Manche Menschen verdampfen direkt. Im Mittelpunkt einer Atombombenexplosion werden Temperaturen von mehreren Millionen Grad Celsius erreicht. Eine Feuerkugel breitet sich aus, verbraucht enorme Mengen an Sauerstoff, selbst Menschen in Schutzbunkern fallen der Hitze zum Opfer oder ersticken. Eine Druckwelle zerstört Städte, schleudert Menschen durch die Luft, Trümmer werden zu tödlichen Flugobjekten, ganze Landstriche verwüstet. Wer überlebt, muss noch monatelang mit radioaktivem Fallout kämpfen.
Die gesundheitlichen Folgen eines Atomwaffeneinsatzes sind nicht beherrschbar, eine wirksame Hilfe für die Opfer ist nicht möglich. Die Gesellschaft wäre überlastet. Doch lange wurde auf internationaler Ebene nur über die Abschreckungs-Doktrin, nicht aber über die humanitären Folgen eines Atomwaffeneinsatzes gesprochen. Jetzt wollen das mehr als 100 Staaten ändern. Sie unterstützen die „Humanitäre Initiative“ und wollen einen Vertrag aushandeln, der Nuklearwaffen komplett verbietet.
Ein Monopol auf Atomwaffen
Bisher ist das wichtigste Abkommen auf dem Gebiet der Atomwaffensperrvertrag aus dem Jahr 1968, den bis heute 191 Staaten unterzeichnet haben. Darin ist geregelt, dass atomwaffenfreie Staaten darauf verzichten, sich Nuklearwaffen zu besorgen. Die fünf offiziellen Atomwaffenstaaten USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien verpflichten sich im Gegenzug, ihr Arsenal schrittweise zu verkleinern und irgendwann ganz abzuschaffen. Doch seit Jahren gibt es kaum Fortschritte, die Waffen werden sogar modernisiert.
Bis Ende vorletzter Woche haben sich die Unterzeichnerstaaten in New York zu der alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenz getroffen. Verhandelt wurde wieder einmal über eine atomwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten. Ägypten und andere arabische Staaten wollten dazu bis März 2016 eine Konferenz einberufen, doch die USA, Kanada und Großbritannien verweigerten dem ihre Zustimmung. Die Forderung sei unrealistisch und werde am Widerstand Israels scheitern. Israel gilt als Atommacht, hat sich aber nie dazu bekannt und auch den Sperrvertrag nicht unterzeichnet.
Ein neuer Weg ohne Konsens
Das Problem der Überprüfungskonferenzen: Abschlusserklärungen müssen im Konsens beschlossen werden. „Seit Jahren blockieren die Atomwaffenstaaten echte Forschritte“, sagt Martin Hinrichs von der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, ICAN. „Wenn wir vorankommen wollen, brauchen wir einen Prozess, der ohne Konsens auskommt.“
Diesen neuen Weg verfolgen nun einige Staaten. Sie sind enttäuscht und wütend über die schleppenden Abrüstungsbemühungen und wollen daher – zusätzlich zum Atomwaffensperrvertrag – ein generelles Verbot von Nuklearwaffen erreichen. Im Dezember vergangenen Jahres wurde auf einer Konferenz in Wien eine Erklärung beschlossen, in der sich die Staaten verpflichten, mit den konkreten Verhandlungen über ein internationales Abkommen zu beginnen: „Wir versprechen, mit allen relevanten Akteuren zu kooperieren, (…) in dem Bestreben, Atomwaffen zu stigmatisieren, zu verbieten und zu beseitigen.“ Vor der Überprüfungskonferenz in New York hatten 76 Staaten unterschrieben, jetzt sind es 107. Die Enttäuschung wirkt.
Ein Verbot ließe sich problemlos mit dem humanitären Völkerrecht begründen. Der Einsatz von Waffensystemen ist nämlich nur dann erlaubt, wenn zwischen Soldaten und Zivilisten unterschieden werden kann und die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Bei Atombomben ist das ganz offensichtlich nicht der Fall. Zudem sind sie die einzigen Massenvernichtungswaffen, die noch erlaubt sind. Biologische Waffen wurden im Jahr 1975 verboten, chemische im Jahr 1997. Beiden Abkommen sind fast alle Staaten der Welt beigetreten.
