkere Europäisierung. Er regelt nämlich auch, wer in der Europäischen Union über Atompolitik entscheidet: Das Sagen haben alleine die Staaten, vertreten im Ministerrat. Das EU-Parlament, das von den EU-Institutionen noch am ehesten gesamteuropäische Interessen vertritt, wird lediglich angehört und darf nicht mitentscheiden.
Atompolitik und Sicherheitsfragen sind leider immer noch hauptsächlich nationale Angelegenheiten. Wer Atommüllexporte per se zu Teufelszeug erklärt, verstärkt den Eindruck, dass dies ganz normal sei. Eine angemessene Lösung für den Strahlenmüll wird es dann nicht geben.
Bürgerbeteiligung sollte groß geschrieben werden bei der neuen Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Deswegen hat das Bundesumweltministerium nun auch zusammen mit den vier Bundestagsfraktionen zu einem „Bürgerforum“ eingeladen. Von Freitag bis Sonntag dieser Woche können interessierte Menschen ihre Meinungen zum Standortauswahlgesetz einbringen. Der Haken: Der Gesetzentwurf ist längst in den Bundestag eingebracht worden, eine Änderung extrem unwahrscheinlich. Der Entwurf basiert auf dem Ergebnis der Bund-Länder-Gespräche hinter verschlossenen Türen.
Die großen Umweltverbände rufen bereits zum Boykott auf. Sie wollen nicht als „Feigenblatt“ für eine „Beteiligungs-Simulation“ herhalten, wie Jochen Stay von der Initiative Ausgestrahlt erklärt. Abgesagt haben unter anderem Greenpeace, Robin Wood, der BUND und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz. Das Umweltministerium hatte sich vor einigen Wochen bereits den Ärger von Umweltschützern zugezogen, als diese bloß 48 Stunden Zeit hatten, ihre Stellungnahme zum Gesetzentwurf abzugeben.
Das Gesetz soll schnell durchgepeitscht werden, weil die Politiker fürchten, dass ihr ausgehandelter Kompromiss nach der Bundestagswahl keine (so große) Mehrheit mehr hat. Umweltschützer fordern eine breite Diskussion, bevor über die Endlagerfrage entschieden wird.
Kommentare 11
"Erstens könnte man dann auch in jedem Bundesland mit Atomkraftwerk ein eigenes Endlager errichten oder gar in jeder Stadt, die Atomstrom genutzt hat. Sollte man nicht jedem (ehemaligen) Atomstromkunden ein kleines Fass Strahlenmüll in den Keller stellen?"
Ich mag ja so weitergesponnene oder zu Ende gedachte "Prinzipien".
Ich verdeutliche das uns einigende Prinzip noch einmal an einem alltäglichen Beispiel: Jeder Autofahrer sollte die Abgase seines eigenen Fahrzeugs einfangen (Plastiktüte) und anschließend lagern oder umweltneutral entsorgen...
Mh, überlegenswerte Idee ;-)
Ach ja, zu:
"Die Übermacht der herrschenden Meinung kann Argumente schlicht überflüssig machen. Wenn sich die politische Klasse einig ist, braucht sie ihre Vorstellungen nicht näher zu begründen, abweichende Meinungen haben keine Chance."
Das hat nach meinem Dafürhalten nicht ausschließlich mit der "politischen Klasse" zu tun, sondern auch mit der medialen Aufmerksamkeit. Danke jedenfalls für diesen Beitrag!
lieber felix,
wenn das verursacherprinzip nicht durchzuhalten ist, vor allem gegen die vielen künftigen generationen, dann bietet sich doch eine lösung geradezu an, ja, drängt sich geradezu auf: ab zum mond mit dem gift! wozu haben wir milliarden in die raumfahrt investiert?
ich weiß, ich weiß, das ist unbezahlbar, heißt es dann von allen seiten. aber banken zu retten, militäretats und anderer unfug kosten noch mehr. darum bleibe ich bei meinem vorschlag. er bietet die sauberste lösung des probems für jetzt und alle zukunft. (wen der müllberg auf dem mond stört, kann das zeugs auf der anderen, der erdabgewandten seite deponieren)
grüße, h.
Nein, dann würde ja auch der Standort nach den heute geltenden Grenzen ausgewählt.
Hallo Helder,
unbezahlbar ist es sicherlich nicht. Es sprechen aber soweit ich weiß zwei andere Argumente dagegen: Zum einen wäre dafür wohl mehr Energie nötig, als vorher während der Verursachung des Atommülls gewonnen wurde. Das heißt, es wäre unsinnig, gleichzeitig AKW laufen zu lassen und den Müll zum Mond zu schießen. Dieses Argument ließe sich entkräften, wenn irgendwann alle AKW abgeschaltet sind und man zu dem Ergebnis kommt, das Mondschießen sei die beste Lösung und man sei dafür bereit, insgesamt eine negative Energiebilanz in Kauf zu nehmen.