Der Sperrvertrag unter Druck
Aber geht das bei Nuklearwaffen auch so einfach auf einen Schlag – wenn die Atommächte schon die kleinsten Abrüstungsschritte verhindern? Sicherlich wird die Welt durch einen Verbotsvertrag nicht von heute auf morgen atomwaffenfrei. Wahrscheinlich würden die Nuklearmächte zunächst außen vor bleiben. Was bringt das Abkommen dann? „Wenn ein Vertrag ohne die Atomwaffenstaaten so harmlos wäre, würden sich die Atomwaffenstaaten nicht so stark dagegen wehren“, meint Martin Hinrichs von ICAN.
Ein US-Diplomat hat gesagt: „Wir werden uns jeder Bestrebung entgegenstellen, zu einem internationalen Verbot von Atomwaffen zu kommen.“ Großbritannien bezeichnete nach Angaben von ICAN einen Verbotsantrag sogar als „Referendum über den Atomwaffensperrvertrag“. Es wird behauptet: Künftig werde womöglich gar nicht mehr über Abrüstung verhandelt, weil der Atomwaffensperrvertrag angeblich nicht mit einem Verbot vereinbar sei. Doch das ist falsch. Diese Sicht haben nur Staaten, die im Sperrvertrag lediglich eine Garantie für den Besitz von Nuklearwaffen sehen.
Der Sperrvertrag gerät durch einen Verbotsvertrag auf jeden Fall unter Druck. Das kann zu stärkeren Abrüstungsbemühungen führen – oder aber die Kluft zwischen den Staaten vertiefen. Im schlimmsten Falle kündigen mehrere Staaten den Sperrvertrag, und der wichtigste Pfeiler der nuklearen Rüstungskontrolle wird erschüttert. Wahrscheinlicher ist jedoch ein positives Szenario: Auf der Erde entstehen mehrere atomwaffenfreie Zonen, die Nuklearmächte sehen sich isoliert, das verändert ihr Denken. Zudem werden in den Atomwaffenstaaten die politischen Kräfte gestärkt, die sich für eine komplette Abrüstung einsetzen, sie können nun viel leichter eine Diskussion über die (Nicht-)Legitimität von Nuklearwaffen beginnen.
Deutschland müsste Position beziehen
Ein Verbot zielt aber auch auf die Verbündeten der Atomwaffenstaaten. Deutschland etwa müsste dann klar Position beziehen. Bisher betont die Bundesregierung immer, wie wichtig ihr die weltweite Abrüstung sei. Gleichzeitig nimmt sie aber hin, dass auf deutschem Boden noch immer US-Atombomben lagern – aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel, obwohl das offiziell nie bestätigt wird. Die Bundeswehr stellt Tornados und Piloten für den Abwurf bereit, alles im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ der NATO.
Den Antrag zu Verhandlungen über einen Verbotsvertrag hat die Bundesregierung bisher nicht unterzeichnet. Das Außenministerium drückt sich um klare Antworten auf Fragen, etwa zur Vereinbarkeit von Verbot und Sperrvertrag. Stattdessen heißt es etwas vage: „Auf dem Weg zu einer nuklearwaffenfreien Welt wird ein Verbot von Nuklearwaffen zu gegebener Zeit sicherlich ein wichtiger Schritt sein. Die Bundesregierung setzt sich deshalb für praktische, verifizierbare Abrüstungsschritte ein, die den Boden für spätere, umfassendere Verständigungen bereiten können.“
Vorbild Streumunition
Befürworter eines Verbotsvertrags verweisen auf das Verbot von Streumunition. „Die beharrenden Kräfte wollten damals unter der UN-Waffenkonvention verhandeln, was ein Konsensprinzip bedeutet hätte“, erzählt Hinrichs. „Dann wurde aber ein Übereinkommen außerhalb der etablierten Strukturen verhandelt.“ Mittlerweile sind 86 Staaten beigetreten, 28 weitere haben die Konvention schon unterschrieben, aber noch nicht ratifiziert. Deutschland ist dabei, seine Bestände zu vernichten.
Vielleicht wird es den 16.000 Atombomben auf der Welt irgendwann ähnlich ergehen. Bis dahin droht jeden Tag die Katastrophe, sei es durch einen Krieg, sei es durch einen Unfall. Erst Anfang des Jahres haben Atomforscher die symbolische Weltuntergangsuhr vorgestellt. Vorher stand sie auf fünf vor zwölf. Jetzt ist es drei vor zwölf.
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