Das zweite Argument ist aber noch stärker: Eine Rakete mit Atommüll ins All zu schießen, wäre wohl ziemlich riskant. Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn es einen Unfall gibt. Das ist wohl auch der Grund, weshalb diese Option eigentlich von niemandem ernsthaft verfolgt wird.
Um das Zeuch auf den Mond zu schießen bräucht's vermutlich so viel Treibstoff dass man auch gleich selbigen zur Stromgewinnung hätte nehmen können. ^^
Um das Zeuch auf den Mond zu schießen bräucht's vermutlich so viel Treibstoff dass man auch gleich selbigen zur Stromgewinnung hätte nehmen können. ^^
das kann sein. aber man bliebe nicht auf dem unlösbaren problem des ewig strahlenden mülls sitzen.
es wäre unsinnig, gleichzeitig AKW laufen zu lassen und den Müll zum Mond zu schießen.
lieber felix,
vorausgesetzt, die energiegleichung stimmt, wäre es unsinnig, das zu tun. daran zeigte sich aber, dass es überhaupt unsinnig war und ist, akw zu betreiben. natürlich müssten die akw-konzerne entsprechend an der mondschießerei beteiligt werden. deren unverdiente gewinne müssten notfalls auf null schrumpfen.
das geht natürlich nicht im kapitalistischen marktbetrieb. sonst müssten sich die koalitionäre unter merkel gleich mit zum mond schießen lassen.
aber ich hab noch einen unbedachten vorschlag zur "beseitigung" des gifts. paracelsus wusste schon, dass es eine frage der dosierung ist, ob ein gift ein gift ist. auf den atommüll angewendet heißt das, eine gigantische mischmaschine in einer riesigen wüste aufgestellt, hätte die aufgabe, das strahlende gift auf homöopathische anteile im sand herunterzudosieren durch schlichtes mischen. bis auf werte nahe an der normalen radioaktivität des bodens.
wenn das zu ungeheuer teuer werden sollte, ließe sich im kompromist eine sievert- oder bequerelgrenze wählen und dann das gemäßigt strahlende material verbuddeln.
übrigens bin ich der meinung, dass es um ein globales problem geht. ein staat kann das problem des nuklearen abfalls nicht lösen. zuerst müsste der staat als auslaufmodell am ende der staatlichen ära entsorgt werden...
grüße, h.
Aber mal im Ernst, es hilft nichts durch Übersteigerung der Argumente Ad Adsurdum zu versuchen, das Prinzip der nationalen Eigenverantwortung zu entkräften.
hallo tinytiger,
wir spielen mit den möglichkeiten, und das tun wir mit dem gebotenen ernst.
den giftmüllberg zur sonne oder an ihr vorbei in den weltraum zu schießen, hätte den nachteil, dass wir nicht wüssten, wohin das zeug treibt. (bis zur sonne käme kein frachter, weil er vorher schmelzen und verdampfen würde)
zur nazionalen verantwortung nach dem verursacherprinzip:
zum einen ist der ewige giftmüllberg ein menschheitsproblem. es hilft nicht, in einem land eine lösung zu suchen, während rundherum in den nachbarländern munter weiter abfall produziert wird. schön, es wäre was, ein beispiel zu geben, ein vorbild zu sein.
aber dann stoßen wir auf das grundproblem, die ursache der ursachen, den staat. statt an recht und gesetz gebunden zu sein wie ein bürger, ist der staat der souverän, der gesetze schreibt und dabei über recht und gesetz steht, denn es gibt kein gesetz für die staaten, dass einklagbar und durchsetzbar wäre.
darum müssen wir an die ursache der ursachen denken, wenn wir an so ein problem wie den atomaren giftmüllberg denken. der staat aber hat bewiesen, dass er die hauptprobleme nicht löst, er hat bewiesen, dass er selbst das größte problem ist. er ist ein auslaufmodell. die staatliche ära geht zu ende. ohne dieses problem gelöst zu haben, sind die umweltprobleme wie z.b. der atomare giftmüllberg nicht zu lösen.
grüße, hy
Frage ist nur was danach kommt..
tja, das ist und bleibt die offene frage. man kann ja mal hochrechen üben. seit über 40 jahren kennt mensch den bericht an den club of rome über die lage der menschheit "Die Grenzen des Wachstums", und was tun die regierer und manager des marktes? sie schwören auf wachstum. das erwachen aus dem wahn wird schrecklich sein und folgen haben. aber welche?
In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts las ich in einer seriösen USA-Information, dass dort eine Gruppe von Wissenschaftlern, die sich mit den Fragen der Endlagerung radioaktiver Abfälle befassten, die Endlagerung in alten Salzstöcken als völlig falsch bewerteten. "Salt is out" war das Resumée. Begründet wurde das u.a. mit der Chemie dieser Salzstöcke, deren Langfristverhalten unter permanenter Erwärmung und der Hygroskopie des Salzes. Ich nehme doch an, dass diese Forschungen hierzulande bekannt sind. Daher frage ich mich, weshalb unsere Großkopfeten in der Politik noch immer die potentielle Endlagerung in alten Salzstöcken präferieren.